Falls es für die AfD am 1. September bei der Landtagswahl richtig schlecht läuft, könnte es passieren, dass sie nur etwa die Hälfte ihrer eigentlich errungenen Plätze mit Abgeordneten besetzen kann. Der Grund dafür wäre die vom Landeswahlausschuss deutlich reduzierte Landesliste. Realistisch ist das aber nicht. Sollten die derzeitigen Wahlprognosen und -umfragen stimmen, dürfte sich nur wenig ändern.

Der sächsische Landeswahlausschuss hat am Freitag, den 5. Juli, beschlossen, dass Teile der Landesliste der AfD ungültig sind. Lediglich die ersten 18 von ursprünglich 61 Bewerber/-innen können nun über die Landesliste in den nächsten Landtag einziehen. Die AfD muss befürchten, nicht alle zur Verfügung stehenden Plätze besetzen zu können. Bereits direkt nach der Entscheidung des Landeswahlausschusses erklärte der sächsische AfD-Landesvorsitzende Jörg Urban gegen diese vor Gericht zu gehen.

Doch welche Szenarien sind realistisch, wenn es bei der Entscheidung vom heutigen 5. Juli 2019 bleibt?

Wahlverfahren erklärt

Wichtig ist zunächst das Wahlverfahren. Alle Wähler/-innen besitzen jeweils eine Erst- und eine Zweitstimme; erstere für die Direktbewerber/-innen und die zweite für die Partei. Wichtig für die Sitzverteilung im Landtag ist vor allem die Zweitstimme. Diese entscheidet darüber, wie viele der 120 Plätze den jeweiligen Parteien zur Verfügung stehen.

Bei der Frage, welche Personen in den Landtag einziehen, entscheidet hingegen zunächst die Erststimme. Wer einen der 60 existierenden Wahlkreise gewinnt, kommt in den Landtag. Sollten einer Partei wegen ihres Zweitstimmenergebnisses mehr Sitze zustehen als durch Direktbewerber/-innen besetzt wurden, kommen die Landeslisten zum Einsatz. Die Parteien haben diese vor der Wahl erstellt. Die darauf Bestplatzierten ohne Direktmandat kommen ebenfalls in den Landtag.

Etwa fünf bis zehn Prozent aller Stimmen werden im Landtag nicht berücksichtigt, da viele Parteien an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Allerdings bleiben nicht fünf bis zehn Prozent der Sitze im Landtag einfach leer – diese gehen an die Parteien, die es ins Parlament geschafft haben nach der Höhe ihrer Partei-Prozente. Der Anteil der Parteien im Landtag ist somit etwas größer als der Anteil am Wahlergebnis.

Das Verfahren gibt es auch bei der Bundestagswahl. Rot-Rot-Grün hatte deshalb im 2013 gewählten Bundestag eine Mehrheit, obwohl die Parteien zusammen nur knapp 43 Prozent der Stimmen erhalten hatten. Fast 16 Prozent der Stimmen gingen an Parteien, die an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten.

Was bedeutet also die gekürzte Landesliste für die AfD Sachsen bei der anstehenden Landtagswahl am 1. September 2019? Beginnen wir mit einem Extrembeispiel.

Viele leere Plätze im Landtag möglich

In aktuellen Wahlumfragen steht die AfD in Sachsen bei rund 25 Prozent der Stimmen. Sollten beispielsweise sieben Prozent der Wählerstimmen wegen der Fünf-Prozent-Hürde „entfallen“, käme die AfD auf etwa 27 Prozent der Sitze im Landtag: also 32.

Würde die AfD (unrealistischerweise) gar kein Direktmandat gewinnen, könnten lediglich die 18 zugelassenen Listenbewerber/-innen in den Landtag einziehen. Auf die übrigen 14 Plätze müsste die AfD verzichten. Auf diese hätten auch die anderen Parteien keinen Zugriff.

Ähnlich wäre es, wenn die AfD beispielsweise fünf, zehn oder 15 Direktmandate holt, die jeweiligen Personen aber allesamt auch auf der Landesliste stehen. Dann könnten lediglich 13, acht oder drei Personen über diese Liste nachrücken; es bliebe bei insgesamt 18 Landtagsabgeordneten und 14 leeren Sitzen.

Sofern man voraussetzt, dass die AfD ungefähr 25 Prozent der Stimmen holt und somit 32 Sitze erhalten darf, ist die Rechnung einfach: Mindestens 18 wird sie auf jeden Fall erhalten, weil so viele Namen auf der Landesliste stehen. Hinzu kommen jene Personen, die ein Direktmandat gewonnen haben, aber nur sofern sie nicht auf der Landesliste stehen. Die AfD müsste nach dieser Rechnung also mindestens 14 Direktmandate gewinnen, um alle Plätze zu füllen.

Das wiederum ist wahrscheinlich. Laut der Seite wahlkreisprognose.de, welche sich vor allem auf die Direktmandate konzentriert, kann die AfD aktuell mit 27 Direktmandaten rechnen (Stand: Mitte Juni); elf davon – vor allem in der Sächsischen Schweiz und in Bautzen – gelten als sehr sicher. Entscheidend dürfte also sein, wie groß die Übereinstimmung der erfolgreichen Direktbewerber/-innen mit den 18 verbliebenen AfD-Kandidaten auf der Landesliste ist.

Alle Personen auf der Landesliste treten auch als Direktbewerber/-innen an. Laut wahlkreisprognose.de dürften es davon sieben sicher und zwei sicher nicht in den Landtag schaffen. In den übrigen neun Fällen ist der Ausgang wohl noch völlig offen.

Berücksichtigt man lediglich jene elf Direktmandate in allen 60 Wahlkreisen, die als sicher gelten, heißt das: Sieben Personen davon stehen auf der Landesliste und vier nicht. Letztere kämen zu den 18 Plätzen, die die Landesliste „garantiert“, also hinzu. Somit kann die AfD aktuell mit mindestens 22 Sitzen im Landtag planen.

Doch was würde passieren, wenn die AfD nicht nur diese elf „sicheren“, sondern alle der derzeit 27 prognostizierten Direktmandate holt?

Was derzeit wahrscheinlich ist

Diese 27 Direktbewerber/-innen würden in den Landtag einziehen. Elf von ihnen stehen auf der Landesliste. Mit den übrigen sieben Personen von der Landesliste könnte die AfD die ihr zustehenden Plätze im Landtag auffüllen. Wären das – so wie oben spekuliert – 32, könnte die AfD also fünf weitere Abgeordnete über die Landesliste ins Parlament schicken. Dass ein Großteil der Landesliste nicht zugelassen wurde, wäre somit egal.

Relevant wäre es in diesem Fall erst wieder, wenn die AfD ein deutlich besseres Zweitstimmenergebnis als 25 Prozent erzielen würde und beispielsweise ein Recht auf 35 Sitze hätte. Die auf der Landesliste verbliebenen sieben Personen würden dann nicht ausreichen, um zusätzlich zu den 27 Direktbewerber/-innen alle Plätze zu füllen.

Das heißt: Je besser das Ergebnis der AfD desto wahrscheinlicher sind negative Konsequenzen aus dem Listendebakel.

Für den Wahlkampf der AfD ergeben sich nun spannende Fragen. Taktisch wäre es sinnvoll, vor allem in den Wahlkampf jener Personen zu investieren, die Chancen auf ein Direktmandat haben, aber nicht auf der Landesliste stehen. Taktisch sinnvoll wäre es aber auch für die anderen Parteien, ein Direktmandat für genau diese Personen zu verhindern und den Wahlkampf neben anderen, eigenen Schwerpunktwahlkreisen ebenfalls auf diese Kreise zu konzentrieren.

Jedes verlorene Direktmandat könnte für die AfD einen verlorenen Sitz im Parlament bedeuten. Und eine Frage ist derzeit natürlich nicht zu beantworten: Wie wird sich die Reduzierung der Landesliste der AfD um 43 Namen ab Platz 19 abwärts auf die Motivation der Wahlkämpfer auswirken?

Update 5. Juli 2019, 19:40 Uhr

Die Seite wahlkreisprognose.de hat am Freitag, den 5. Juli, neue Daten veröffentlicht, wodurch einige im Text erwähnte Zahlen bereits veraltet sind. Relevant sind vor allem zwei Veränderungen.

Zum einen hat sich die Zahl der Wahlkreise, in denen die AfD einen Vorsprung haben soll, von 27 auf 26 verringert. Zum anderen sind es nun nur noch acht statt elf Direktmandate, die laut Darstellung der Seite relativ sicher sind. Unter den drei Personen, die das „sichere“ Mandat „verloren“ haben, ist eine, die nicht auf der Landesliste steht. Der passende Absatz oben müsste nun also lauten:

„Berücksichtigt man lediglich jene acht (vorher: elf) Direktmandate in allen 60 Wahlkreisen, die als sicher gelten, heißt das: Fünf (vorher: sieben) Personen davon stehen auf der Landesliste und drei (vorher: vier) nicht. Letztere kämen zu den 18 Plätzen, die die Landesliste „garantiert“, also hinzu. Somit kann die AfD aktuell mit mindestens 21 (vorher: 22) Sitzen im Landtag planen.

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