Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich hat Gewalt gegen Geflüchtete zum Thema seiner Neujahrsansprache gemacht – im Gegensatz zu seinen Amtskollegen in Thüringen und Sachsen-Anhalt. Dies dürfte auch daran liegen, dass Tillichs Bundesland sämtliche Statistiken über flüchtlingsfeindliche Vorfälle im Jahr 2015 mit großem Abstand anführt.

„Wir haben in Sachsen schreckliche Gewalt erlebt – gegen Flüchtlinge, gegen Menschen, die sich engagieren, gegen Polizisten und Hilfskräfte. Das ist unerträglich und nicht zu tolerieren.“ Mit klaren Worten hat Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) die flüchtlingsfeindlichen Vorfälle des vergangenen Jahres in seiner Neujahrsansprache zum Thema gemacht. Genau wie seine Amtskollegen in Thüringen und Sachsen-Anhalt rückte er den Umgang mit Geflüchteten ins Zentrum seiner Rede, sparte die Schattenseiten jedoch nicht aus.

Dabei warnte er auch vor einer möglichen Überforderung. „Wir müssen die Zahl der Flüchtlinge, die zu uns kommen, deutlich reduzieren und wir werden schnell mit der Integration derer beginnen, die hier bleiben dürfen“, so Tillich. Grundlage für eine gelingende Integration seien „unsere Werte und Regeln, die wir vorleben und einfordern müssen“.

Bislang hat das Vorleben von Werten und Regeln jedoch in keinem anderen Bundesland so schlecht funktioniert wie in Sachsen. Die Amadeu-Antonio-Stiftung und Pro Asyl zählen für 2015 bundesweit 523 Angriffe auf Unterkünfte für Geflüchtete – allein in Sachsen waren es 145. Das entspricht mehr als einem Viertel. Noch verheerender fällt die Bilanz bei den Körperverletzungen aus: 49 von 140 registrierten Übergriffen ereigneten sich in Sachsen, also mehr als ein Drittel. Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg folgen mit deutlichem Abstand und haben zudem zwei- bis viermal so viele Einwohner.

Die beiden anderen mitteldeutschen Bundesländer Sachsen-Anhalt und Thüringen zählen – gemessen an ihrer Einwohnerzahl – ebenfalls zu den Schwerpunkten rassistischer Gewalt. In Sachsen-Anhalt griffen Rechtsextreme allein zu Beginn des neuen Jahres schon an zwei verschiedenen Orten Geflüchtetenunterkünfte an. Nach Polizeiangaben beschossen in der Silvesternacht etwa 20 Personen ein Heim in Merseburg mit Feuerwerkskörpern. In Gräfenhainichen wurde eine geplante Unterkunft mit Steinen beschädigt.

Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) bezeichnete es in seiner Neujahrsansprache als „Gebot der Menschlichkeit“, den Schutzsuchenden zu helfen. Allerdings seien die Möglichkeiten zur Aufnahme Geflüchteter begrenzt. Um sich erfolgreich zu integrieren, müssten sie die „Grundwerte unseres Zusammenlebens akzeptieren“. Anders als die beiden CDU-Ministerpräsidenten sieht Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) vor allem die Politik in der Pflicht: „Wenn der Satz ‘Wir schaffen das’ von Frau Merkel stimmen soll, dann müssen wir die Voraussetzungen schaffen. Die Bürger müssen das Gefühl haben, dass keiner vergessen wird.“ Man wolle deshalb „mit Hochdruck“ sowohl an der Integration von Geflüchteten als auch an der Überwindung von Langzeitarbeitslosigkeit arbeiten.

Problematisch erscheint nicht nur die – von Haseloff und Ramelow nicht thematisierte – Gewalt gegen Geflüchtete, sondern auch der Umgang des Staates mit ihnen. Vor allem die Unterbringung in Massenunterkünften sorgt immer wieder für Kritik. So müssen beispielsweise in Sachsen tausende Geflüchtete den Winter in Großzelten, Turnhallen oder ehemaligen Bau- und Supermärkten verbringen, obwohl allein in Leipzig mehrere zehntausend Wohnungen leerstehen. Noch vor einigen Monaten bezeichneten behandelnde Ärzte die hygienischen und medizinischen Zustände in einem Zeltlager in Dresden als „humanitäre Katastrophe“.

Zahlreiche Menschen in Sachsen zeigen sich für diese Medienberichte, die das Leid der Ankommenden betonen, nicht empfänglich. Sie begegnen ihnen vor allem mit Neid, Missgunst und Hass. Ab morgen wollen Pegida und Legida wieder auf die Straße gehen, um gegen Geflüchtete und deren Unterstützer zu hetzen. Die geistigen Brandstifter fanden in der Neujahrsansprache des Ministerpräsidenten Tillich keinen Platz.

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