2018 war es noch ein sehr strittiges Thema. Leipzigs Verwaltung fand den Vorschlag aus dem Stadtrat, in Leipzig ein „Housing First“-Projekt aufzulegen, nicht so toll. Man fahre doch mit der Notunterbringung schon ganz gut. Die Betroffenen brauchen eine stabile Grundlage dafür, wieder zurück in einen geregelten Alltag zu finden. Dazu braucht man eine feste Meldeadresse und damit eine eigene Wohnung.

Nicht absehbar war, dass das Problem der Wohnungslosigkeit in Leipzig in den folgenden Jahren noch weiter zunehmen würde. Und aus dem Modellprojekt wird jetzt ein dauerhaft weitergeführtes Projekt der Leipziger Wohnungshilfe. Denn es hat sich bewährt.

Deshalb ist auch der Ton in der Vorlage des Sozialdezernats zu „Housing First“ inzwischen ein anderer: „Eine eigene Wohnung ist das oberste Ziel aller Bemühungen der Wohnungsnotfallhilfe in Leipzig. Entsprechend der Strategie der Wohnungsnotfallhilfe in Leipzig, die im Fachplan untersetzt ist, soll bei Wohnungslosigkeit zeitnah in eine neue Wohnung vermittelt werden.

Für obdachlose Personen mit schwerwiegenden Problemen ist es in Leipzig kaum möglich, eine eigene Wohnung zu finden. Dies liegt zum einen an einer hohen Nachfrage an bezahlbarem Wohnraum im Verhältnis zum Angebot, insbesondere für Alleinstehende. Darüber hinaus zeigen Wohnungsunternehmen und Privatvermieter/-innen Vorbehalte gegenüber obdachlosen Personen, u.a. wegen Schulden aus vorangegangenen Mietverhältnissen oder mietwidrigen Verhaltens in der Vergangenheit.“

Notunterbringung ist kostenintensiv

Und verstanden hat man im Sozialdezernat auch, dass „Housing First“ dauerhaft sogar die nachhaltigere Form ist, Menschen ohne Obdach wieder einen Schlüssel zu einem selbst gestalteten Leben in die Hand zu geben.

„Eine Notunterbringung in Übernachtungshäusern für Obdachlose gemäß § 2 Abs. 1 Sächsisches Polizeibehördengesetz ist kostenintensiv. Zudem werden viele obdachlose Personen mit diesem Hilfeangebot nicht erreicht. Besonders dramatisch gestaltet sich die Situation für jene Menschen, die auf der Straße leben“, heißt es in der Vorlage.

„Sicher, der Housing-first-Ansatz, wie er in Leipzig praktiziert wird, ist kein Modell zur Reduzierung von Kosten und Einsparung von städtischen Mitteln. Das hebt auch der Evaluierungsbericht des bisherigen Pilotprojektes hervor“, stellte SPD-Stadtrat Christian Schulze in seiner Rede zu einem gemeinsamen Antrag von SPD- und Linksfraktion fest, in dem es darum ging, nicht nur die stadteigene LWB in Anspruch zu nehmen, um Wohnungen für „Housing First“ zu beschaffen. Da sollten auch die Leipziger Wohnungsgenossenschaften und Privatvermieter angesprochen werden.

„Aber der Housing-first-Ansatz ist die – ich zitiere aus dem Evaluierungsbericht – ‚deutlich effizientere Alternative‘ zur Notunterbringung in Notschlafstellen dieser Stadt und es ist vor allem eine humane Art, Menschen in Notsituationen zu helfen und sie wieder in die Gesellschaft zu holen“, sagte Schulze.

„Dies zeigt auch der Zwischenbericht, der deutlich macht, dass die betroffenen Menschen auch bei schwierigsten Lebenssituationen in ihren Wohnungen bleiben. Der Bericht empfiehlt deshalb, innerhalb des Housing-first-Projekts auch jene Menschen zu versorgen, denen herkömmlich schnell das Etikett der ‚Wohnunfähigkeit‘ angehängt wird.“

Mit 25 Wohnungen wurde gestartet

Im Modellprojekt hatte die LWB bislang 25 Wohnungen zur Verfügung gestellt, mit denen tatsächlich schon 29 Menschen von der Straße geholt werden konnten. Die Vorlage des Sozialdezernats versprach jetzt nicht nur eine Verstetigung de Projekts, sondern auch eine Erweiterung des verfügbaren Wohnungsbestandes: „Das Modellprojekt ‚Eigene Wohnung‘ zur Erprobung des Housing First-Ansatzes für obdachlose Personen in Leipzig wird ab dem 01.01.2025 als ein Instrument der Wohnungsnotfallhilfe unbefristet fortgeführt. Die Kapazität wird auf insgesamt 50 Plätze erweitert“, heißt es in der Beschlussvorlage.

„Die Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft mbH (LWB) stellt für die Erweiterung einen Grundstock von 30 malermäßig instandgesetzten und bezugsfertigen Wohnungen im 1. Halbjahr 2025 in Tranchen von monatlich fünf Wohnungen beginnend ab Januar 2025 und weitere Wohnungen entsprechend des Bedarfes der Teilnehmer/-innen zu KdU-angemessen Preisen bereit.“

Ein Termin, der dann schon im nächsten Winter liegt. Weshalb die Grünen-Fraktion beantragte, den Starttermin ins vierte Quartal vorzuziehen.

Aber das werde man nicht schaffen, erklärte Martina Münch. Auch wenn das Projekt sinnvoll ist, muss trotzdem Arbeit investiert werden. Denn ohne die Auswahl und Betreuung durch die Leipziger Wohnungshilfe geht es nicht.

In der Vorlage heißt es dazu: „Im IV. Quartal 2024 soll die Auswahl der Teilnehmer/-innen für die zusätzlichen Plätze beginnen. Ab Januar 2025 stellt die LWB die dafür benötigten Wohnungen zur Verfügung, sodass bis zum Ende des III. Quartals 2025 allen Teilnehmer/-innen die Auswahl und der Bezug einer Wohnung möglich ist.“

Was nicht der letzte Schritt sein wird. Denn auch nach 2025 möchte das Sozialdezernat da Projekt fortführen: „Die konkreten Bedarfe für die Folgejahre sind derzeit noch nicht bezifferbar und werden in den nachfolgenden Haushaltsplanungen untersetzt. – Im Vergleich zur Notunterbringung ist der Housing First-Ansatz die kostengünstigere Alternative. Im Jahr 2023 wurde pro Person und Platz ein monatlicher Betrag in Höhe von 2.489 Euro für die Notunterbringung aufgebracht.

Im Gegensatz dazu entstehen für einen Platz im Housing First Aufwendungen in Höhe von 1.289 Euro (933 Euro für die Wohnbegleitung und durchschnittlich 356 Euro für die Miete). Hinzuzurechnen sind die Kosten für Heizung und ggf. anteilig die Kosten für Mietausfälle und Schäden an der Wohnung.“

Das Ansinnen der Grünen, den Erstbezugstermin auf den Herbst vorzuziehen, fand zwar Wohlwollen bei Martina Münch und auch bei Juliane Nagel von der Linksfraktion. Aber man wollte diesen Termindruck nicht übernehmen. Sodass der entsprechende Punkt aus dem Grünen-Antrag extra abgestimmt wurde und mit 15:37 Stimmen abgelehnt wurde.

Das Ansinnen von Linken und SPD, nicht nur die LWB in Anspruch zu nehmen, übernahm OBM Burkhard Jung mit in die Gesamtvorlage. Er ist es ja auch, der die Gespräche mit den anderen Wohnungsanbietern führen muss. Und die Gesamtvorlage bekam dann mit 40 Stimmen eine deutliche Mehrheit. 13 Ratsmitglieder enthielten sich, niemand stimmte dagegen.

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