Eine Unterkunft für 439 Asylbewerber wird in den kommenden Tagen im Stadtteil Plagwitz in Betrieb genommen. Seit Monaten lastet ein enormer Druck auf der Landesdirektion Sachsen und vielen Kommunen, Flüchtlinge unterzubringen. Die neue Einrichtung soll die Situation entlasten und eventuelle Freiräume für Schließung anderer Notunterkünfte bieten, wie die Landesdirektion am Donnerstag während einer Besichtigung verriet.

Die Entscheidung, in der Markranstädter Straße 8a eine Flüchtlingsunterkunft einzurichten, konnte man als nicht gerade ideal bezeichnen. Aus der vorher eingemieteten Kickerhalle wurden in den letzten Tagen ein für mehrere hundert Flüchtlinge bezugsfähiges Gebäude gemacht, so Peter Darmstadt von der Landesdirektion Sachsen am Donnerstag. Gefehlt hatte für die Freigabe als Unterkunft unter anderem noch ein geeigneter Industrieanstrich. Die Einrichtung wird von den Johannitern betrieben.

„Wir haben mittlerweile eine nachhaltige Änderung der Struktur der Asylbewerber, die zu uns kommen“, erklärt Darmstadt bei der Besichtigung der Spendenkammer. „Der Anteil an Familien wächst überproportional an.“

Die Halle selbst entspricht den geläufigen Bildern von Einrichtungen dieser Art. Weiße kahle Trennwände bilden 49 Parzellen, in denen bereits einige Feldbetten stehen. „Hier besteht die Möglichkeit, dass man die Leute wirklich trennen kann“, weist der Leiter der Einrichtung, Tobias Wiemer, hin. „Gerade bei Familien ist das wichtig.“

René Kolleßer unterstützt seit geraumer Zeit mit seiner Arbeit den Aufbau von Unterkünften. Zuerst in der Ernst-Grube-Halle, dann hier, demnächst womöglich an einem anderen Ort, wo er benötigt werde, erzählt der 35-Jährige.

Drei bis fünf Ehrenamtliche stehen im Schnitt pro Schicht zur Verfügung, aber planen könne man das Ganze nicht so richtig, schildert Kolleßer die Abläufe. „Es ist schon passiert, dass ein Bus einfach vor der Tür steht“, berichtet er zur Ankunft von neuen Bewohnern, aber einen Bus könne man gewöhnlich mit den vorhandenen Helfer abfedern.

Aber auch sonst kommen die Busse kurzfristig. Dann werden die Ehrenamtlichen durchgerufen und gefragt, ob sie Zeit haben – auch wenn so ein Bus mal um zwei Uhr in der Nacht ankommt. Freiwillige, die studieren, seien hier meistens am flexibelsten.

Nachdem die Flüchtlinge angekommen sind, bekommen sie in der Regel erst einmal etwas zu essen und werden einem Sanitäter vorgestellt. Dabei geht es nicht nur darum, ansteckende Krankheiten zu vermieden. Oft haben die Menschen aufgrund der Flucht gesundheitliche Probleme. Von Hochschwangeren, über Blinde bis hin zu älteren Menschen reicht die Spanne. „Wir haben alles“, meint Kolleßer und erzählt von einem Säugling, der laut ihren Recherchen auf einer Straße irgendwo in Österreich zur Welt gekommen sein müsste.

Nach der Untersuchung werden den zukünftigen Bewohnern alle spitzen Mitbringsel und Glasflaschen abgenommen. „Die Gegenstände werden nur verwahrt“, merkt er an. Wenn beispielsweise ein Friseur seine Scheren haben möchte, bekomme er diese natürlich auf Wunsch ausgehändigt. Nach getaner Arbeit müsse er sie jedoch wieder abgeben.

Diese Vorkehrungsmaßnahme sei schon immer so. „Es wäre sonst viel zu gefährlich“, räumt er ein und schiebt sofort einordnend nach: „Sperren sie mal 180 Menschen in einen Raum ohne Wände.“ Auch verschiedene Flüchtlingsverbände sehen als Kristallisationspunkt von vielen Konflikten die beengten Zustände gerade in den Notunterkünften, die kaum Raum für Privatheit zulassen.

Auch an die anderen Probleme hat man zumindest bei dieser Unterkunft gedacht. An mehreren Wänden sind gleich über ein Dutzend Steckdosen angebracht, damit Telefone aufgeladen werden können. „In anderen Einrichtungen gab es deswegen öfters Probleme“, berichtet der Johanniter. Zukünftig solle hier, wie in der Ernst-Grube-Halle, WLAN angeboten werden.

Elektronisch findet ebenfalls die Erfassung der Flüchtlinge statt. „Ohne einen Hausausweis ist das Betreten nicht möglich“, erklärt Darmstadt. Nur mit der Chipkarte kann Essen abgeholt werden. „Es ist jederzeit in Erfahrung zu bringen, wie viele Asylbewerber zurzeit in der Einrichtung sind.“

Wird drei Mal in Folge kein Essen geholt und nicht das Haus betreten, zählt der Platz als nicht besetzt und kann neu vergeben werden, so der Landesdirektionsvertreter Darmstadt. „Wir haben einen nicht unerheblichen Teil an Asylbewerbern, die ihre Migration individuell fortsetzen.“

Ein vorhandener Aufenthaltsraum, etwas mehr Platz als sonst, explizite Berücksichtigung von Familien. Es sind nur Kleinigkeiten, die darauf hindeuten, dass zumindest momentan nicht mehr jede Maßnahme unter höchstem Druck zustande kommt.

Regionalvorstand Wieland Keller von der Johanniter-Unfall-Hilfe e.V. schätzt die aktuelle Arbeit ein

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Das sind echte Helden im Alltag! 🙂

…die aber das ausbügeln müssen, was die großspurigen Politiker durch süßes Nichtstun verbockt haben. Warnungen gab es, ich finde in meiner Bude immer noch Zeitungen von 2013, wo die Flüchtlingsströme bereits thematisiert wurden.

Unser Staat stalkt zwar einem H4-Empfänger für nicht deklarierte 10 Euro hinterher, aber ist nicht in der Lage, sein selbst gesetztes Recht und Gesetz auf die letztlich auch nur ein paar tausend Flüchtlinge überhaupt anzuwenden (z.B. bereits die schiere Erfassung der Personalien).

Man hatte sich ja über das Versorgungsdesaster der USA bei der Ãœberschwemmung von New Orleans fast schon lustig gemacht (“Dritte-Welt-Verhältnisse”), aber mittlerweile glaube ich, bei einer größeren Naturkatastrophe in Deutschland mit vielen Tausenden Opfern würden “wir” es bei unserer eigenen Notversorgung auch nicht mehr besser hinkriegen… den besinnungslosen Sparorgien sei Dank.

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