„Eine ,Klatsche‘ für den OBM“, nennt es Lutz Weickert, der sich seit Jahren gegen den Lärm am Flughafen Leipzig/Halle engagiert, was da am Donnerstag, 9. Juli, im Leipziger Stadtrat passierte. Dort kam zu später Stunde die neue „Stellungnahme der Stadt Leipzig zu geänderten Teilen des Regionalplanentwurfs Leipzig-Westsachsen“ zur Abstimmung – plus zwei Änderungsanträge. Doch was die Leipziger/-innen da erlebten, war gelebte Demokratie pur. Und ein dreifacher Misstrauensantrag gegen die bürokratischen Schattenkriege all derer, die den Flughafen immer weiter ausbauen wollen.

Auch diese Frage stand am Ende glasklar im Raum. Selbst Oberbürgermeister Burkhard Jung brachte auf den Punkt, was gerade der Änderungantrag aus dem Ortschaftsrat Lützschena-Stahmeln bedeutete. Der hatte in seinem Änderungsantrag zur neuen Stellungnahme der Stadt die Formulierung der Stadt „Er ist angesichts der stark wachsenden Verkehrsnachfrage, insbesondere für den Frachtverkehr für den Wirtschaftsraum Leipzig-Halle auszubauen“ um den Nebensatz ergänzt: „wenn hierbei sichergestellt ist, dass eine zusätzliche Belastung durch Lärm- und Luftschadstoffen ausgeschlossen ist.“

Das sei zwar möglich, wie SPD-Stadtrat Andreas Geisler betonte, wenn die Fluggesellschaften ihren teils über 30 Jahre alten Flugzeugpark durch modernste Flugzeuge ersetzen würden, die bis zu 60 Prozent weniger Schadstoffe ausstoßen.

Aber das würde Jahre dauern, sagte Jung. Und versuchte dem Stadtrat regelrecht einzuhämmern, dass es zur Wahrheit gehört, dass es einen Flughafenausbau nur geben kann, wenn man akzeptiert, dass es auch zu steigenden Emissionen kommt. So ehrlich müsse man mit den Betroffenen reden.

Noch gehört der Frachtflughafen mit seine Arbeitsplätzen zum Kern der Metropolregion Leipzig. Das stimmt. Auch in der Corona-Zeit flogen die Frachtflieger weiter wie bisher. Und dass die Flughafenbetreiber mit den Anrainern auch anders umgehen könnten, bestätigte selbst Dr. Andreas Berkner, der Leiter des Planungsverbandes Westsachsen, kürzlich in einem LVZ-Interview. Da sprach er das schöne Wort vom „Appell der guten Nachbarschaft“.

Doch von einer guten Nachbarschaft kann seit der Eröffnung der Startbahn Süd 2007 keine Rede sein. Die Flughafennutzer sitzen ganz unübersehbar am längeren Hebel, können ihre Interessen selbst im Planungsverband Westsachsen durchsetzen, was ja gerade Leipzig erlebte, dessen 2018 vom Stadtrat abgestimmte Stellungnahme vom Planungsverband nur teilweise übernommen wurde.

Eigentlich schlimm genug. Denn alle nicht übernommenen Teile betrafen direkt die Interessen von Unternehmen, die auf Kosten der Allgemeinheit ihre Geschäfte betreiben – von der Flughafengesellschaft über das Kiesabbauunternehmen, das unbedingt neuen Zugriff auf die Kieslager bei Großpösna bekommen möchte, bis hin zum Kiesunternehmen, das die Abstandsregel von 300 Meter zur Wohnbebauung bei Rückmarsdorf aufweichen möchte. Gegen all das hatte sich Leipzig 2018 deutlich geäußert.

Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau blieb zwar sehr gelassen, als sie all diese Punkte benannte, wo Leipzig augenscheinlich mit seinem Selbstbehauptungsrecht den Interessen einiger Unternehmen im Weg steht, aber ganz konnte sie ihre Enttäuschung darüber, dass diese wenigen und eindeutigen Punkte nicht übernommen wurden, nicht verbergen. Obwohl seit sieben Jahren an der Fortschreibung des Regionalplans gearbeitet wird.

Doch wenn er jetzt nicht beschlossen wird, bleibt der alte von 2008 in Kraft, betonte sie. Denn in den vergangenen zwölf Jahren haben sich so viele Gesetze und Rahmenbedingungen verändert, dass eigentlich auch der jetzige Regionalplan schon veraltet ist. Insbesondere die Fragen des Klimawandels werden viel zu wenig berücksichtigt.

Aber wenn der 2020er nicht beschlossen wird, bleibt der 2008er in Kraft, der die Interessen Leipzigs noch viel weniger abbildet.

Dass die Grünen in ihrem Änderungsantrag alle die vom Regionalen Planungsverband nicht übernommenen Formulierungen noch einmal dezidiert einfügten, konnte auch Dubrau akzeptieren. Der Änderungsantrag der Grünen wurde von der Verwaltung komplett übernommen.

Vom Änderungsantrag des Ortschaftsrats Lützschena-Stahmeln übernahm die Verwaltung erst einmal nur Punkt eins, wo es um eindeutigere Formulierungen ging.

Punkt 2, wo es eigentlich um die technischen Voraussetzungen ging, damit überhaupt eine konfliktlose gleichzeitige Nutzung beider Landebahnen am Flughafen möglich wird, sei eigentlich Sache des Freistaats, betonte CDU-Stadträtin Siegrun Seidel. Denn geplant waren 2004 vier Rollbrücken über die Autobahn – gebaut aber wurden nur drei. Genau die eine vierte fehlt, um eine gleichmäßige Nutzung beider Startbahnen zu ermöglichen.

Sollte man also so eine Art Bitte an den Freistaat schreiben, das Ding endlich zu bauen?

Und Punkt 3 enthielt ja die von Burkhard Jung so besonders hervorgehobene Passage. So weit wollten nun Bert Sander aus der Grünen-Fraktion und Andreas Geisler aus der SPD-Fraktion noch nicht gehen, laut und deutlich zu sagen, dass es genau darum geht: Dass es ein Unding ist, eine Flughafenerweiterung mit weiter steigenden Emissionen auch nur zu denken, während der Stadtrat nur Stunden zuvor über die Brisanz des Klimawandels gesprochen hat.

Es ist schon ein Kompromiss, wenn der Leipziger Stadtrat eine Erweiterung des Flugbetriebes zugesteht, wenn die Emissionen dabei nicht steigen.

Und die logische Folge aus Burkhard Jungs Einwurf ist: Wenn das die Betreiber nicht hinbekommen, dann verbietet sich ein Flughafenausbau in diesen Zeiten geradezu.

Den vierten Punkt hätte der Stadtrat durchaus ablehnen können, weil es sicherlich schneller geht, wenn die Stadt Leipzig auf ihrem Territorium den Flächennutzungsplan an der B6 so ändert, dass dort sofort ein Lärrmschutzwald gepflanzt werden könnte.

Aber das, was Sander, Geisler und Jung nicht auszusprechen wagten, wurde dann dennoch zur Entscheidung, selbst dann, wenn die versteckten Mehrheiten im Planungsverband die Punkte dann trotzdem ignorieren. Denn mit seinen drei Voten, mit denen drei von der Verwaltung abgelehnte Punkte vom Stadtrat angenommen wurden, hat Leipzigs Stadtrat klar und deutlich gesagt, dass Leipzig nicht hinter all den Plänen von Flughafenbetreibern und -nutzern, von Landes- und Bundesregierung steht, den Flughafen Leipzig/Halle zum „europäischen Frachtdrehkreuz“ auszubauen.

Dagegen hat sich der Stadtrat schon 2018 ausgesprochen. Und indem die Stadträt/-innen mehrheitlich die drei von der Verwaltung nicht gewollten Punkte aus dem Änderungsantrag von Lützschena-Stahmeln positiv votierte, machten sie eben auch deutlich, dass der Klimanotstand für sie nicht an der Stadtgrenze endet.

Dass auch der Flughafen seinen Beitrag zu bringen hat, die Schadstoffemissionen massiv zu senken. Anders ist er nicht mehr ernst zu nehmen und schadet der Region mehr, als er ihr nutzt.

Die Debatte vom 9. Juli 2020 im Stadtrat

Video: Livestream der Stadt Leipzig

Leipzigs Einsprüche zum Regionalplan Westsachsen in Sachen Flughafenerweiterung wurden fast alle ignoriert

Leipzigs Einsprüche zum Regionalplan Westsachsen in Sachen Flughafenerweiterung wurden fast alle ignoriert

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Keine Kommentare bisher

Ich verstehe das Lob an den Stadtrat, sich nochmals oder endlich zu selbstverständlichen und logischen Standpunkten zu äußern.

Nur, was nützt das Blöken eines Schafes in einer Herde von 3 Schafen, wenn dies der Schäfer stetig absichtlich überhört?

Und, wer ist eigentlich der Schäfer? Wer legitimiert diesen Planungsverband und “passt auf diesen auf”?

Wie kann es sein, dass die Nutzer des Flughafens in der Überzahl sind, wenn es um Anliegerentscheidungen geht?

Und zum Donnerwetter, wie kann die Bundesregierung mitten im Klimawandel beschließen, in Leipzig einen Flughafen ausbauen zu lassen?

Wer da nicht zum Wutbürger wird…

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