Am Donnerstag, dem 16. Januar, hatte der Bundesvorsitzende der FDP, Christian Lindner, seinen großen Auftritt vor Parteimitgliedern und Anhängern in Leipzig. Zumindest waren die meisten Anwesenden solche. Im Leipziger Westbad wollte er diese auf den Wahlkampf einstimmen. Ob es geklappt hat, werden wir sehen. Aufgrund des Ereignisses in Greifswald war eine Anmeldung für den Zutritt erforderlich, Jacken und Taschen, letztere waren nur der Presse erlaubt, mussten an der Garderobe abgegeben werden, Einlass Begehrende wurden von der Security abgetastet. So viel Sicherheit muss sein.
Die Veranstaltung begann etwa 25 Minuten später, weil das potenzielle Lindner-Klientel, heißt die Autofahrenden und die ihr Auto direkt vor der Location auf den Straßenbahngleisen Parkenden, den Tourbus behinderten. Der Noch-Bundestagsabgeordnete Torsten Herbst führte das in seiner Eröffnungsrede so aus: „Ganz herzlichen Dank für Ihre Geduld. Ich befürchte, für die Partei der individuellen Mobilität wird es einem manchmal schwer gemacht, pünktlich Orte zu erreichen.“
Wir nutzten die Zeit, um dem FDP Spitzenkandidaten in Sachsen, Torsten Herbst, einige Fragen zu stellen. Eine davon war: Die FDP ist für viele Menschen die Partei des Neoliberalismus und der sozialen Kälte. Gerade jetzt, mit den Auslassungen zum Bürgergeld. Ist die Frage wirklich: Muss das Bürgergeld runter? Oder müsste es heißen: Löhne hoch?
„Für mich ist entscheidend, dass wir denjenigen helfen, die aus eigener Kraft es nicht schaffen. Wer einen gesundheitlichen Schicksalsschlag hat, der muss sich auf die Solidarität der Gesellschaft verlassen können. Aber wir haben eben auch die anderen Fälle, wo junge Leute, die arbeiten können, nicht arbeiten wollen, weil der Abstand zwischen den Sozialleistungen und den Löhnen zu niedrig ist.
Und das hängt eben auch zum Teil an fehlender Qualifikation. Wenn man sich überlegt, dass ungefähr acht Prozent der jungen Leute in Sachsen die Schule ohne Abschluss verlassen. Und ich finde, hier müssen wir ran, dass jeder, der eine Chance im Leben hat, auch die Bereitschaft hat, die Ärmel hochzukrempeln, sich einzubringen. Und dann funktioniert es auch insgesamt im Land wieder.“
Die Frage nach dem Lohnabstand, zwischen Bürgergeld und Mindestlohn, hat Torsten Herbst somit elegant umschifft.
Auf die Eröffnungsrede, abgesehen vom Dank an die Ehrenamtlichen, muss man hier nicht weiter eingehen, die Thesen wurden später von Christian Lindner in epischer Breite ausgeführt. Da die Rede von Christian Lindner etwas über eine Stunde ging, hier nur einige kommentierte Auszüge.
Lindners Scherze
Natürlich verwertet Christian Lindner den Tortenwurf von Greifswald in seiner Rede.
„Ich habe mich daran gewöhnen müssen, dass das so ist, dass sehr viele Linke sich durch uns provoziert fühlen und nahezu in jeder Veranstaltung passiert dann auch was und deshalb habe ich mir auch angewöhnt, zu Beginn jetzt der Termine zu fragen, ob jemand eine Torte dabei hat. Gibt es jemanden, der was loswerden will an mich, dann können wir das jetzt direkt zu Beginn erledigen, dann haben wir es hinter uns. Nein, nicht.
Es gab ja diesen traumatisierenden Vorfall in Greifswald, haben Sie ja mitbekommen. Insofern traumatisierend, weil ich komme aus einer Konditorenfamilie, also Ur-Enkel, Ur-Enkel und Enkel von Konditorenmeistern und dann, wenn ich eine Torte bekomme, ist das ausgerechnet eine aus Rasierschaum statt aus Sahne. Ein weiterer Beweis dafür, dass die Linke keinen Sinn für Lebensfreude und Genuss hat.“
Ja, das ist der Brüller und gleichzeitig ein Seitenhieb gegen Linke und Grüne. Die letzteren hat er bereits vorher, bezüglich der Proteste in Halle erwähnt.
Lindner und die Schuldenbremse
In dem Zusammenhang schießt Christian Lindner sich auf Robert Habeck ein, den er des Zerstörungswerks bezichtigt und von dem er sagt: „Ich werde ja in diesem Jahr Vater, deshalb habe ich nichts dagegen, wenn Robert Habeck zurückkehrt in seine ursprüngliche Profession als Kinderbuchautor. Dann geht der Nachschub bei uns zu Hause nicht aus.“
Die Schuldenbremse, die heilige Kuh der FDP, bezeichnet er so: „Die Schuldenbremse ist ihre Versicherung gegen Politiker, die mit fremder Leute Geld im Wahlkampf, Geschenke verteilen wollen, um populär zu werden.“
Als Bildungsbürger dachte der Autor hier das Zitat von Alexis de Tocqueville, etwas modifiziert: „The American Republic will endure until the day Congress discovers that it can bribe the public with the public’s money.” („Die Bundesrepublik wird so lange Bestand haben, bis der Bundestag entdeckt, dass er die Öffentlichkeit mit dem Geld der Öffentlichkeit bestechen kann.“)
Allerdings traf das bisher auch auf die Regierungen mit FDP-Beteiligungen zu, die FDP hat sogar beispielsweise mit dem Mövenpick-Gesetz einen Teil der Öffentlichkeit, also ihr eigenes Klientel, mit öffentlichem Geld bestochen. Merke: Steuereinnahmen sind öffentliches Geld.
Schlimmer war, was Lindner über Subventionen und Regulierung erzählte. Als Beispiel brachte er folgendes:
„In Mainz, da ist jetzt ein Cluster entstanden aus Biotechnologie und Pharmazie. Dieses Cluster hat dazu geführt, dass Rheinland-Pfalz von einem Empfängerland im Länderfinanzausgleich zu einem Geberland geworden ist, nur aufgrund eines einzigen Unternehmens, BioNTech.
Da wurde nicht am Reißbrett geplant, da entsteht das, sondern es ist einfach aus einer bahnbrechenden Innovation heraus entstanden. Und so schafft man wirklich wettbewerbsfähige, nachhaltig starke Strukturen, die aus sich heraus wachsen und die nicht von der Politik geplant werden, denn dann kann man auch in die falsche Richtung planen und subventionieren.“
BioNTech ist gerade ein Beispiel für richtige Förderung durch den Staat und die EU, allerdings in der Corona-Krisensituation. 2019 mit einem Aktienkurs von 12,91€ gestartet, erhielt die Firma 2020 375 Millionen Euro vom BAMF und einen Kredit 100 Millionen Euro von der EIB. Der Schlusskurs der Aktie lag 2021 bei 214,00 €.
Förderungen und Subventionen können durchaus erfolgreich sein.
Lindner und die Arbeit
Das Schimpfen auf die faule junge Generation hat schon Tradition. Allerdings ist folgende Aussage schlicht falsch, zumindest auf die tägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer bezogen: „Man hat noch niemals in der Menschheitsgeschichte eine Gesellschaft dabei beobachten können, wie sie ihren Wohlstand dadurch erhalten hat, dass sie weniger arbeitet.“
Als Robert Bosch, beileibe kein Kommunist, 1906 den 8-Stunden-Arbeitstag einführte, hatte das auch betriebswirtschaftliche Gründe. Und er behielt Recht. Auch die Einführung der 40-Stunden-Arbeitswoche brachte, allen Unkenrufen zum Trotz, keinen wirtschaftlichen Abschwung.
Aber Christian Lindner geht es ja um das Arbeitszeitgesetz und Überstunden. Dazu bemüht er einen Baggerfahrer: „Ich habe was gelernt in Ostwestfalen bei einem Baustoffbetrieb, denn in dem Baustoffbetrieb gibt es einen Baggerfahrer und der Baggerfahrer, der baggert jeden Tag acht Stunden da Baustoffe rum. Und er hat zu seinem Vorarbeiter gesagt, er möchte gerne zehn Stunden baggern, weil er will gerne mehr arbeiten und mehr verdienen.
Und wissen Sie, was der Vorarbeiter sagen musste? Das darfst du nicht, wegen Arbeitsschutz und vor allem Arbeitszeitgesetz. Das regelt nämlich die Höchstarbeitszeit. Und da hat der Baggerfahrer gesagt, ich will doch zehn Stunden baggern, das ist doch meine freie Entscheidung.“
Möchte dieser wirklich mehr arbeiten oder ist sein Lohn ihm zu gering? Wenn Lindner also das „Arbeitszeitgesetz auf europäisches Minimum reduzieren“ will, dann sollen Menschen, besonders im Mindestlohnbereich, einfach Überstunden machen. Wird dann demnächst die Regelung für Lenkzeiten von LKW-Fahrern abgeschafft? Mit längerer Arbeitszeit in solchen Berufen steigt die Unfallgefahr, das hat negative wirtschaftliche Konsequenzen.
„Wir brauchen eine Imagekampagne für Arbeit, denn Arbeit strukturiert den Alltag. Arbeit führt dazu, dass man andere Menschen trifft. Es ist soziale Teilhabe.“
Das Hohelied der Arbeitsethik, das kennen wir doch alle, oder? Eine andere, nicht ganz ausschließende Meinung ist: „Der Sinn des Lebens hat mehr Facetten als unser berufliches Tun“, diese ist wohl eher zutreffend, wir haben das schon behandelt. Zumal Menschen, die immer länger arbeiten, vielleicht mehr Geld verdienen, aber weniger vor Ort ausgeben. Das trifft Handel und Gastronomie, also den Mittelstand, besonders.
Andere Themen
In der einstündigen Rede behandelte Christian Lindner selbstverständlich viele andere Themen.
Es ging beispielsweise um ungewollte Teilzeitarbeit durch fehlende Kinderbetreuung: „Und deshalb ist die Verbesserung der Kinderbetreuung, verlässliche qualitätsvolle Kinderbetreuung, auch eine Maßnahme der Wirtschaftsförderung. Sie ist im Übrigen auch eine Maßnahme der Emanzipation.“
Das Bundesumweltamt soll, seiner Meinung nach, aufgelöst werden, mit der Begründung: „All das, was da in diesem Umweltbundesamt gemacht werden musste, hat damals niemand sonst gemacht. Es gab ja nur das eine Amt. Inzwischen aber, Jahrzehnte später, haben wir für nahezu alles noch eine eigene Spezialbehörde. Das heißt also Strahlenschutz macht das Umweltbundesamt und das Bundesamt für Strahlenschutz. Risikofolgenabschätzung macht das Umweltbundesamt und die Bundesanstalt für Risikofolgenabschätzung.“
Ja, Doppelzuständigkeiten gehören auf den Prüfstand, aber warum ein Amt auflösen statt genau dort die Kompetenzen zu bündeln?
Ganze Ministerien will Christian Lindner zusammenlegen: „Verkehr und Bau kannst du zusammenfassen. Verwandte Themen. Gesundheit, Familie, Soziales kann man zusammenfassen. Verwandte Themen. Auswärtiges Amt, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, also Entwicklungshilfe, kannst du zusammenfassen.“ Ob das so geht, ist schwer einzuschätzen, aber am Beispiel Verkehr und Digitales ist zu sehen, dass es nicht immer eine gute Idee ist.
„Meine Damen und Herren, wir sollten wieder den Ingenieurinnen und Technikern vertrauen, die wirklich etwas von physikalisch-naturwissenschaftlichen Fragen verstehen.“ Ja, das sollten wir, auch wenn Ingenieure und Wissenschaftler beispielsweise eFuels als ineffektiv bezeichnen und die Zukunft der Mobilität bei Elektromobilität sehen. Ob das Christian Lindner gemeint hat?
Fazit: Die Veranstaltung war durchaus interessant, auch wenn Christian Lindner nichts wirklich Neues sagte. Er sagte es manchmal anders. Selbstkritik war von ihm nicht zu erwarten, dafür eine etwas überhöhte Eigendarstellung mit: „Ich könnte hier als Finanzminister stehen. Ich hätte mein Amt gerettet, meine Selbstachtung aber verloren“.
Ob er mit „Wir wollen die Bevormundung ersetzen durch wieder Vertrauen in Eigenverantwortung und Freiheit. Dann sind doch viele Prozentpunkte, zehntausende, hunderttausende, Millionen Menschen zu gewinnen, statt AfD und BSW wieder in die Mitte des politischen Spektrums zu kommen“ Wählerinnen und Wähler von dort zurückhol,t ist offen. Aber Christian Lindner hält eine schwarz-gelbe Regierung für möglich.
Am Abend des 23. Februar wissen wir mehr.
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