Satire, sagt man, sei eine angemessene Form der Notwehr gegen die Absurditäten des Lebens. Angesichts eines ehemaligen US-Präsidenten, der sich wegen der Schweigegeldzahlung an einen Pornostar vor Gericht wiederfindet, fällt es Satirikern zweifellos immer schwerer, sich gegen die Absurditäten der Realität mit Hilfe ihrer Kunst angemessen zur Wehr zu setzen. Wie heute aufgrund eines Artikels in der britischen Tageszeitung The Guardian bekannt wurde, hat neben Trump in New York City auch Russland durchaus einige Neuigkeiten zu bieten, die den Eindruck von Satire erwecken, obwohl sie – leider – der Realität entsprechen.

Falls eines Tages ein eher ironisch bis satirisch verfasstes Handbuch für Diktatoren veröffentlicht werden wird, gebühren den Angaben, die Gleb Karakulow, ein hochrangiger russischer Sicherheitsoffizier, über Alltag und persönlichen Lebensstil Wladimir Putins machte, darin ein Ehrenplatz.

Karakulow, der bereits im Oktober vergangenen Jahres in den Westen fliehen konnte, zählt zu den ranghöchsten Geheimdienstmitarbeitern, der seit dem Beginn des russischen Krieges in der Ukraine übergelaufen sind.

Die britische Tageszeitung The Guardian konnte ein offenbar umfassendes Interview der Organisation „Dossier-Center“ mit Karakulow auswerten. „Dossier Center“ wurde von dem im Exil lebenden russischen Milliardär Michail Chodorkowski gegründet.

Karakulows Aussagen bestätigten Vermutungen über ein geheimes Zugnetz, das dem russischen Präsidenten zur Verfügung stehe, identische Büros, die er in verschiedenen Städten unterhält, eine strenge persönliche Quarantäne und stetig eskalierende Sicherheitsprotokolle, auf denen Putin aus Angst um sein Leben besteht.

Karakulow, der als Hauptmann in einer Eliteeinheit diente, die mit dem Schutz hochrangiger russischer Beamte betraut ist, sagte, viele der genannten Maßnahmen seien dazu gedacht, den Aufenthaltsort des russischen Präsidenten zu verschleiern, von dem er behauptet, dass sein Alltag von einer „pathologische Angst um sein Leben“ geprägt sei.

Der 36-jährige Überläufer gab an, Putin setzte deswegen, so oft es möglich sei, auf einen Zug als Transportmittel, weil er darauf vertraue, dass der nur schwer von seinen Gegnern aufgespürt und verfolgt werden könne.

Das russische Investigativmedium „Projekt“ hatte bereits zuvor über die Existenz von einem geheimen Bahnnetz berichtet, das über parallele Strecken und Haltepunkte in der Nähe von Putins Wohnsitzen verfüge.

The Guardian konnte bestätigen, dass Karakulow mit Putins engstem Kreis gereist ist und als Mitglied des sogenannten Außenteams der Direktion für Präsidialkommunikation, damit befasst gewesen war, Kommunikation hochrangiger russischer Beamter zu verschlüsseln.

In seinem Interview beschrieb Karakulow einen virtuellen Staat im Staate, zu dem nicht nur Feuerwehrleute und Ingenieure zählen, sondern auch Lebensmitteltester, die Putin auf seinen Auslandsreisen begleiten. „Sie nennen ihn den Boss, verehren ihn in jeder Hinsicht und sprechen immer nur mit diesen Worten über ihn.“

Karakulow bezeichnete Putin als „Kriegsverbrecher“ und sagte:  „Unser Präsident hat den Kontakt zur Welt verloren. Er hat in den letzten Jahren in einem Informationskokon gelebt und die meiste Zeit in seinen Residenzen verbracht, die die Medien zutreffend als Bunker bezeichnen. Er hat krankhafte Angst um sein Leben. Er umgibt sich mit einer undurchdringlichen Barriere aus Quarantänen und einem Informationsvakuum. Er schätzt nur sein eigenes Leben und das Leben seiner Familie und Freunde.“

Der Überläufer bestätigte außerdem, dass Putin sich bei seinen Informationen stark auf die Berichte seiner Sicherheitsdienste verlässt. Weder benutzt der russische Präsident ein Mobiltelefon noch das Internet. Putin erhalte ausschließlich Informationen aus seinem engsten Kreis.

Putin befände sich zudem immer noch in Quarantäne und bestehe darauf, dass alle Mitarbeiter, die im selben Raum mit ihm arbeiten, eine zweiwöchige Quarantäne über sich ergehen lassen.

Karakulow bestätigte, dass Putin identische Büros in St. Petersburg, Sotschi und seinem zeitweiligen Wohnsitz Nowo-Ogarjowo benutzte. Die russischen Geheimdienste verschleierten mit Autokolonnen und zum Schein abfliegenden oder ankommenden Flugzeugen Putins Reisen. Was dazu dienen soll, sowohl ausländische Geheimdienste über die Reiserouten des russischen Präsidenten im Unklaren zu halten, wie dazu Anschläge auf Putins Leben zu erschweren.

Karakulow zufolge hätten sich Putins Verhalten und Lebensstil mit dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie im Jahr 2020, erheblich verändert.

„Er hat sich von der Welt abgekapselt. Sein Blick auf die Realität ist verzerrt“, charakterisiert der ehemalige Hauptmann die Veränderungen in Putins Alltag.

Nachdem er eine Flucht mehrmals verschieben musste, weil er sichergehen wollte, dass seine Familie bereits Russland verlassen habe, bevor er selbst eine Heimat verließ. Sein derzeitiger Aufenthaltsort ist unbekannt. The Guardian bestätigte allerdings, dass das russische Innenministerium nach Gleb Karakulow fahnde.

Nach eigenen Angaben sei er ein Gegner der russischen Invasion in der Ukraine.

Während das strenge Quarantäneregime, dem Putin sich offenbar unterwirft, Gerüchte befeuert hat, dass der russische Präsident ernsthaft krank sei oder unter Komplikationen einer Corona-Infektion leide, sagte Karakulow, dass er persönlich keine Anzeichen dafür bemerkt habe, dass es Putin körperlich schlechtgehe.

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