In der Ratsversammlung am Mittwoch, 21. April, wird der Bebauungsplan Nr. 392 „Wilhelm-Leuschner-Platz“ zur Entscheidung auf der Tagesordnung stehen. Und neben der fehlenden Grünstrategie für das Areal wird auch die Markthalle diskutiert werden. Denn nach dem Gutachten, das die Verwaltung in Auftrag gegeben hat, geht auf einmal ein Riss durch die Fraktionen. Dabei war es nicht mal ein Gutachten.

Offiziell ist es nur eine Tragfähigkeitsanalyse, die das Fürther Unternehmen Standort & Kommune Beratungs GmbH und Steinbauer Strategie für die Stadt Leipzig erstellt hat. Was wir auch so analysiert haben – mit Hinweis auf die Leerstellen, die man schlicht nicht übersehen darf.Das beginnt mit der Bürgerbefragung, die das beauftragte Unternehmen eben nicht an die Leipziger Bürgerumfrage gekoppelt hat, sondern online selbst unternommen hat. Sie ist entsprechend nicht aussagekräftig. Was der Bericht auf Seite 53 auch sehr deutlich anführt. Man kann daraus nichts ableiten.

Noch schlimmer ist es mit der Händlerbefragung, der gerade einmal 53 befragte Händler zulieferten. Das hat mit Repräsentativität nichts zu tun.

Und was den möglichen Marktanteil einer Markthalle in Leipzig ausmachen könnte, wurde auch nur versucht, anhand existierender Marktdaten zu errechnen. Zugrunde gelegt hat das Unternehmen dem Ganzen eine reine Rentabilitätsberechnung.

In der Kurzform liest sich der Ansatz so: „Darstellung der untersuchungsrelevanten nachfrageseitigen/absatzwirtschaftlichen Rahmendaten und Entwicklungen:

Einleitend sind die für die Bewertung der Fragestellungen relevanten Parameter und Kennziffern in ihrem aktuellen Bestand und ihrer Entwicklung charakterisiert worden. Dabei wurde der Fokus insbesondere auf folgende Themen gerichtet:

Kurzdarstellung der bundesweiten Entwicklungstrends für die relevanten Marktsegmente (Bio-Lebensmittel, Gastronomie, Markthallen, etc.)

Charakterisierung der spezifischen Leipziger Rahmenbedingungen.“

Im Ergebnis errechnet man dann nur für eine Markthalle mit angeschlossenem Supermarkt genug Mieteinnahmen übers Jahr, die eine rentable – heißt: gewinnträchtige – Betreibung der Markthalle als machbar aufzeigt.

Hat die SPD-Faktion deshalb nun zu einem Bremsversuch geschrieben?

Sie hat einen Änderungsantrag geschrieben, in dem sie als Antragspunkte formuliert hat: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, im Rahmen des weiteren Bebauungsplanverfahrens, spätestens vor Ausschreibung der und/oder Beginn der Bauplanung für die Sonderfläche ,Überbaute Markthalle‘ dem Stadtrat den Sachverhalt zur nochmaligen Entscheidung vorzulegen. In einer Beschlussvorlage soll die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt, insbesondere die Situation des Einzelhandels in der Innenstadt und der Südvorstadt aktualisiert analysiert werden. Sollte im Ergebnis der Analyse feststehen, dass die Sonderfläche ,Überbaute Markthalle‘ nicht realisiert werden kann, legt der Oberbürgermeister dem Stadtrat einen alternativen Vorschlag zur Bebauung vor.“

Und das begründet die Fraktion mit direktem Verweis auf die Tragfähigkeitsanalyse: „Das dem Stadtrat vorgelegte Gutachten zur Qualifizierung einer Markthalle sagt aus, dass diese wirtschaftlich nur im Zusammenhang mit dem Bau eines Supermarktes von 1.500 m² betrieben werden kann. Aufgrund der derzeitigen Situation des Einzelhandels der Stadt Leipzig (Corona-Pandemie) ist nicht auszuschließen, dass – trotz Bemühungen die Pandemie abzufedern – Ladenflächen in der Innenstadt leer stehen werden.

Es ist daher zum jetzigen Zeitpunkt geboten, vor Ausschreibung und/oder Bauplanung einer Markthalle einen Haltepunkt einzulegen, um die Gesamtsituation zu analysieren und insbesondere zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf das städtische Wirtschaftsleben vor einer finalen Entscheidung über eine Bebauung mit dem Stadtrat im Detail zu erörtern. Sollte die Analyse ergeben, dass eine Markthalle mit Supermarkt nicht realisiert werden kann, ist zu untersuchen, welche städtischen Nutzungen auf der Sonderfläche Platz hätten und diese Alternativen dem Stadtrat zur Beschlussfassung vorzulegen. Eine Änderung des B-Planes ist dann unverzüglich einzuleiten.“

Aber da ist noch ein zweiter Antrag der SPD-Fraktion. Prof. Getu Abraham und Anja Feichtinger  haben jetzt einen eigenen Antrag formuliert. In dem heißt es: „Der Beschlussvorschlag wird wie folgt ergänzt:

1. Der Oberbürgermeister wird beauftragt, im Rahmen des weiteren Bebauungsplanverfahrens, die architektonischen und städtebaulichen Leitlinien unter den Prämissen

– Harmonisierung Traufhöhen Grünewaldstraße

– Markthallenkomplex in historischen Grenzen und variablen Durchwegungen – Erschließungskonzept

– Harmonisierung Binnenplatz – maßstäbliche Zuwegungen

– Freistellung Eingangsbauwerk Bowlingtreff/Naturkundemuseum und dessen stadträumlichen Umrahmung

– Rahmensetzungen für Freifläche – Blick Stadtbibliothek – Weg und Bäume Westseite – Spürbarkeit Königsplatz

im Fachforum der Stadt Leipzig, dem Gestaltungsforum, zu diskutieren und die Ergebnisse bis Satzungsbeschluss in den B-Plan einzuarbeiten.

2. Der Oberbürgermeister legt dem Stadtrat, vertreten durch die Mitglieder des Fachausschusses Stadtentwicklung und Bau, vor Ausschreibung des Wettbewerbs zur Freiflächengestaltung den Ausschreibungstext zur Abstimmung vor.“

Der Antrag legt zwar endlich einen Schwerpunkt auf die Freiflächengestaltung, die bislang sehr stiefmütterlich behandelt wurde. Aber er beinhaltet eben auch die geplante Markthalle, für die er ein Erschließungskonzept und eine Durchwegung fordert.

Ob die ganzen Rentabilitätsberechnungen in der Tragfähigkeitsanalyse hinhauen, wird in der Verwaltung niemand sagen können. Dort sitzen keine Unternehmer. So detailliert, wie es das Tragfähigkeitskonzept vorgaukelt, werden Planungen in der Regel erst, wenn wirklich ein Betreiber darangeht, einen rentablen Betrieb zu organisieren.

Und insofern haben Feichtinger und Abraham auch recht, dass sie die Verwaltung mit ihrem Antrag daran erinnern, dass das Funktionieren einer Markthalle zuallererst davon abhängt, ob die Stadt hier ein attraktives Viertel gebaut bekommt, in dem die Leipziger/-innen gern unterwegs sind – auch weil die Plätze mal keine Parkplätze sind, es Grünanlagen, kleinere Geschäfte und Gaststätten und dergleichen mehr gibt.

Aber warum dann der erste SPD-Antrag. Immerhin nur zu verständlich ist die Angst, dass die Pandemie und der Wildwuchs bei den Immobilienpreisen attraktive Verkaufsangebote in deutschen Innenstädten bald völlig unmöglich machen werden. Und der Preisauftrieb auch in Leipzigs City erzählt nun einmal keine positive Geschichte, sondern sorgt mittlerweile dafür, dass immer mehr Ladenflächen für regionale Angebote unbezahlbar werden. Dieses Modell hat die Tragfähigkeitsanalyse leider auch über die Markthalle gelegt.

Update, 20. April: Anja Feichtinger und Prof. Getu Abraham betonen, dass ihr gemeinsamer Antrag nicht darauf abzielt, das Projekt Markthalle jetzt zu stoppen. Eher im Gegenteil. Denn zum jetzigen Zeitpunkt könne noch niemand wirklich belastbar sagen, ob und in welcher Form eine Markthalle an diesem Standport funktionieren könne.

Es wäre also klug, hier mit dem Beschluss zum Bebauungsplan noch keine Vorfestlegungen zu treffen, sondern lieber zu warten, bis die Bebauung der ursprünglichen Markthallenfläche in drei bis fünf Jahren tatsächlich spruchreif wird. Dann wäre der Zeitpunkt gekommen, auch im Stadtrat wirklich eine belastbare Entscheidung zu treffen.

Das steckt in dem Beschlusspunkt: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, im Rahmen des weiteren Bebauungsplanverfahrens, spätestens vor Ausschreibung der und/oder Beginn der Bauplanung für die Sonderfläche ‘Überbaute Markthalle’ inklusive Supermarkt dem Stadtrat den Sachverhalt zur nochmaligen Entscheidung vorzulegen.“

Denn die erfolgreichen Markthallen, die es europaweit gibt, funktionierten allesamt ohne einen integrierten Supermarkt. Und so sieht es wohl auch die Stadtratsmehrheit, dass eine Markthalle an der Stelle nur attraktiv ist, wenn nicht gleich daneben wieder ein Supermarkt die Kundschaft abfängt.

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Als vor einigen Jahren der Grüne Tim Elschner verlauten ließ, dass in Leipzig eine Markthalle ohne einen Supermarkt nicht entwickelbar sei, ist für mich das schöne Projekt an die Wand gefahren worden.

Später kam dann – um anhaltende Sehnsüchte nach einer supermarktfreien Markthalle wegzuquatschen – von den Leipziger Grünen der absurde Vergleich mit der über hundert Jahre alten Markthalle in Breslau.

Es gibt im gebrauchten Westen einige, sehr erfolgreiche Markthallen. Die Kleinmarkthalle in Frankfurt am Main dürfte recht bekannt sein. Hat auch keinen Supermarkt.

Leipzig ist in der Tat zu arm für eine Markthalle im Feinkostmodus. Die Konzernzentrale auf dem Matthäikirchhof wird das auch nicht rausreißen…. Träumer im Neuen Rathaus.

Man sollte lieber mit den normalen Wochenmarkthändlern reden. Wenn der Markt nun auf dem Markt stattfindet oder auf dem Augustusplatz, weil die Stadt ihr Altes Rathaus wiedermal als Kulisse verhökert – dann kann sie auch auf den Leuschnerplatz ziehen.

Wenn das Verkehrsamt für eine bessere Zuwegung von der Innenstadt aus sorgen würde (die müsste nämlich über den Roßplatz erfolgen), könnte das sogar richtig attraktiv werden.

Aber das wird nicht klappen. Nicht in Leipzig. Die Träumer im Neuen Rathaus wollen sich ihre Canapés dann direkt aus der chicen Neuen Markthalle anliefern lassen…

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