Deutschland braucht Migration. Nicht nur die von hochqualifizierten Forschern und Ingenieuren. Eigentlich müsste die deutsche Politik sich um gute Integration bemühen, um Qualifizierungsprogramme und schnelle Inklusion in den Arbeitsmarkt. Doch genau da hängt und klemmt es. Und stattdessen laufen auch die großen Parteien den Forderungen der rechtslastigen AfD hinterher, das Land abzuschotten, Zuwanderer abzuschrecken und ungewollte Menschen abzuschieben.
Da solche Forderungen auch im Leipziger Stadtrat aufploppen, hat die Die PARTEI einmal einen völlig entgegengesetzten Antrag eingereicht. Nicht nur in Leipzig.
In mehreren deutschen Städten haben am Freitag, dem 11. April, Ratsmitglieder von Die PARTEI einen solchen „Ausreisestopp für Nicht-Deutsche“ beantragt – unter anderem in Leipzig. Auch wenn die Umsetzung so eines Antrags wohl schon allein daran scheitern wird, dass kein gewähltes Ratsgremium anweisen darf, wie Ausländerbehörden (im Antragstext der PARTEI: Meldebehörden) zu arbeiten haben. Oder gar ein OBM Einfluss auf das Grenzregime hat, das die PARTEI gern umdrehen möchte, um Ausländer am Verlassen Deutschlands zu hindern.
Hintergrund, so die Mitteilung der PARTEI zum Antrag, sind die verschärften Abschiebe-Ideen der sich gerade zusammenraufenden neuen Bundesregierung: „Der Bundeskanzler in spe hat am Mittwoch eine ‚Rückführungsoffensive‘ angekündigt. Ein fataler Fehler! Wir wollen dies durch die ‚Hierbleibe-Gegenoffensive‘ ersetzen und, einer geistig-moralischen Wende gleich, der Vernunft wieder eine faire Chance geben. Darum setzt sich Die PARTEI dafür ein, dass die Grenzen DEUTSCHLANDS endlich dichtgemacht werden – und zwar nach innen!“
Eine völlig falsche Migrations-Debatte
Denn eigentlich kann sich Deutschland gar nicht leisten, wenn jetzt Migranten scharenweise das Land verlassen. Sie bilden längst einen unersetzlichen Teil des deutschen Arbeitsmarktes. Oder in den Worten des Stadtratsantrags: „DEUTSCHLAND hat ein Problem. Ausländer, ehemalige Ausländer und sogar Deutsche, die Ausländer und Deutsche zugleich sind (im Folgenden ‚Ausländer‘ genannt).
Denn mit dem Sturz des syrischen Diktators Assad und einem möglicherweise dauerhaften Frieden in der Ukraine, mehren sich die Berichte von Menschen, die in ihre Heimatländer zurückkehren wollen oder sogar von der deutschen Politik gedrängt werden, DEUTSCHLAND zu verlassen. Aber DEUTSCHLAND braucht Ausländer!
Das zeigen sogar Studien (Beispiel siehe unten): Die Ausländer, die in DEUTSCHLAND arbeiten dürfen, sind überdurchschnittlich oft (62 %) in systemrelevanten Berufen tätig (statt 48 % bei nicht ausländischen Deutschen). Würden die hiesigen kritischen Einrichtungen und Unternehmen ausschließlich durch Deutsche mit Nichtmigrationshintergrund betrieben, läge DEUTSCHLAND lahm. Firmen müssten dichtmachen, Krankenhäuser könnten ihren Aufgaben nicht mehr nachkommen, oder wie man sagen würde: Die Wirtschaft wäre am Ende.“
Hinter dem Spaß steckt eine nüchterne Wahrheit: Aus der eigenen Bevölkerung kann Deutschland gar nicht mehr die benötigten Arbeitskräfte gewinnen, die benötigt werden, um das Land am Laufen zu halten. Deutschland ist dringend auf Zuwanderung angewiesen.
400.000 jedes Jahr
Ein Beitrag der Bundeszentrale für politische Bildung bringt es so auf den Punkt: „Ohne Zuwanderung in den Arbeitsmarkt würde die Bundesrepublik massive Probleme bekommen – wirtschaftlich, finanziell und sozial. Es würde nicht nur an Beschäftigten fehlen, sondern auch an Steuer- und Sozialsicherungsbeitragszahlern. Auch medizinisches und pflegendes Personal, das einst die großen Babyboomer-Jahrgänge betreuen könnte, würde knapp.“
Der Ökonom Henrik Müller, der den Beitrag für die Bundeszentrale verfasste, kommt zu einem deutlichen Ergebnis: „Damit die Beschäftigung in den kommenden Jahrzehnten in etwa konstant bleibt, braucht die Bundesrepublik eine Nettozuwanderung von 400.000 Personen jährlich, wie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) berechnet hat.“
Das heißt: Wenn Deutschland wettbewerbsfähig bleiben will, müsste es alle Kräfte darauf konzentrieren, dass Zuwanderung gelingt und die zugewanderten Menschen Zugang zu Ausbildung und Arbeit bekommen.
Oder von der PARTEI kurz auf den Punkt gebracht: „Ausländer stellen eine Gefahr für DEUTSCHLAND dar, sobald sie DEUTSCHLAND und damit den deutschen Arbeitsmarkt verlassen.“
Und auch wenn der Antrag in dieser Form wohl keine Chance hat, hilft er vielleicht ein wenig, die derzeit völlig verdrehte Sicht auf Migration ein bisschen zu korrigieren. „Wir hoffen trotz dessen weiterhin auf die Einsicht der herkömmlichen Parteien in die Notwendigkeit – um gegen den wirtschaftsfeindlichen Kurs der Bundesregierung ein starkes Zeichen zu setzen“, formuliert Die PARTEI ihre Hoffnung.
Eingereicht hat sie den Antrag nach eigener Auskunft in den Ratsversammlungen von Leipzig, Köln, Kiel, München, Bochum und Paderborn. In Leipzig reichten den Antrag Katharina Subat und Thomas Kumbernuß ein, welche Die PARTEI im Stadtrat vertreten.
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