Natürlich konnte auch Kerstin Köditz, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, noch nicht ahnen, dass es am Wochenende vom 15. zum 16. Februar Haftbefehle gegen zwölf Mitglieder einer rechtsextremen Terrorzelle namens „Gruppe S.“ hageln würde. Erst am 17. Januar hatte es in Dresden deutliche Urteile für die Mitglieder der „Freien Kameradschaft Dresden“ gegebenen. Da fand erstmals tatsächlich auch die CDU klare Worte, was schon überraschte.

Denn bislang hatte die CDU die klaren Meinungsäußerungen zu den rechtsextremen Umtrieben in Sachsen eher den Linken überlassen.

Da erstaunten dann schon die recht deutlichen Worte von Martin Modschiedler, Vorsitzender des CDU-Arbeitskreises „Verfassung und Recht, Demokratie, Europa und Gleichstellung“: „Die klaren Urteile sind ein wichtiges Signal im Kampf gegen den Rechtsextremismus. Wer politisch motivierte Gewalttaten gegen Ausländer, Andersdenkende oder auch Amts- und Mandatsträger plant und durchführt, muss die ganze Härte unserer Strafgesetze spüren. Dieser Strafprozess zeigt: Unsere Demokratie ist wehrhaft und unser Rechtsstaat handlungsfähig. Wir werden rechtsextreme Gewalt und Hasskriminalität entschlossen und konsequent weiter verfolgen.“

So wehrhaft hat sich der sächsische Rechtsstaat viele Jahre lang nicht gezeigt, was einigen Terrorgruppen – auch dem NSU – lange die Freiräume verschaffte, ungestört in Sachsen zu agieren, Andersdenkende und ganze Landstriche einzuschüchtern und sich auch ungehindert mit Waffen aufzurüsten.

Waffen, von denen man schon sehr genau weiß, auf wen man sie richten will. So, wie die vor allem in Sachsen-Anhalt heimische „Gruppe S.“ Moscheen und Muslime als Ziel ausgewählt hatte. Die Strategien der Rechtsextremen sind immer wieder dieselben: Mit Gewalt wollen sie Andersdenkende und Andersgläubige einschüchtern.

„Verbindungen von Mitgliedern der Gruppe führen tief hinein ins Milieu deutscher Neonazis. Unter den Festgenommenen befinden sich regionale Anführer der ,Soldier of Odins‘-Abspaltung ,Vikings Security Germania‘, einer deutschlandweit agierenden Neonazi-,Bürgerwehr‘, die sich in Divisionen aufteilt“, schreibt die „Frankfurter Rundschau“.

Das Verbot dieser gewaltbereiten Gruppen allein genügt nicht. Das sorgt bestenfalls dafür, dass sich die Mitglieder dieser Netzwerke einen neuen Namen geben, andere Kommunikationskanäle nutzen und vom Radar der Verfassungsschützer verschwinden. Sie tauchen regelmäßig wieder auf, wenn wieder eine neue militante Gruppe auffliegt.

Diese Leute ändern weder ihr Denken noch ihre Strategie, die Gesellschaft gewaltsam verändern zu wollen – also ganz simpel mit bewaffnetem Terror und massiver Einschüchterung.

Und deshalb fragen die Abgeordneten der Linksfraktion seit Jahren immer wieder im Landtag nach der Bewaffnung dieser militanten Neonazis in Sachsen. Wahrscheinlich auch hoffend, der angefragte Innenminister versteht den Grund der Frage und handelt dann auch entsprechend.

Zu Jahresbeginn hat Kerstin Köditz wieder einen solchen Stapel Kleiner Anfragen an die Staatsregierung versandt. Und Innenminister Roland Wöller hat jetzt detailliert geantwortet. Auch wenn es ein bisschen peinlich für ihn und die Sicherheitsbehörden ist, denn dem Wissen über die Bewaffnung der Rechtsextremen folgt oft keine staatliche Handlung.

Und so kann Kerstin Köditz einmal mehr feststellen: Der Trend zur Bewaffnung hält in Sachsen an, Kontrollen finden dagegen eher selten statt. Unterm Strich gelangen auch Anhänger der rechten Szene wieder verstärkt an Waffen. Das berührt natürlich wieder einmal das heilige Feld der Waffenbesitzer. Doch seit 2015, seit insbesondere die AfD die Ängste in Sachsen schürt, legen sich immer mehr Sachsen ein richtiges Waffenarsenal zu. Nicht alle. Waffenbesitzer sind – auch wenn die Zahlen beeindrucken – eine Minderheit.

„So gab es im Freistaat Ende 2019 mehr als 177.000 registrierte Waffen und Waffenteile (Drucksache 7/1032), etwa 7.000 mehr als Ende 2018“, nennt Kerstin Köditz die blanken Zahlen. „Rund 89 Prozent befinden sich in Privatbesitz und verteilen sich sachsenweit auf rund 30.300 registrierte Besitzer, etwa 600 mehr als Ende 2018. Auch die Zahl waffenrechtlicher Erlaubnisse ist gestiegen, von rund 47.700 Ende 2018 auf 49.500. Anhaltend ,beliebt‘ sind die Kleinen Waffenscheine, die zum Führen von Schreckschusswaffen berechtigen: Deren Zahl stieg von 18.750 auf 20.169. Während generell die meisten Waffenbesitzer im Erzgebirgskreis leben, wurden besonders viele Kleine Waffenscheine in Leipzig (3.101) und Dresden (2.269) ausgegeben.“

Trotzdem werden, so muss sie feststellen, die Kontrollmöglichkeiten nicht ausgeschöpft (Drucksache 7/1031).

„Zwar veranlassten die örtlichen Waffenbehörden 2019 mehr als 800 Kontrollbesuche, um zu prüfen, ob erlaubnispflichtige Waffen ordnungsgemäß verwahrt werden. Das geschieht teils anlassunabhängig und unangemeldet. Aber die Kontrolldichte ist gering, geprüft wurden weniger als drei Prozent der Waffenbesitzer – und nicht alle wurden angetroffen“, betont Köditz.

In Chemnitz und Dresden sowie den Kreisen Görlitz, Mittelsachsen und Nordsachsen war die Zahl der Kontrollen sogar nur einstellig. Das heißt: Die Kommunen, die die waffenrechtlichen Erlaubnisse ausreichen, sind meist gar nicht in der Lage, dann auch den ordnungsgemäßen Umgang mit den Waffen zu kontrollieren.

Und dass manche Waffenbesitzer ihr Arsenal keineswegs sicher aufbewahren, zeigen dann die angezeigten Diebstähle und Verluste registrierter Waffen.

„Anlässe, genauer hinzusehen, gibt es aber genug“, kann Köditz feststellen. „Derzeit gelten in Sachsen mehr als 170 registrierte Schusswaffen und Waffenteile, die sich im Privatbesitz befunden haben, als gestohlen oder wurden anderweitig ,verloren‘ (Drucksache 7/1019). Bei der Polizei gab es zuletzt mehr als 1.200 Fahndungsausschreibungen zu Schusswaffen und Waffenteilen. Auch sächsische Staatsanwaltschaften sind häufig damit befasst (Drucksache 7/1008).

Ende 2019 wurde in 614 offenen Verfahren wegen Verstoßes gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz sowie das Kriegswaffenkontrollgesetz ermittelt. In drei dieser Verfahren wird von rechtsmotivierten Taten ausgegangen, zwei der ermittelten Tatverdächtigen werden zudem dem Reichsbürger-Spektrum zugerechnet. Bei einem davon besteht der Verdacht des illegalen Waffenbesitzes.“

Zuletzt wurden in Sachsen 99 Personen, die im Besitz einer waffenrechtlichen Erlaubnis sind, von Amts wegen der rechten Szene zugerechnet (Drucksache 7/992) – 20 mehr als im Vorjahr.

„Die meisten leben im Erzgebirgskreis (19) sowie den Landkreisen Bautzen (11) und Görlitz (10). Hinzu kommen 18 ,legal‘ bewaffnete Reichsbürger. Das sind weniger als im Vorjahr (36), was aber auch an veränderten Zählweisen liegen kann“, so Köditz.

„Von einer Entwaffnung der extremen Rechten kann unterm Strich jedenfalls keine Rede sein, die Zahlen sprechen eher für einen Trend hin zur Wiederbewaffnung. 2019 wurden zwar sachsenweit 41 Waffenbesitzer überprüft, bei denen Hinweise vorliegen, dass sie der rechten Szene angehören. Aber nur bei zwei amtsbekannten Rechtsextremisten und fünf Reichsbürgern wurden bereits erteilte waffenrechtliche Erlaubnisse widerrufen. Sie mussten ihre Waffen abgeben – alle anderen dürfen sie weiter besitzen.“

Vor dem Hintergrund der in letzter Zeit bekannt gewordenen Gruppen gewaltbereiter Rechtsextremer ist diese Gleichgültigkeit der Kontrollbehörden nicht zu verstehen. Lediglich die seit Jahren bekannte Unterbesetzung der Waffenbehörden erklärt, warum hier nicht so gehandelt wird, wie von der Staatsregierung versprochen.

„Die aktuellen Daten zeigen sehr deutlich, dass die Kontrolltätigkeit in keinem vernünftigen Verhältnis zur steigenden Zahl der Waffen steht – und dass es trotz häufiger Ankündigungen aus dem Innenministerium nicht gelingt, die extreme Rechte zu entwaffnen“, konstatiert Kerstin Köditz.

„Hier muss die Staatsregierung endlich handeln. Dass die kommunalen Sicherheitsbehörden genauer hinsehen sollen, ist im Koalitionsvertrag verankert. Dafür müssen die örtlichen Waffenbehörden aber auch besser ausgestattet werden, um mit der Entwicklung Schritt halten zu können.“

Auch in Leipzig weiß der Innenminister sechs bekannte Rechtsextremisten mit waffenrechtlicher Erlaubnis zu nennen. Dazu noch zwei bekennende „Reichsbürger“. Es ist also nicht nur in den Landkreisen ein Problem, die Rechtsradikalen zu entwaffnen.

Sachsens Innenminister gibt erstmals Auskunft zu rechtsextremen Vorfällen bei der sächsischen Polizei

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