Dass der TOP „Migrantinnen- und Migrantenbeirat“ in der Ratsversammlung Streitpotenzial bot, war von vornherein klar. Und das nicht nur wegen schwebender Vorwürfe einer ungerechten Wahlprozedur: Schon vor zwei Monaten hatte das Parlament Mohammad Okasha als einzigem gewähltem Migrantenbeirats-Vertreter die Berufung ins Gremium mehrheitlich verweigert. Nun scheiterte der umstrittene Kandidat erneut knapp.

Mohammad Okasha fiel bei der Bestätigung des Leipziger Migrantenbeirats in der Ratsversammlung zum zweiten Mal durch: Mit 29 zu 29 Stimmen sowie sieben Enthaltungen verfehlte der gebürtige Ägypter, der die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, seine Berufung am Mittwoch, dem 27. August knapp. Somit war ein entsprechender Änderungsantrag der Linken, Okasha in den neuen Migrantenbeirat zu hieven, nach einer ersten Abstimmung Ende Juni wiederum gescheitert.

Beirat spricht von „Enttäuschung, Demotivation und Gefühl politischer Ohnmacht“

Erwartungsgemäß gingen der neuerlichen Abstimmung Kontroversen voran: Für die Linke nannte Juliane Nagel den Respekt vor dem Willen der Menschen mit Migrationsbiografie als einen zentralen Grund, Okasha in den Beirat zu berufen.

Im Zuge der Wahl des Migrantenbeirats im Frühjahr konnte er in seiner Gruppe 185 Stimmen auf sich vereinen, allerdings muss die Berufung der Mitglieder von der Ratsversammlung bestätigt werden. Okasha war als einziger von 16 Gewählten durchgefallen. Beim neu konstituierten Migrantenbeirat habe dies „Enttäuschung, Demotivation und das Gefühl politischer Ohnmacht“ ausgelöst, zitierte Nagel aus einem Schreiben.

Nagel: Okasha wird zu Unrecht als Unperson hingestellt

Dabei sei Okasha ein kritischer Geist, der aus rechter und konservativer Ecke fälschlich als „Unperson“ markiert werde. Er verlasse aber nie den Boden demokratischer und humanistischer Prinzipien, auch wenn er sich über Gaza äußere, betonte Nagel.

Das sehen manche anders: Im November 2023 war Okasha durch einen Instagram-Post zur Israel und Palästina, nur wenige Wochen nach dem Hamas-Massaker an Israelis, in Bedrängnis geraten. Seiner drohenden Abberufung kam er, damals Vorsitzender des Migrantenbeirats, im März 2024 per Rücktritt zuvor. Gegenüber der LZ entschuldigte sich Okasha für die Wirkung des Posts auf Instagram. Und beteuerte, das Existenzrecht Israels anzuerkennen und den brutalen Terror der Hamas zu verurteilen.

Nach erster Abstimmung wütete Okasha auf Instagram

Die CDU gab sich unbeeindruckt: „Die CDU-Fraktion wird Herrn Okasha definitiv nicht wählen“, kündigte Lucas Schopphoven an und übte auch formale Kritik am Änderungsantrag der Linken. Eric Recke (BSW) sah nach der Enthaltung seiner Fraktion im ersten Anlauf dagegen keinen Grund zur Zurückhaltung, da die Rechtmäßigkeit der Wahlprozedur nicht mehr bezweifelt werden könne.

Stefan Rieger (fraktionslos) erinnerte daran, dass Okasha nach seiner gescheiterten Berufung Ende Juni mit „rassistischen Verschwörungstheorien um sich geworfen“ und andere Parteien massiv beschimpft habe: „Sie ertragen keine Gegenstimme, insbesondere wenn sie von jemandem mit Migrationsgeschichte kommt, der sich gegen die Meinung der weißen Mehrheit stellt“, schoss Okasha Ende Juni auf Instagram gegen AfD, BSW, CDU, SPD sowie Teile der Grünen.

CDU spricht von „antisemitischem Weltbild“ Okashas

Während Sven Morlok (FDP/Freie Fraktion) mahnte, den Willen der migrantischen Wählerschaft und das Wahlverfahren anzuerkennen, kam neuer Widerspruch von Michael Weickert (CDU): Natürlich habe Morlok recht, dass Okasha Meinungsfreiheit genieße. Genauso gäbe es aber die Verantwortung der Stadträte, wenn man einer Person kein Vertrauen schenken könne. „Mich kann niemand dazu zwingen, Herrn Okasha hier zu wählen.“

Weickert warf ihm zum Missfallen von OBM Burkhard Jung (SPD) erneut ein „antisemitisches Weltbild“ vor und äußerte Unverständnis für das Dementi von Juliane Nagel. Diese hatte betont, nach dem Instagram-Post von Ende 2023 parteiintern lange mit Okasha gestritten zu haben und zu einer produktiven Auseinandersetzung gelangt zu sein.

Schlussendlich setzte Thomas Kumbernuß (Die PARTEI/Freie Fraktion) noch Spitzen sowohl gegen CDU als auch Linke ab: Während sich Erstere in der Verehrung eines Antisemiten wie Richard Wagner ergehe, mache sich die Linke selbst zum Angriffsziel, wenn Teile von ihr Gruppen wie Handala unterstützen, so sein Vorwurf.

Ukrainerin Daria Baumann in den Beirat berufen, Kumbernuß drückt falsche Taste

Letzten Endes verfehlte Okasha seine Berufung in den Beirat. Eine Rolle dabei spielte, dass Thomas Kumbernuß entgegen seiner Absicht offenbar per Tastendruck mit Nein stimmte. Dies konnte trotz seines sofortigen Hinweises nicht mehr rückgängig gemacht werden. Andernfalls hätte es Okasha wohl geschafft.

Bestätigt wurde stattdessen die aus Kiew stammende Ukrainerin Daria Baumann. Mit 34 zu 28 Stimmen bei drei Enthaltungen ging damit der Vorschlag von OBM Jung durch.

Der 2009 gegründete Migrantenbeirat ist die lokale Interessenvertretung von Menschen mit Einwanderungsgeschichte und kann eigene Anträge zur Beschlussfassung im Stadtrat vorlegen. Die letzte Wahl vom 7. bis 14. April zog Streit nach sich: Beschwerdeführer erheben Vorwürfe wegen Wahlmängeln, aktuell sind Gerichte zur Klärung eingeschaltet.

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