Zurück in die Vergangenheit. Diesmal nur um 20 Jahre. Das wünschte sich die AfD-Fraktion im Leipziger Stadtrat mit dem Antrag „Einführung einer Fachförderrichtlinie zur Beseitigung von Graffiti an privaten baulichen Anlagen“. Denn damals gab es die letzte große Debatte über den Umgang mit illegalen Graffiti in Leipzig. Man zog die Zügel an und ging rigoros gegen alle illegalen Wandmalereien vor. Das Ergebnis: Es hat nichts gebracht. Vielleicht ist ja tatsächlich der Grund dafür: blanke, weiße Wände animieren geradezu dazu, sie zu bemalen.
Die Frage, welches Denken eigentlich hinter den weißen, leeren Wände steht, stellte – nachdem AfD-Stadtrat Marius Beyer mal wieder ein Lied über Ordnung und Sauberkeit gesungen hatte – Katharina Subat (Die PARTEI). Sie rechnete gleich mal vor, was es nach dem Wunsch der AfD-Fraktion die Stadt kosten würde, wenn sie Hausbesitzer mit jeweils 2.000 Euro (nach dem Freiburger Vorbild) unterstützen würde, wenn sie ihre Fassade wieder von Graffiti befreien wollen.
Auch das Leipziger Ordnungsamt wies darauf hin, dass der AfD-Antrag im Grunde ein Haushaltsantrag war, der Geld binden würde, das die Stadt gar nicht hat: „Allerdings handelt es sich hierbei um eine freiwillige Aufgabe, deren Finanzierung in der gegenwärtigen, sehr angespannten, Haushaltssituation nicht gesichert werden kann. Aus diesem Grund muss die Erstellung der Fachförderrichtlinie abgelehnt werden.“
Aber Katharina Subat merkte auch an, dass dieser neue Kampf um reine weiße Wände eben auch ein ideologischer ist, ein „feuchter Traum von Fassaden rein und weiß“.
Nicht zielführend
Dass der harte Kurs, den Stadt und Polizei vor über 20 Jahren eingeleitet haben, am Ende gar nichts gebracht hat, schildert das Ordnungsamt in seiner Stellungnahme zum Antrag: „Die Erfahrung mit illegalen Graffiti und Schmierereien an städtischen Flächen zeigt, dass das bloße Überstreichen oder Entfernen – insbesondere an Objekten in hochfrequentierten Stadtteilen – oft nur zu kurzfristigen Erfolgen führt, ehe nach kurzer Zeit wieder neue illegale Graffiti und Schmierereien auftauchen. Auch das zeitnahe Wiederholen des Überstreichens oder Entfernens erhöht die Erfolgsquote zumeist nicht. Eine ähnliche Situation lässt sich ebenso an vielen privaten baulichen Anlagen beobachten.
Eine rein restriktive Herangehensweise bei der Bekämpfung illegaler Graffiti im Stadtbild erwies sich in Leipzig bereits in den Jahren 2002 bis 2013 als nicht zielführend. So kam es entgegen der Erwartungen in diesen Jahren zu einem erheblichen Anstieg der illegalen Graffiti im Stadtbild Leipzigs.“
Das heißt: Die illegalen Sprayer fühlten sich durch den rigiden Kurs der Stadt geradezu herausgefordert.
Und was die Stellungnahme des Ordnungsamtes nicht erwähnt: Die Tags und Bilder wurden aggressiver und damit auch meist hässlicher. Die Stadt hatte mit dem öffentlich verkündeten Kampf gegen illegale Graffiti selbst den Battle ausgelöst. Nach zehn Jahren Misserfolg schwächte man das Vorgehen zumindest ab.
Ein paar Ersatz-„Walls of Fame“
„Im Jahr 2013 erfolgte daher eine Neuausrichtung im Umgang mit Graffiti, infolge welcher seither – neben der zeitnahen Beseitigung illegaler Graffiti und Schmierereien sowie der konsequenten Strafverfolgung der Verursachenden – auch der graffitipräventiven Arbeit mehr Bedeutung beigemessen wird. Dass die graffitipräventive Arbeit der Stadt Leipzig im Sinne ihrer Bürgerinnen und Bürger ist, lässt sich nicht zuletzt auch aus dem Ergebnisbericht der Kommunalen Bürgerumfrage 2021 ableiten.
Wie den Ergebnissen aus dieser Umfrage, die als repräsentativ für die Grundgesamtheit der Leipzigerinnen und Leipziger im Alter von 18 bis 90 Jahren betrachtet werden können, zu entnehmen ist, befürworten 88 % der Leipzigerinnen und Leipziger die Bereitstellung legaler Graffitiflächen durch die Stadt Leipzig. In Leipzig stehen Sprühenden aktuell neun offizielle, legale Sprühflächen (Walls of Fame) zur Verfügung.“
Auch das musste die Stadt erst lernen. Denn Höhepunkt des Leipziger Graffiti-Krieges war die Schließung der längst legendären „Wall of Fame“ am Karl-Heine-Kanal, wo sich auch Graffiti-Künstler aus anderen Metropolen austobten.
Es ist etwas ruhiger geworden, stellt das Ordnungsamt fest: „Eine positive Bilanz der graffitipräventiven Arbeit in Leipzig lässt sich auch anhand vorliegender Zahlen ziehen: So konnte die Koordinierungsstelle Graffiti allein im Jahr 2023 mittels ihrer 70 durchgeführten, graffitipräventiven Projekte insgesamt 957 Teilnehmende aus der Zielgruppe junger Menschen erreichen. Hinzu kommen etwa 700 Personen, die als Gäste bei den Veranstaltungen anwesend waren. Die Förderung legaler Graffiti und Aufklärungsarbeit sind wesentliche Bestandteile in der Graffitipräventionsarbeit.“
Die politischen Botschaften der anderen
Aber es hat nichts daran geändert, dass Graffiti längst zu einem Mittel der politischen Auseinandersetzung geworden sind und nicht nur FCK AFD an manchen Hauswänden steht, wie Katharina Subat erwähnte. Womit sie wohl auch den eigentlichen Grund nannte, warum die AfD-Fraktion immer neue Anträge und Anfragen zu Graffiti in Leipzig stellt. Sie beherrscht zwar mit einem immensen Aufwand die „Social Media“, wo sie falsche und völlig enthemmte Debatten befeuert. Aber über den öffentlichen Raum hat diese „gesichert rechtsextremistische Vereinigung“ – wie Katharina Subat ebenfalls zitierte – aber keine Macht.
Also versucht sie es mit solchen Anträgen. In denen sich auch die CDU teilweise wiederfinden kann. Denn den zweiten Antragspunkt würde man doch gern geprüft sehen, so CDU-Stadtrat Falk Dossin. Der lautete: „Die Stadt Leipzig setzt sich beim Freistaat Sachsen für die zeitnahe Erarbeitung eines Landesprogramms ein, welches Privateigentümer bei der Graffitibeseitigung unterstützt.“
Was die Sache nicht besser macht. Es würden trotzdem Millionen Euro für geweißte Wände fließen, ohne dass sich jemand auch nur ansatzweise Gedanken darüber macht, warum man das Phänomen Graffiti nicht in den Griff bekommt.
„Die Erstellung einer Fachförderrichtlinie ist abzulehnen, da deren Finanzierung in der gegenwärtigen Haushaltssituation nicht gesichert werden kann“, hatte das Ordnungsamt ziemlich deutlich festgestellt. Beide Antragspunkte aus dem AfD-Antrag wurden dann auch von der Ratsmehrheit abgelehnt.
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Es gibt 3 Kommentare
Kann man sich natürlich versuchen schönzureden.
Graffiti sind zu >99% Sachbeschädigung und nichts weiter.
“Ich tage nur, weil ihr euch darüber aufregt” konnte man auch schon ein paar Mal lesen. Ansonsten sind Graffiti ein Element der Reviermarkierung. Je nach politischer Einstellung ist das auch nicht ganz unwichtig.
Sehen Sie nicht auch die Parallelen, lieber Autor, die sich hinsichtlich des in diesem Medium fortwährend inkriminierten MIVs auftun? Ordnungspolitik ist kein Mittel für die Lösung gesellschaftlicher Problem oder nur zur Organisation gesellschaftlichen Zusammenhalts. Ich selbst lehne diese Höhlenzeichen (Gerhard Schöne) ebenfalls ab, und ich bin entsetzt, daß Oberdeppen einen der letzten gut sichtbaren Luftschutzpfeile von 1944, wirkliche Menetekel der Vergangenheit für die Gegenwart, übersprüht haben. Aber machen wir uns klar, linkes Politikverständnis wäre, den Menschen etwas zuzutrauen. Und nicht der Spruch meiner Kindheit “Wer nicht hören will muß fühlen!” Daß Leute Hauswände und Mauern besprühen, hat viele Ursachen, und selten sind Kunstwerke darunter. Gesellschaftliche Randständigkeit der Sprayer würde es zu beseitigen gelten. Dickes Brett, ich weiß.