Am Sonntag wurde in Meißen der parteilose Olaf Raschke als Oberbürgermeister wiedergewählt. Raschke amtiert seit 2004 und wurde von CDU, im 2. Wahlgang auch von der AfD, unterstützt. Im 1. Wahlgang lag er mit 32,5 % deutlich hinter dem ebenfalls parteilosen Frank Richter (36,7 %).

Richter war der Kandidat des Bündnisses „Bürger für Meißen – Meißen kann mehr“. SPD, Grüne, Linke unterstützten seine Kandidatur. Im ersten Wahlgang erhielt der AfD-Kandidat nur 13,7 %. Bei der Bundestagswahl im September 2017 wurde die AfD in Meißen mit 32,8 % deutlich stärkste Partei.

Im 2. Wahlgang am 23. September 2018 erreichte Olaf Raschke 43,5 % und damit 97 Stimmen mehr als Frank Richter mit 42,6 %. Der FDP-Kandidat trat in beiden Wahlgängen an und erreichte schließlich 13,9 %. Ob ein Verzicht des FDP-Kandidaten für den 2. Wahlgang das Wahlergebnis geändert hätte, ist eine offene Frage, da die FDP in Sachsen eher konservativ ausgerichtet ist.

Frank Richter, Bürgerrechtler, Autor und nun OBM-Kandidat in Meißen. Foto: Michael Freitag
Frank Richter. Foto: Michael Freitag

Der Oberbürgermeisterwahl in Meißen kann man durchaus eine Signalwirkung für Sachsen zubilligen. Auch wenn eine Oberbürgermeisterwahl vor allem von Persönlichkeiten geprägt ist – diese Wahl war politisch aufgeladen, nicht zuletzt durch die Ereignisse von Chemnitz.

Frank Richter, Theologe, Bürgerrechtler und ehemaliger Direktor der Landeszentralstelle für politische Bildung, steht für Erneuerung der Demokratie, ein weltoffenes Sachsen und vor allem für eine grundlegende Veränderung der Bildungspolitik in Sachsen. Für ihn sind die Ziele der Friedlichen Revolution von 1989/90 nach wie vor Auftrag.

Welche Signale aber gehen von Meißen aus? Ich nenne drei:

  1. Ein Bündnis von SPD, Grünen, Linken und einer parteipolitisch nicht gebundenen Bürgerinitiative, der es um ein demokratisches Miteinander geht, kann in einer sehr konservativen Kommune zwischen 40 % plus X an Wählerstimmen gewinnen. Das ist beachtlich.
  2. Die AfD verliert in dem Moment an Anziehungskraft, wenn sich dem/der Wähler/in klare politische Alternativen innerhalb des demokratischen Spektrums anbieten. Das war mit Olaf Raschke und insbesondere Frank Richter gegeben.
  3. Die sächsische CDU hat keinerlei Hemmung, mit der Pegida/AfD – auch unabgesprochen – Wahlbündnisse einzugehen. Zwar hat es dies in Meißen offiziell nicht gegeben. Aber die sächsische CDU hat die Pegida/AfD-Unterstützung für Olaf Raschke im zweiten Wahlgang dankbar und widerspruchslos in Anspruch genommen und sich mit keiner Silbe von der Schmutzkampagne gegen Frank Richter distanziert („Wer Richter wählt, wählt noch mehr illegale Massenmigration in Meißen!“)

Für das kommende Wahljahr ist damit die strategische Lage insbesondere im Blick auf die Landtagswahlen sehr deutlich: Links von der CDU (und das beginnt in Sachsen rechts von der Mitte) sollte eine machtpolitische Alternative sichtbar werden. Da die sächsische FDP dafür weitgehend ausfällt, muss diese politische Alternative zwischen SPD, Grünen, Linke und parteipolitisch nicht gebundenen Bürgerinnen und Bürgern gebildet werden. Nur dann ist die Pegida/AfD wirkungsvoll in die Schranken zu weisen.

Im Idealfall müssten sich die drei Parteien und Bürgerinitiativen für die Landtagswahlen auf eine/n Ministerpräsidentenkandidaten/in einigen und diesen in den Mittelpunkt des Wahlkampfs stellen. Alle drei Parteien würden wahrscheinlich von einer solchen Option nachhaltig profitieren. Außerdem kann es so gelingen, dass über eine Vielzahl von landespolitischen Themen debattiert wird und so die Ein-Thema-Partei AfD ins Abseits gestellt wird.

Bliebe es bei einem Auftreten von SPD, Grünen, Linken ohne Machtperspektive, wird der Wahlkampf zwischen CDU und AfD stattfinden – ein Überbietungswettbewerb in Sachen Flüchtlings-Bashing und am Ende ein Zusammengehen von CDU und Pegida/AfD.

Für die Stärkung der Demokratie in Sachsen ist es aber unerlässlich, dass eine demokratische Alternative zur CDU aufgebaut wird. Man kann nur hoffen, dass SPD, Grüne, Linke jetzt ohne Scheuklappen ein solches Projekt ausloten – wie gesagt: es geht um eine Mehrheit demokratischer Kräfte jenseits von CDU und Pegida/AfD.

P.S. Um allen Missverständnissen und Unterstellungen vorzubeugen: Diese Gedanken haben nichts zu tun mit dem „Aufstehen“-Projekt von Sahra Wagenknecht. Sie will sich von links (ähnlich wie die CSU von rechts) an Pegida/AfD annähern. Das wird nicht funktionieren. Der rechtsradikalen Pegida/AfD kann man nur deutlich entgegentreten. Denn diese Ein-Thema-Partei hat nur ein Ziel: die freiheitliche Demokratie mit ihrem völkisch getränkten Nationalismus zu zersetzen.

Streitschrift: In einem anderen Land

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„Wer als Bürger seine Verantwortung nicht sieht, der schläft zurzeit ziemlich tief“ LZ-Interview: Frank Richter und die Politik

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Es gibt 6 Kommentare

@Wiesner: Wir wählen keine Leute, die früher Leute an der Grenze umgebracht haben, wir wählen lieber Leute, die es heute tun, ist ja nur das Mittelmeer.

Für ein Bündnis links der CDU müssen alle zusammen arbeiten. Herr Wolf, im Postskriptum spalten Sie schon wieder, so wird das nix. Da müssen alle über ihren Schatten springen, nicht nur die jeweils anderen. Das wird allen schon schwer genug fallen, gegenseitige Vorwürfe helfen nur der, dann mit Sicherheit kommenden, AfD-CDU-Koalition, bei der sich dann nur fragt, wer stärkste Fraktion wird.

Die Wahlbeteiligung in Meissen lag knapp unter 50% (1. WG: 49%, 2 WG: 48,1%).
Von 22.930 Wahlberechtigten hat nur ein ‘harter’ Kern (1.533) den AfD-Kandidaten gewählt.
Auch deshalb ist es sehr wichtig, dass die demokratischen Bewegungen und Parteien über einen offen ausgetragenen Diskurs zu gemeinsamen Positionen finden.
Nicht die laute Minderheit der rechten und antidemokratischen Lösungen zum Thema machen lassen,
sondern der schweigenden Hälfte die Kraft und die Möglichkeiten eines demokratischen Miteinanders aufzeigen.

Die Konservativen bzw. Apologeten einer durch den Staat ungebremsten und für sozialen Zusammenhalt nicht zuständigen Wirtschaft in der CDU/CSU werden ihren Hauptfeind immer in einer solidarischen demokratischen Gemeinschaft sehen.
Der Weg ist das Beschwören einer linksextremen, gewalttätigen Gefahr, um ein Zusammengehen von demokratischen Kräften zu verhindern.

Das ist die Hauptüberschneidungsmenge mit der AfD.
Der “Überbietungswettbewerb in Sachen Flüchtlings-Bashing” ist da eigentlich nur ein ablenkender Nebenschauplatz.

Und auch deswegen ist Meissen ein guter Weg.
Auf kommunaler Ebene sieht man das konkrete Handeln einzelner Personen.
Aber Menschen kommen nicht so schnell aus ihrer von Vorurteilen geprägten Abwartehaltung heraus; dafür war die Zeit zu kurz.

Frank Richter wurde persönlich mit Lügen zu seiner Rolle während der Wende angegriffen.
Für die wirklichen Diskussionen zu den Problemen einer neuen kommunalen Politik in der Stadt Meissen fehlte deshalb die Zeit.

Und ich denke schon, dass Menschen begreifen können,
ob jemand nur auf Stimmungsmache gegen etwas oder jemanden aus ist
oder im Sinne der Menschen für eine offene, freie, demokratische Gesellschaft zum Nutzen aller streitet.

Gedanken zu @Wiesner
Richtig, bei den teilweise selbsternannten ‘Bürgerrechtlern’ sollte man schon genauer hinsehen.
Vor allem in Bezug darauf, wofür sie sich heute benutzen lassen und
welchen unsere Demokratie zerstören wollenden Kräften
sie das Wort führen.
Aus persönlichen Prinzipien und Verletzungen gegen etwas zu sein, hätte niemals zu einer friedlichen Revolution geführt.

Wichtig war eine Vereinigung demokratischer Kräfte, die einen Staat für die Menschen wollten. In solidarischem Miteinander für eine offene, freie Gesellschaft.
Nun, und da gab es die in der DDR, die sich aktiv vernetzt haben, weil sie die Zerstörung ihrer Umwelt nicht mehr hinnehmen wollten,
die, die realen Gefahren des kalten Krieges als Bedrohung des Weltfriedens durch eine Aufrüstung auch auf sozialistischer Seite sahen,
die christlichen Pfarrer, die mit ihren Kirchen einen Raum für offene Diskussionen boten..
und am Ende der DDR, als alle Grenzen auch zu Polen und der Tschechoslowakei geschlossen waren, diejenigen,
die den Slogan der DDR-Regierung “Vom Volk, für das Volk”
mit dem Ruf “Wir sind das Volk!” mit friedlchen Demonstrationen einforderten.

Das diese Demonstrationen nicht mit Waffengewalt beendet wurden,
ist engagierten Menschen zu verdanken,
die auf Grund ihrer herausgestellten Position in Kunst und Kultur, Kirche, Partei etc.
sich persönlich gegen eine bereits vom ZK der SED festgelegte Niederschlagung einer herbeiparanoisierten, von außen gesteuerten ‘Konterrevolution’ stellten.

Ja, und darunter auch viele Parteimitglieder der SED, die ganz genau wussten,
dass ihr persönlicher Einsatz in den Gefängnissen der DDR enden könnte und würde.

Will mal sagen, so einfach ist das nicht mit den ‘Bürgerrechtlern’ und der ‘Mauerbaumörder’-Partei..

Bitte informieren Sie sich, was Frank Richter im Angesicht der geballten Staatsmacht 1989 in Dresden getan hat. Dann schreiben Sie bitte nochmals “angeblicher”. Nicht mehr, aber auch nicht weniger bitte.

Anschließend können Sie gern die Geschichte von Vera Lengsfeld erzählen. Und diese nicht argumentfrei ins Feld führen, denn auch da gibt es (für mich härtere) Risse.

Und der angebliche Bürgerrechtler läßt sich von der ehemaligen Mauermörder-Partei mitwählen, ja ja…vielen Dank auch!
Wieviel Bürgerechtler gesteht der Pfarrer i. R. Frau Lengsfeld, Frau Barbe oder Frau Maron noch zu?

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