Ein gutes Jahr ist es nun her, da gab es eine ähnliche Situation in der Kleinstadt unweit Leipzigs. Björn oder Bernd, wie einige sagen, Höcke (AfD) besuchte Grimma, hielt eine Rede im Saal des Rathauses und verschwand wieder. Die vor Ort viel beschworene Gewalt gab es nicht, dafür eine Art Protest-Fest auf dem Marktplatz vis a vis des Rathauses, organisiert durch Die Linke vor Ort und Unterstützung aus Leipzig. Dieses Mal wollen die Grimmaer um ihren parteilosen Bürgermeister Matthias Berger selbst etwas auf die Beine stellen. „Leipzig nimmt Platz“ hat angekündigt, sich diesem Protest gegen Höcke anschließen zu wollen.

23 Uhr: Ein kleines Reise-Fazit

Wenn etwas an diesem Ausflug nach Grimma interessant war, dann – neben der erneuten Friedlichkeit der im sächsischen Land so (medial) gefürchteten „Antifa“ und dem erneuten Eindruck, dass Grimma ein ganz hübsches Städtchen ist – zum einen das Verhalten des Grimmaer Bürgermeisters und eine mittlerweile fest geschlossene Front zwischen einigen AfD-Vertretern und Pegida andererseits.

Bürgermeister Matthias Berger (parteilos) jedenfalls wollte bereits eine halbe Stunde nach dem Eintreffen der „Leipzig nimmt Platz“-Gäste, welche anfangs noch beklatscht und begrüßt wurden, lieber getrennte Wege gehen. Und so bat man die Leipziger nun leiser zu sein, was diese nicht wollten.

Denn während ihm und einigen Grimmaern vorgeschwebt hatte, ein kleines Bühnenprogramm mit Gitarre und (leider schlecht nachgesungenen) Gundermann-Songs zu organisieren, also mit einem kleinen Kulturprogramm und fliegenden Luftballons gegen den Auftritt Björn Höckes und seiner Parteikollegen zu protestieren, kam es rasch zu lautstarken Rufen seitens der Leipziger Gäste gegen Höcke und die AfD.

Bei „Alerta, Alerta Antifaschista“ konnte man die gezupften Melodien auf der Bühne nicht mehr hören und nach einigem Hin und Her trennte man sich lieber. „Leipzig nimmt Platz“ zog für den lautstarken Auftritt auf die andere Seite des Marktes und ließ gelichtete Reihen samt Gitarrensolo zurück.

Von den ortsansässigen Gegnern der AfD war daraufhin schon auf der Marktmitte praktisch nichts mehr zu hören. Dafür hatten die Grimmaer überall am Markt Spruchbanner aufgehängt, die zumindest so verdeutlichten, dass man die auf der Bühne versammelten Rechtsaußen einer Rechtsaußen-Partei nun auch nicht wirklich in der Stadt gebraucht hätte.

Doch bereits vor dem 28. August hatte Berger die etwas eigenwillige Linie vorgegeben: keine gemeinsame Sache mit Extremisten, egal ob rechts oder links. Was in dem Fall also immerhin eine Bewertung der stellvertretenden Leipziger SPD-Vorsitzenden Irena Rudolph-Kokot und des Leipziger Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek darstellte, die an diesem Tag „Leipzig nimmt Platz“ anführten.

Was Kasek von dieser in Sachsen reichlich bekannten „Hufeisentheorie“ hält, ist am Beginn des Videos „Impressionen aus Grimma“ zu sehen.

AfD, Pegida, „Querdenker“ – alles eins

Zeigen andere, eher westdeutsche AfD-Politiker noch immer keine Lust, gemeinsam mit Pegida oder ihren Vertretern aufzutreten, war das für Björn Höcke, AfD-Bundesvorstand Stephan Brandner und den Dresdner AfD-Bundestagsabgeordneten Jens Maier in Grimma erneut kein Problem. Brav dankte Höcke am Ende seiner eher zähen Ansprache Siegfried Däbritz (Pegida) für die gestellte Veranstaltungstechnik an diesem Abend und Brandner freute sich über die gute Tonanlage.

Apropos zäh. Sichtlich bemüht um Zustimmung versuchte Höcke auf der derzeitigen „Querdenker“-Welle zu reiten und rief das Publikum dazu auf, am samstäglichen 29. August nach Berlin zu fahren. Alle seien dann schließlich da, man sehe sich dort, so Höcke ganz Volksvertreter – wo „das Volk“ ist, muss auch der Vertreter sein. Zumal in Berlin, eine Stadt, die schon 1923 bei einem kleinen Mann große Sehnsüchte weckte.

Die ganz großen Tabubrüche blieben jedenfalls aus, fast schien es, als ob auch ein Björn Höcke mittlerweile versucht ist, angesichts AfD-interner Querelen um Kalbitz und weitere nebst Beobachtung durch den Verfassungsschutz auch etwas bürgerlicher zu erscheinen. Oder ihm schlicht nichts mehr einfällt, womit man noch irgendwie knapp legal provozieren könnte und dennoch härter ist als alles, was längst auch bei der „Querdenker“-Bewegung gesagt würde.

Er beschwerte sich darüber, dass der MDR mit ihm kein angenehmes Interview – wie sonst bei Sommerinterviews üblich – geführt habe und fast schon routinemäßig beschwor er auf der Suche nach Horrorvisionen den Einwanderungs-Corona-Niedergang des Landes und den Verlust der Arbeitsplätze.

Um dann der Bundesregierung vorzuwerfen, letztlich zu viel Unterstützung in der Corona-Krise auszuschütten und so zigtausend „Zombi-Unternehmen“ am Leben zu halten. Der flache Plot: so würden gute Unternehmen daran gehindert, letztlich deren Marktanteile zu übernehmen und besser in die Zukunft zu steuern.

Man fragte sich an dieser Stelle ehrlich, ob da nicht jemand für Amazon und gegen die coronagebeutelten Einzelhändler in den Städten, Gastronomen und Veranstaltungsagenturen samt Künstler sprach.

Hat Ideen für die Zukunft: Björn Höcke. Foto: L-IZ.de
Hat Ideen für die Zukunft: Björn Höcke. Foto: L-IZ.de

Dass er damit zudem gerade jenen Noch-Nicht-Senioren im Publikum die baldige Umschulung und anschließende Arbeitsplatzsuche anbot, merkte aber keiner auf Anhieb und so gab es Applaus für die wirtschaftlichen Corona-Ideen des Wahl-Thüringers. Vielleicht auch nur, weil er es mit der bekannten Verdammung aller Politiker außer denen der AfD würzte.

Natürlich durfte auch das Wort „Freiheit“ angesichts der Freiheitsrufe der gerade querdenkenden Freiheitsbewegung nicht fehlen und so bot er dem Volk in Grimma die AfD frank und frei als die Partei der Freiheit und der echten Demokratie an.

Wem das zu viel Freiheit auf einmal war, der trollte sich vorzeitig. Eine ältere Frau jedenfalls war sauer und murmelte hinter ihrem betagten Gatten einhertrottend „Irgendwann erschieß ich ihn“. Da sie in seinen Rücken starrte, konnte nicht Höcke gemeint sein und die an diesem Abend angenehm professionelle Polizei blieb weiter in ruhiger Arbeitshaltung.

Man ahnte also beim ungewollten Hören des halben Dialogs: sie hätte Höcke gern noch etwas gelauscht, doch den Herrn zog es gegen 20 Uhr bereits ermüdet nach Hause. Was der ganze Abend letztlich sollte, blieb etwas nebulös. Björn Höcke war mal wieder in Grimma und wirklich viele hat es nicht interessiert.

Nach 2019 und 2020 darf man erwarten, dass er auch 2021 wieder nach Grimma kommen wird. Dann ist immerhin Bundestagswahl und aller guten Dinge sind Drei.

Impressionen vom 28. August 2020 aus Grimma

Video: L-IZ.de

19:40 Uhr: Alle Versammlungen in Grimma sind friedlich, doch der Gegenprotest hat sich getrennt. Nachdem Grimmas Bürgermeister Matthias Berger nicht wirklich gemeinsam mit Leipzig nimmt Platz protestieren wollte, haben diese nun auf der anderen Seite des Marktes Platz genommen.

20:00 Uhr: Nun spricht Höcke, eine Einordnung seiner Rede folgt …

Einblicke und Bilder einer Reise in die sächsische Kleinstadt

Video: L-IZ.de

Video: L-IZ.de

Berlin, Berlin – Wir fahren …: Wie die „Bewegung Leipzig“ zu einer treibenden Kraft der „Querdenker“ wird

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