Was fällt einem zu so einem Schriftstück ein, das ein aufmerksamer L-IZ-Leser in seiner Mittagspause an der Ecke Leibnizstraße/Zöllnerweg (an einem Mast auf der Kanalbrücke) gesehen und fotografiert hat? Hier geht es ins Rosental, wo am 31. August die schwere Gewalttat passiert ist, die seitdem einige Medien zum Hyperventilieren gebracht hat. Und deren Alarm-Berichterstattung war sichtlich gefundenes Fressen für die Rassisten in Land und Stadt.

Zu diesen Medien, die auch eine Warnung der Polizei, sich im Rosental derzeit lieber in Begleitung aufzuhalten, aufbauschten und regelrecht eine Panikstimmung zur Sicherheitslage in Leipzig entstehen ließen, ist eigentlich alles gesagt. Oder fast alles. Denn augenscheinlich sind die dort auf Schnipsel-Nachrichten und Reichweite fixierten Kollegen nicht belehrbar, was die Folgen ihres Tuns anbelangt.

Denn in diesem Fall war die Panikmache von Anfang an auch mit ausländerfeindlichen Ressentiments untersetzt. Was nicht ausschließt, dass der beobachtete Mann mit dem „südländischen Typus“ tatsächlich ein Mensch ist, der in Sachsen Asyl beantragt hat. Aber das ist reine Spekulation. Es gibt auch genug Einheimische mit hiesigem Geburtsort und Problemen mit menschlichem Respekt und einem verantwortungsvollen Sexualleben, die südländisch aussehen, erst recht, wenn sie sich Drei-Tage-Bärte wachsen lassen.

Noch ermittelt die Polizei auf Hochtouren, hat extra eine entsprechende Arbeitsgruppe gebildet. Denn wenn der Verdacht besteht, dass man es mit einem Sexualstraftäter zu tun hat, der immer wieder gewalttätig wird, dann muss man versuchen, ihn schnellstmöglich zu finden und hinter Gitter zu bringen.

Aber es ist kein Grund für mediale Panikmache – erst recht, wenn dem keine belastbare Hintergrundberichterstattung zur Seite steht, wenn immer nur ein einzelnes, Aufmerksamkeit heischendes Ereignis aufgeblasen und entsprechende Gefahrenbilder gemalt werden. Was nicht zum ersten Mal passiert. Dass OBM Burkhard Jung das zum Anlass nahm, an den Innenminister zu appellieren, die Polizei in Leipzig endlich richtig aufzustocken, war ja schon Ergebnis dieser immer schrilleren Berichterstattung, in der diverse Kommentatoren schon in altem Reflex immer wieder fragten: Wo blieb die Polizei? Warum tut die Stadt nichts?

Als könnte eine Stadt verhindern, dass es zu gewalttätigen Übergriffen kommt. Kann sie aber nicht. Schon gar nicht in Zeiten, in denen Polizei überall unterbesetzt ist, weltweit Kriege lodern und Millionen Menschen unterwegs sind, von denen die einen zutiefst traumatisiert sind, die nächsten völlig aus einem geregelten Leben geworfen und etliche wohl auch so sehr seelisch zerstört, dass sie selber zur Gefahr werden.

Wer das alles aufbereitet, der beschäftigt sich tatsächlich einmal mit der Realität und dem, was getan werden könnte, um die Zahl solcher gewalttätigen Übergriffe zu minimieren. Nicht zu vergessen: Die Fehlstellen unserer eigenen Gesellschaft gehören ebenfalls in dieses Bild – bis hin zu Armut, prekärer Kindheit und der verbalen und visuellen Gewalttätigkeit etlicher unserer eigenen Medien.

Wer das alles verklärt, hilft auch mit panischen Appellen an Stadt und Polizei nicht weiter.

Aber der liefert den größten Verklärern in unserer Gesellschaft Munition.

Und diese Verklärer sind die heimischen Rechtsradikalen – von AfD über NPD bis hin zur ganz rechtsextremen Partei „Der dritte Weg“, die auch in Leipzig einen namhaften Ableger hat und sich die Gelegenheit – wie man sieht – nicht entgehen ließ, sich in ein süßes, nettes Schäfchen zu verwandeln und im Gewand freundlicher Empfehlungen an die „lieben Joggerinnen und Jogger“ ihre Vorurteile gegenüber Asylsuchenden anbrachte. Die ja eher keine Vorurteile sind, sondern ganz bewusste Diffamierung „südländisch aussehender Männer“ und der Bewohner von Asylunterkünften.

Man mimt den gutmeinenden Onkel. Was man den Leuten, wenn man ihnen in natura begegnet, nur noch schwer abnimmt. Denn da mimen sie eher auf böser Onkel, laufen gern „in einer größeren Gruppe“ herum und freuen sich mächtig, wenn sie mit ihrem Auftreten andere, vor allem schwächere Menschen in Angst und Schrecken versetzen.

Sie tragen selbst nicht wirklich etwas zu einem Gefühl von mehr Sicherheit bei. Und wer ihnen im Rosental in abendlicher Stunde allein begegnet, sollte vielleicht wirklich schleunigst Reißaus nehmen.

„Ich finde es schockierend und echt krass, dass das da so rumhängt! Hätte es gern abgerissen, ging aber leider nicht“, schrieb uns der Leser, der auch das Foto schickte von diesem Plakat, das gleich noch mit Kabelbinder am Mast festgezurrt war. Allein das macht schon bildhaft, aus welcher Geisteswelt die Verfasser kommen. Nach außen hin sehr romantisch, regelrecht heimelig: „arglose deutsche“ Frauen, deutsches Heim, deutsches Bier … aber hintenrum.

Da sind wir mal wieder bei Heines „Deutschland. Ein Wintermärchen“, das die romantisierenden Kraftprotze ja auch gern zitieren (neben dem anderen Heine-Gedicht: „Denk ich an Deutschland …“). Verstanden haben sie beides nicht. Aber wir zitieren einfach mal aus Caput 1, wo es so treffend zu diesen ganzen Eiapopeia-Sängern heißt:

„Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,
Ich kenn auch die Herren Verfasser;
Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
Und predigten öffentlich Wasser.“

„Multikultiterrorismus“, „irrsinnige Einwanderungspolitik“ – solche Phrasen hört man auch von anderen Parteien, die das Eiapopeia-Lied noch viel süßlicher singen, aber genau dasselbe meinen, die selbe Verachtung gegen Menschen aus anderen Ländern und Sprachen an den Tag legen und dann gern den Saubermann spielen. Genau da fängt der Rassist an, der Chauvinist, der glaubt, besser zu sein als alle anderen.

Die einen hängen ihre menschenverachtende Botschaft dann eben mit Fixierbändern in den Park, die nächsten plakatieren auf riesigen Plakatwänden und fordern, dass damit Schluss gemacht werde, weil sie jeden Funken Menschlichkeit verachten.

Nichts von beidem ist irgendeine Spur besser. Es missbraucht Vorfälle, die für sich tragisch genug sind, um ihre Menschenverachtung als Lösung für alle anzupreisen. Und wie bekommt man diese Gedanken in die Welt? Indem man Angst macht und diese Angst mit irrlichternden Feindbildern und Unterstellungen immer wieder bestärkt. Das ist das Rezept, mit dem man den Rassismus wieder gesellschaftsfähig zu machen versucht. Und das geht nur auf die irrationale Weise: da schwiemelt und wabert was. Und wahrscheinlich haben die Herren Verfasser sich auch noch mächtig auf die Schenkel geklopft, als sie diesen Text verfassten und gegenseitig vorlasen und sich richtig toll dabei fühlten, was sie da wieder für einen schrecklich tollen Text zuammengebaut haben.

Diese lieben Onkels mit ihrem langen Vorstrafenregister.

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