Auch Sachsens Polizei war am Donnerstag, 12. März, Thema im Sächsischen Landtag. Eigentlich hatten CDU und SPD in ihrem Koalitionsantrag ein sofortiges Ende der sogenannten "Polizeireform 2020" in Aussicht gestellt. Überall im Land mangelt es zusehends an Polizisten. Aber jetzt haben CDU und SPD einen Antrag vorgelegt, mit dem sie erst mal prüfen wollen - bis 2016. Als hätte man jede Menge Zeit.

Der Sächsische Landtag hat am Donnerstag trotzdem mehrheitlich dem gemeinsamen Prioritätenantrag der Koalitionsfraktionen von CDU und FDP zum Thema “Einsatz- und Leistungsfähigkeit der sächsischen Polizei erhalten, Sicherheit durch nachhaltige und aufgabenorientierte Personalplanung und Organisationsstrukturen gewährleisten” zugestimmt.

“Mit der Einrichtung einer Fachkommission soll die Personal- und Sachausstattung der sächsischen Polizei ergebnisoffen evaluiert werden”, erklärt dazu Christian Hartmann, innenpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion. Die Arbeit der Kommission soll neben externen Sachverständigen vor allem durch Polizistinnen und Polizisten selbst sowie deren Personalvertretungen und Berufsverbänden fachlich begleitet werden.

Christian Hartmann (CDU), Foto: CDU Sachsen
Foto: CDU Sachsen

Womit man jetzt per Antrag stillschweigend zugesteht, dass die seit 2013 durchexerzierte Polizeireform völlig ohne Analyse der Ressourcen und der notwendigen Personalstellen erfolgt ist. Quasi eine Reform frei Schnauze, bei der selbst der zuständige Innenminister nicht weiß, wo die Lücken und Löcher im Polizeinetz auftreten werden.

2014 mahnte der Leipziger Polizeipräsident Bernd Merbitz eine sofortige Evaluation der Reform an. So betrachtet, ist es erstaunlich schnell, dass die Regierung dem tatsächlich folgt. So neu aber, wie der ehemalige Polizist und jetzige CDU-Abgeordnete Hartmann es darstellt, ist das Ganze nicht: Er sprach am Donnerstag tatsächlich von “erheblich veränderten Herausforderungen der sächsischen Polizei”, erwähnte Cyber- und Drogenkriminalität, grenzüberschreitende Zusammenarbeit und zunehmende Großeinsätze. Aber das alles war weder 2014 noch 2013 neu. Die Problemberge waren schon vorher Jahr um Jahr Thema auch der Berichterstattung in der L-IZ. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, dass die verantwortlichen Politiker nicht sahen, was der Polizei schon so sichtlich Probleme bereitete.

Aber Hartmann denkt möglicherweise nur in Wahlperioden und gibt sich zuversichtlich: “”Vor diesem Hintergrund ist es nun das Ziel, eine aufgabenkritische Bewertung des Projektes ‚Polizei.Sachsen.2020′ vorzunehmen, dabei alle Aspekte der sächsischen Sicherheitsarchitektur zu betrachten, Prioritäten zu definieren sowie dem aus der Aufgabenkritik abgeleiteten Personalansatz mit der Organisationsstruktur der sächsischen Polizei fortzuschreiben”.

Da kann man sich wirklich fragen: Was haben all diese Leute zwischen 2009 und 2012 eigentlich gemacht, bevor sie die “Polizeireform 2020” als Wundermittel einfach durchpeitschten?

Die Ergebnisse der Evaluation sollen bis Ende 2016 vorliegen und in den Beratungen zum Doppelhaushalt 2016/2017 berücksichtigt werden.

Albrecht Pallas, SPD Sachsen. Foto: Götz Schleser
Albrecht Pallas, SPD Sachsen. Foto: Götz Schleser

Ganz so blauäugig gibt sich zumindest Albrecht Pallas, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, nicht.

“Die Einsetzung der Fachkommission Polizei ist der Startpunkt für das zentrale Vorhaben dieser Legislaturperiode im Bereich der Innenpolitik. Diese Kommission wird beauftragt, den Stellenbedarf der Sächsischen Polizei anhand ihrer Aufgaben zu ermitteln. Mit diesem Schritt leiten wir nicht weniger als einen Paradigmenwechsel bei der Personalpolitik für die Polizei ein”, sagte der SPD-Mann, der damit für den sonst zurückhaltenden Koalitionspartner recht deutlich erklärte, dass die Leitlinien der vergangenen fünf Jahre jetzt endlich korrigiert werden müssen.

CDU und SPD wollen die Problematik Stellenbedarf grundsätzlich lösen, meinte er. “Das geht nur mit einer gründlichen Aufgabenkritik. Es gilt für uns der Grundsatz: Das Personal folgt den Aufgaben – nachzulesen im Koalitionsvertrag. Nach dieser Aufgabenkritik soll anhand der Kriterien Bevölkerung, Fläche und Kriminalitätsbelastung der Stellenbedarf für die Polizei umfassend ermittelt werden. Wir machen also aus der Verteilungs- eine Personalbedarfsplanung.”

Womit endlich das passiert, was die Opposition fünf Jahre lang vergeblich gefordert hat. Die “Polizeireform 2020” schwebte wie eine Blase ohne Erdhaftung durch die Landschaft. Nirgendwo nahm sie auf den realen Personalbedarf der Polizei vor Ort Bezug. Stets redete der übermütige Minister von einem “vergleichbaren Flächenland im Westen der Republik”. Nur welches das sein sollte, war nicht klar.

“Und natürlich muss in die Arbeit der Kommission auch die Entwicklung beim Versammlungsgeschehen in Sachsen in den letzten Monaten mit einbezogen werden. Wenn wir weiter mit so vielen und häufigen Demonstrationen in den sächsischen Städten rechnen müssen, dann muss das im Rahmen der Aufgabenkritik beachtet werden und wird gegebenenfalls konkrete Konsequenzen für den Stellenbedarf insbesondere bei der Bereitschaftspolizei haben”, meint Pallas. “Die Arbeit der Fachkommission ist ein erster großer und wichtiger Schritt hin zu einer wirklichen Bedarfsplanung. Aus den Ergebnissen der Untersuchung müssen dann sowohl die Staatsregierung als auch wir Abgeordneten die richtigen Schlüsse ziehen. Das bedeutet: Im Falle eines höheren Stellenbedarfs müssen die Konsequenzen im nächsten Doppelhaushalt 2017/18 gezogen werden können.”

Ganz so zurückhaltend äußerten sich die Sprecher der Koalition am Donnerstag in der Landtagsdebatte nicht.

Enrico Stange (Linke). Foto: DiG/trialon
Foto: DiG/trialon

Enrico Stange, der für die Linksfraktion sprach: “Das wird auch Zeit, schließlich soll die schon im Koalitionsvertrag verankerte Fachkommission bis Ende 2016 die Ergebnisse vorlegen und Handlungsbedarfe aufzeigen. Mit ihrem Antrag orientieren CDU und SPD darauf, dass diese Vorschläge sich dann schon im Entwurf des Doppelhaushaltes 2017/18 niederschlagen sollen. Und da drängt die Zeit. Schließlich müssen die Weichen Richtung Haushalt spätestens Mitte 2016 gestellt sein. Also verbleibt der Fachkommission gerade mal eine Zeitschiene von etwa 13 bis 14 Monaten um konkrete Vorschläge zu unterbreiten, die dann auch haushalterisch operationalisiert werden müssen.”

Aber bis 2016 warten? Das hält Stange für fahrlässig: “Denn während die von Ihnen avisierte und hoffentlich bald die Arbeit aufnehmende Fachkommission analysieren wird, vollzieht sich parallel der weitere ungebremste Personalabbau und die Sächsische Polizei läuft sehenden Auges noch tiefer in die Personalabbaufalle hinein. – Dass es sich nunmehr schon zweimal in Sachsen ereignete, dass wegen mangelnder Verfügbarkeit von Einsatzkräften in das hohe Gut der Versammlungsfreiheit eingegriffen wurde, kommt nicht von ungefähr. Schon jetzt reicht der Personalbestand der sächsischen Polizei offenbar nicht aus. So türmen sich die offenen Vorgänge im Dezember 2014 bei der Polizei auf gesamt 57.663 und bei den Staatsanwaltschaften auf gesamt 78.296. Und wenn der eine nicht weiter weiß, verschiebt er die Akte erst mal von seinem Tisch auf einen anderen und umgekehrt.”

Im Detail zeigt die “Polizeireform” jetzt schon den blanken Boden. Stange: “Betrachten wir nun den Personalkörper der sächsischen Polizei etwas genauer, dann kann einem teils schon Himmelangst und Bange werden. Etwas mehr als 10 % der Bediensteten sind zwischen 20 und 30 Jahre alt. Knapp 28 % zwischen 31 und 40, fast ebenso viele zwischen 41 und 50 und 33 % der Polizeibediensteten 51 Jahre und älter. In den kommenden 10 Jahren werden planmäßig mehr als 3.500 Beamte den Polizeidienst verlassen. In diesem Jahr werden es 392 Bedienstete sein, in 2016 werden es noch einmal 390 sein. Für 2017 sind 360 prognostiziert, 2018 sind es 351. In 2019 verlassen 457, in 2020 noch mal 432 Kollegen die Polizei. – Um diese Abgänge zu kompensieren, benötigen wir 356 tatsächliche Ãœbernahmen aus der Ausbildung bzw. Neueinstellungen in den Dienst pro Jahr. Wenn wir nun also davon ausgehen, dass der Einstellungskorridor für die Jahrgänge ab 2012 bei nur 300 besteht (Drs 6/744), braucht es in der Folge für eine echte Kompensation für die darauffolgenden 7 Jahre jeweils 378 tatsächliche Einstellungen in den Sächsischen Polizeidienst.”

Seine Warnung: “Ein hoher Krankenstand und eine nicht unerhebliche Zahl von nur bedingt dienstfähigen Kollegen spitzen die Lage zu. Es ist alles in allem höchste Zeit gegenzusteuern.”

Für die Grünen – die sich bei der Abstimmung dann enthielten – brachte Valentin Lippmann ähnlich deutliche Warnungen an. Er sprach der Kommission eine ergebnisoffene Arbeit ab.

Parlamentarischer Geschäftsführer Valentin Lippmann (B90/Grüne). Foto: Juliane Mostertz
Foto: Juliane Mostertz

Seine Begründung: “Es erfolgt vorerst keine Evaluation der Standortstrukturen. Dies geht zumindest weder aus dem Wortlaut noch aus den bisherigen Äußerungen der Koalition zu dieser Kommission hervor. Folglich wird es an den Strukturentscheidungen des Polizeikonzeptes 2020 hinsichtlich der Standorte erst einmal keine Änderungen geben. Der Abbau der Standorte ist aber neben dem starken Personalabbau Dreh- und Angelpunkt des Problems.” Und: “Der Stellenabbau geht während der Arbeit der Kommission munter weiter. Bis diese Kommission ihre Arbeit abgeschlossen haben wird, werden im Freistaat weitere 270 Stellen bei der Polizei in Sachsen abgebaut. So setzt sich die Kürzungspolitik der vergangenen Jahre fort und Sie schaffen gegenüber den Bürgerinnen und Bürger nach wie vor keine Klarheit. Wenn Sie den Stellenabbau jetzt nicht vollständig stoppen, dann wird diese Kommission ein Papiertiger bleiben, weil sich die Situation bis zum nächsten Doppelhaushalt weiter zuspitzen und noch einmal Porzellan zerschlagen werden wird.”

Und dann wurde er auch noch ein kleines bisschen sarkastisch in seiner Analyse: “Ich konstatiere darüber hinaus zu Punkt I des Antrages: Dies ist ein archetypisches Beispiel für das Agieren der CDU in Sachsen – speziell beim Thema Innenpolitik. Erst wird das Problem geschaffen: 1. Stellenabbau bei der Polizei, 2. Zerstörung der Revierstrukturen im ländlichen Raum durch das Standortekonzept, 3. Streichung des Weihnachtsgeldes. Dann fällt plötzlich auf, dass Sachsens Polizei nicht mehr da, nicht mehr vor Ort ist und die restlichen Polizistinnen und Polizisten demotiviert sind. Und schon bietet man der Bevölkerung – als Heilsbringer – die Lösung an. Man verkauft also Politik als die Lösung der zuvor selbst geschaffenen Probleme. Auch eine Form der Arbeitsbeschaffung. Wenn man sich in den vergangenen Jahren an den Aussagen des Punktes I orientiert hätte, bräuchten wir heute weder diesen Antrag noch umfassende Debatten über unsere Polizeistruktur.”

Da ist dann wohl alles gesagt.

Der Gemeinsame Prioritätenantrag der Koalitionsfraktionen von CDU und SPD als pdf zum Download.

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Es gibt 4 Kommentare

Es gibt (bis heute regierende) Politiker, welche ganz fest glaubten, Technik könnte bei der Polizei (und anderswo) Menschen ersetzen. Und doch – im Sinne einer klugen Haushaltsplanung müssen auch Bevölkerungsentwicklungen (allerdings deutlich öfter aktualisiert) ein nicht kleiner Teil von Entscheidungseinflüssen sein. “Primat” hat niemand verlangt 😉 Aber ein wichtiger Faktor bleibt es.

“Denn Sachsen schrumpft nicht mehr und die Großstädte verzeichnen Zuwachszahlen.”

Kein Problem mit ihren Einwand. Bedenken Sie jedoch bitte, dass das Argument bezüglich des Rückgangs der Bevölkerung immer mehr politisch in den Vordergrund geschoben wurde und durchaus ein Baustein einer solchen Betrachtungsweise sein sollte, aber niemals das Primat hätte einnehmen dürfen. An die ersten 4 Stellen dieser Betrachtungsweise hätten die Außengrenzen zu den osteuropäischen Ländern, die Kriminalitätsentwicklung in Sachsen, das vorhandene linke und rechte Gewaltpotential und die finanzielle Absicherung der Polizei gehört. Das ist nicht erfolgt. Selbst als normal denkender Mensch konnte man über die Diskussion Polizei/Rückgang der Bevölkerung nur den Kopf schütten. Bereits damals gab es genügend warnende Hinweise, die unterdrückt und von den Medien kaum aufgegriffen wurden. Es konnte doch nicht sein, was nicht sein darf.

Lieber Klaus, die Leser der L-IZ nehmen durchaus wahr, wer die Planspiele aus den Jahren 2005 und 2009, in welchen weite Kreise der Politik noch von einem weiteren Schrumpfen der Bevölkerung Sachsens ausgingen, in den letzten Jahren überdacht hat und gegen die Beibehaltung der Polizeireform war 😉 Dann Sachsen schrumpft nicht mehr und die Großstädte verzeichnen Zuwachszahlen.

Wer war denn der Ansicht, dass in Sachsen ein Personalabbau bei der Polizei erforderlich ist? Schon vergessen? Das waren von den im gegenwärtigen sächsischen Landtag vertretenen Parteien die CDU, die SPD, Bündnis 90/ Die Grünen, und nicht zu vergessen “Die Linke”. Einige Vertreter/innen von Bündnis 90/Die Grünen sowie von “Die Linke” halten doch bis heute die Stärke der Polizei im Brennpunkt Sachsens – in Leipzig – für übertrieben. In Connewitz ist nach deren Ansicht Polizei absolut überflüssig. Nicht einmal ein Polizeiposten ist erforderlich.

Nun will aber keiner mehr etwas von seinen Fehlleistungen wissen. Scheinheiligkeit in Perfektion. Aller von mir genannter 4 Parteien. Jede versucht nun mit irgendwelchen primitiven Argumenten das Unschuldslamm zu spielen. Ostern ist ja nicht mehr weit. Keine dieser 4 Parteien hat sich bisher öffentlich dazu bekannt, dass sie diesbezüglich schwere Fehler gemacht hat. Da ist sie wieder die Politik in Sachsen, wovon die Bürgerinnen und Bürger die Nase voll haben. Die geringe Wahlbeteiligung ist schon wieder von der Politik zu den Akten gelegt. Frechheit pur.

Jeder,der nun so tut als geschehe diese Kehrtwende aus reiner Überzeugung aufgrund einer neue Situation, der unterschätzt die Urteilsfähigkeit der Bürgerinnen und Bürger Sachsens massiv. Diese Kehrtwende ist ein Ergebnis der Bürgerbewegung in Sachsen. Dazu gehört auch Legida/Pegida. Ob das nun einige Leserinnen bzw. Leser der L-IZ wahr haben wollen oder nicht. Die Stärkung der Polizei Sachsens ist eine der ganz klar formulierten Forderungen. Hinter dieser Forderung stehen nicht nur die Demonstranten selbst, sondern hinter dieser Forderungen steht die überwiegend Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger Sachsens, die in dieser Massen verblich in eine rechte Ecke gestellt werden können.

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