Am 31. August, am letzten Feriensonntag, sind Wahlen in Sachsen. Der Wahlkampf fällt mitten in die Urlaubszeit. "Das hat doch die Landesregierung gut hingetrickst, oder?", fragt Holger Mann - und schmunzelt. Auch Dirk Panter schmunzelt am Donnerstag, 17. Juli, beim Pressetermin. Noch ist zwar nicht Wahlkampfauftakt. Für die SPD geht's am 6. August erst so richtig los. "Aber wir machen Wahlkampf mit nach oben gezogenen Mundwinkeln", sagt Panter.

Dirk Panter und Holger Mann sind die beiden SPD-Abgeordneten, die Leipzig seit 2009 im Sächsischen Landtag vertreten. Damals fuhr die SPD, nachdem sie fünf Jahre lang der kleine Koalitionspartner der CDU war, ein niederschmetterndes Wahlergebnis von 10,4 Prozent ein. Dabei hatte man fünf Jahre lang damit zu tun, überhaupt Handlungsspielräume in einem Staatsapparat zu gewinnen, der bis 2004 allein von der CDU dominiert worden war. Nahtlos schlüpfte dann die FDP in die Rolle des Juniorpartners.

Fünf Jahre später sitzt die CDU genauso fest im Sattel und hat die Gelegenheit genutzt, ein gewaltiges Kürzungsprogramm anzuschieben, das wichtige Teile der sächsischen Verwaltung lahm zu legen droht. Oder – was die SPD noch bedrohlicher findet – die Zukunftsfähigkeit des Landes gefährdet. Symptomatisch sei dafür die Gegenstimme Sachsens gegen den Mindestlohn, sagt Dirk Panter. Als einziges Bundesland. Als könne der Freistaat auch 24 Jahre nach der Neugründung als Billiglohnland Erfolg haben. Aber die Zeiten sind vorbei. Schon seit zehn Jahren ist der Aufholprozess gegenüber den westlichen Bundesländern zum Stocken gekommen. Das trifft auch auf das Lohnniveau zu. Dort liegt der Freistaat gerade einmal auf Rang 13 von 16 Bundesländern. Und er droht jetzt gleich auf mehreren Gebieten den Anschluss zu verlieren.

Angefangen bei Hochschulbildung und Forschung, wo Wissenschaftsministerin von Schorlemer die Schere angesetzt hat, die Henkersarbeit aber von den Hochschulleitungen in Chemnitz und Leipzig machen lässt, bis zum Fehlen von vollwertigen Arbeitsplätzen für ausgebildete Wissenschaftler. “Es kann nicht sein, dass Sachsen all diese Leute ausbildet und dann einfach ziehen lässt nach NRW oder Bayern”, sagt Dr. Maximilian Rinck. Er ist einer von den sieben Direktkandidaten, mit denen die Leipziger SPD in den Landtagswahlkampf zieht. Promovierter Physiker, Mitarbeiter der Leipziger Strombörse EEX. Eine zukunftsfähige Forschungs- und Wirtschaftspolitik sieht er derzeit in Sachsen nicht. Gut ausgebildete Akademiker packen ihre Sachen und ziehen weg. “Das muss sich ändern, wenn Sachsen sich zukunftsfähig entwickeln soll”, sagt Rinck. Nicht nur Ingenieure werden gebraucht, sondern auch Geisteswissenschaftler. Und wenn gleich mal Institute wie das der Pharmazie auf der Abschussliste stehen, dann schade das direkt dem Wirtschaftsstandort Leipzig.

Eigentlich wollen die sieben Kandidaten an diesem Sonnentag am Tisch im Hof des Volkshauses nur so ein bisschen erklären, wofür sie stehen und was sie für ihr Leipzig gern ändern würden.

Das Ergebnis aber ist eine kleine Generalabrechnung mit der derzeitigen Landespolitik. Denn nicht nur die Zukunftsfähigkeit der Hochschulen geht den Bach runter. Dass in Leipzigs Schulen die Lehrer fehlen, bekommen mittlerweile alle Eltern mit. Von falschen Versprechen redet Holger Mann, als er auf die Personalpolitik der aktuellen Kultusministerin Brunhild Kurth zu sprechen kommt. Selbst die versprochenen 1.000 neuen Lehrer seien eine Mogelpackung, reichen würden sie nicht ansatzweise. “Wir fordern 500 Neueinstellungen mehr”, sagt Mann.

Und nicht nur in Schulen wird das Personal völlig gegen Bedarf und Kassenlage ausgedünnt. Die “Polizeireform 2020” zeigt längst ihre Folgen. Nicht nur in den Landkreisen merken es die Bürger, dass die Polizei immer seltener kommt. Auch in der Großstadt, wie Irena Rudolph-Kokot aus den Bereisungen ihres Wahlkreises im Leipziger Nordosten erzählt. Da sind Neustadt-Neuschönefeld und Volkmarsdorf genauso drin wie die im Jahr 2000 eingemeindeten Dörfer am Stadtrand, wo die Angst auch schon umgeht. Auch die Bewohner der Einfamilienhäuser machen sich mittlerweile Sorgen um ihre Sicherheit. Und in Leipzig macht sich bemerkbar, dass Einsatzkräfte zur Verfolgung der Drogen- und Beschaffungskriminalität fehlen. Das Problem Crystal ist auch deshalb ein Problem, weil es der Polizei am nötigen Personal fehlt, den Druck aufrecht zu erhalten.

Und die nächsten Probleme tauchen ja schon auf am Horizont: Das Leipziger Bevölkerungswachstum sorgt dafür, dass spätestens in zwei Jahren der Wohnraum knapp wird. Erst recht der bezahlbare. Die Programme für sozialverträglichen Wohnungsbau müssten längst in Gang kommen. Doch die Landesregierung zögert, stellt die Mittel dafür nicht bereit, weil die Landkreise eher Geld für Abriss und Rückbau brauchen.

Auch das ein Thema, so Dirk Panter: Es brauche in Sachsen endlich eine Politik, die die unterschiedlichen Entwicklungen in den ländlichen Räumen und in den drei Großstädten berücksichtige.

Dabei hat er mit Holger Mann gemeinsam erst einmal belegt, dass die sächsische Landesregierung die Stadt Leipzig sogar direkt benachteiligt. Ein Aufreger-Thema war, als beide herausbekamen, dass die schlechte Fördergeldausstattung Leipzigs für Schulneubau keine Einbildung besonders sensibler Stadträte war. Sie war Fakt: Gemessen an der Bevölkerung bekam die Landeshauptstadt Dresden fast drei Mal mehr Fördermittel für Schulbau als Leipzig.

“Das ist immerhin eine Sache, die wir sogar aus der Opposition heraus ändern konnten”, sagt Mann. 2013 lenkte die Staatsregierung ein, stellte sogar Extra-Mittel für die drei Großstädte bereit. Ergebnis: Leipzig konnte am 16. Juli erstmals melden: “Stadt Leipzig ruft Fördermittel für Schulhausbau vollständig ab. – In diesem Jahr wird die Stadt Leipzig 45 Millionen Euro für den Schulhausbau einsetzen, 18 Millionen Euro davon sind Fördermittel.”Einen anderen Verschiebebahnhof konnten Mann und Panter nur aufdecken, noch nicht beenden: die drastische Benachteiligung Leipzigs bei der Co-Finanzierung der Kosten der Unterkunft. “Jedes Jahr werden Leipzig 30 Millionen Euro auf diese Weise entzogen”, sagt Dirk Panter. “In den vergangenen Jahren insgesamt 300 Millionen Euro. Das will schon was heißen.”

Einfach mal zur Größenordnung: Leipzigs Stadtrat müsste nicht über ein Defizit von 16 oder 17 Millionen Euro im Haushalt 2014 diskutieren, wenn Leipzig bei den Kosten der Unterkunft von der Staatsregierung nur genauso behandelt würde wie alle anderen sächsischen Kreise. Oder anders formuliert: Das Leipziger Haushaltsdefizit wird in Dresden produziert.

Es gäbe also eine Menge Punkte, die man als unabdingbar auf die Plakate schreiben könnte, bevor es in Dresden auch nur zur Koalitionsverhandlung kommt.

“Mal sehen”, sagt Dirk Panter, der auch Generalsekretär der sächsischen SPD ist. Die Wahlkampfthemen will Martin Dulig, der SPD-Spitzenkandidat, Anfang August selber nennen. Und auf den Plakaten werden sie auch auftauchen. “Wir werden schon deutlich”, sagt Panter.

Der aber eins noch nicht sieht: Eine mögliche Alternativ-Koalition Rot-Rot-Grün. “Das geben die Zahlen noch nicht her”, sagt er. Aktuell werden der SPD bei der Landtagswahl zwischen 13 und 16 Prozent prognostiziert.

“Wir haben uns den Prozentzuwachs einfach verdient”, sagt Panter. Und wünscht sich 20 SPD-Abgeordnete im neuen Landtag. Mindestens. Jetzt sind es nur 14. Bei 20 wäre auch Eva Brackelmann, die im Leipziger Westen als Direktkandidatin antritt, mit drin im Landtag. Ihr Wahlkreis ist ein “bunter bunter Stadtteil”. So beschreibt sie den Flickenteppich, den die Wahlkreisreform der Landesregierung aus sämtlichen Leipziger Wahlkreisen gemacht hat. Neben ihren Heimatortsteilen Schleußig, Lindenau und Leutzsch hat Eva Brackelmann auch noch den Leipziger Nordwesten mit Lützschena und Stahmeln. Ein Spagat, den es so auch in den anderen Wahlkreisen gibt. Dirk Panter, der in Leipzig-Mitte antritt, hat nicht nur Zentrum und Waldstraßenviertel, sondern auch Reudnitz-Thonberg zu bespielen.

Geht das überhaupt?

Geht, bestätigt auch Sebastian Walther, der im Osten antritt. “Ich bin da aufgewachsen. Ich wohne da. Ich kenne die Leute”, sagt der studierte Historiker, der seit 2010 auch weiß, wie zermürbend die Arbeit als Stadtrat in Leipzig sein kann. Auch Guido Machowski sieht es so – Betriebsrat bei einem “bekannten Logistiker” und der SPD-Direktkandidat für Grünau. Wegducken – gilt nicht. Auch Grünau profitiert mittlerweile vom Leipziger Bevölkerungswachstum. “Ich weiß, wie das ist, für weniger als den jetzt ausgehandelten Mindestlohn zu arbeiten”, sagt er. Er wisse also, wie die Leute in seinem Wahlkreis ticken. Und welche Sorgen sie haben, wenn das Geld nicht langt. Deswegen schreibt er ganz groß “Faire Löhne in Sachsen” für sich als Losung über den Wahlkampf.

Denn faire Löhne heißen auch: Mehr Kaufkraft bei den Leipzigern. Und die Kraft, künftig noch die Mieten zu zahlen. Wenn das Mietniveau anzieht, ohne dass auch die Einkommen steigen, dann wird es für viele Leipziger zappenduster.

Deswegen sehen die sieben SPD-Kandidierenden auch kein Manko darin, dass der Wahlkampf nun mitten in die Ferien fällt. “Es gibt viele Leipziger, die es sich überhaupt nicht leisten können, im Urlaub wegzufahren”, sagt Holger Mann. Viele werden ihre Ferien einfach im Garten verbringen. Holger Mann hat sich jedenfalls schon vorgenommen, mit Samentütchen durch die Kleingartenanlagen zu ziehen. Samen für Rote Rüben stecken drin.

“Wie gesagt”, schmunzelt Dirk Panter. “Wir machen Wahlkampf mit hochgezogenen Mundwinkeln.” Die Europawahl, die am 25. Mai parallel zur Kommunalwahl stattfand, macht ihm Mut. Da erreichte die SPD in Sachsen 15,6 Prozent. Das könnte ein Richtwert sein für das Landtagswahlergebnis.

www.spd-sachsen.de

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