Ein Video macht die Runde. Eines von vielen, in diesem Fall eine Warteschlange so lang, wie der gesamte Hauptbahnhof Leipzigs breit ist in den Promenaden. Die Menschen sind gekommen, um sich impfen zu lassen und warten: Von vier bis acht Stunden wird seit einer Woche an vielen Stellen berichtet, manchmal ist auch der Impfstoff alle. Während Gesellschaft, Mediziner und Politik zum Impfen, Boostern und Kampf gegen COVID-19 aufrufen. Nur die Strukturen reichen nicht, noch nicht, sagt Silko Kamphausen, Chef der Eigenbetriebe Engelsdorf/Leipzig und tief eingebunden in den Ausbau der mobilen Impfkapazitäten der Stadt.

Sehr geehrter Herr Kamphausen, wie läuft nun, nachdem das Land Sachsen ja weitere Finanzmittel beschlossen und eine deutliche Anhebung der Impfteam-Zahlen und der Impfteams selbst personell angekündigt hat, die aktuelle Impfkampagne aus Sicht der Eigenbetriebe Engelsdorf und Ihren Impfteams?

Gegenwärtig ist der Zuspruch bei den Impfangeboten sehr groß. Durch die Empfehlung der Sächsischen Impfkommission, Boostern für alle ab 18 Jahre zu ermöglichen, gab dies der Kampagne zum 1. November einen zusätzlichen Schub – bei gleichzeitiger Beibehaltung der vier (!) bestehenden mobilen Impfteams in Leipzig.Um Wartezeiten zu verringern, haben wir bereits die Kapazitäten aufgestockt (eine Verdopplung des ärztlichen Personals), sodass derzeit im Schnitt 1.200 Impfungen pro Tag vorgenommen werden. Vor dem 01.11.2021 waren es durchschnittlich noch 600 Impfungen am Tag (250–600, je nach Standort).

Beispielhaft sei der 04.10.2021 mit nur 250 Impfungen in allen vier Teams zu erwähnen. Im Oktober war noch die Überlegung, ob wir einzelne Standorte wieder schließen und Alternativaktionen prüfen, um mehr Menschen für das Angebot zu erreichen. Wir hatten hierzu nochmals, um die Bereitschaft zu erhöhen, eine dezidierte Öffentlichkeitsaktion mit Werbebannern und 25.000 Flyern initiiert.

Wir haben trotz der Bedingungen und der Kurzfristigkeit der Ankündigungen reagiert und die Anzahl der Impfungen teilweise mehr als verdoppeln können. Auch die neuen Verordnungen haben Auswirkungen auf die Nachfrage und die Stimmung vor Ort.

Was könnte – angesichts der langen Schlangen und des hohen Interesses der Bevölkerung an einer COVID-19-Schutzimpfung – besser laufen?

Notwendig war/ist eine Aufstockung der Impfkapazitäten. Durch den Beschluss der Staatsregierung ist dies nun möglich. Die Stadt Leipzig, der Kommunale Eigenbetrieb Leipzig/Engelsdorf, die Kassenärztliche Vereinigung sowie Deutsches Rotes Kreuz, Malteser Hilfsdienst, Arbeiter-Samariter-Bund (die mobile Teams stellen) und das Gesundheitsamt stehen in engem Austausch, beraten, legen fest und setzen innerhalb kürzester Zeit auch um.

Wir bereiten alles vor, damit wir ab 1. Dezember die Impfkapazitäten nochmals erweitern können. Täglich sind wir hierzu in Rücksprache mit den beteiligten Strukturen und Verwaltungseinheiten. Die Ankündigung des Freistaates, zusätzlich Kapazitäten zu schaffen, begrüßen wir.

Hierzu sind noch einige wenige Absprachen notwendig. Auch im Dezember planen wir weiterhin, die Kapazitäten innerhalb des Monats und in Abhängigkeit der politischen Interaktionen auch im neuen Jahr nochmals zu erhöhen.

Bei der Bewertung dieser Situation und bei dem Ruf zur sofortigen Öffnung der Impfzentren verweise ich auf die Diskussion zur Schließung der Impfzentren zum 30.09.2021 (warum erst so spät die Schließung, betriebswirtschaftlich nicht tragbar etc. pp).

Der 25.11.2021 am Hauptbahnhof Leipzig

Eine Situation, die zu deutlichen Reaktionen im Netz und vor Ort führt. Warten am Hauptbahnhof. Video: LZ

Verfügen Sie über ausreichend Personal, woher kommt das Personal derzeit, suchen Sie noch immer Leute?

Das DRK und die Hilfsorganisationen sind gegenwärtig dabei, Personal für die mobilen Impfteams zu rekrutieren, sodass von dieser Seite ab 1. Dezember eine Verdopplung der Impfkapazitäten stattfinden kann.

Der KEE hat ebenfalls 18 zusätzliche Beschäftigte eingestellt, deren Arbeitsverträge spätestens morgen mit Beginn 29.11.2021/01.12.2021 geschlossen werden (überwiegend Vollzeit). Dies zeigt die hohe Bereitschaft der Menschen sich auch aktiv einzubringen.

Welche technischen (Computer, Datenschutz etc.) oder anderen Probleme behindern Ihre Arbeit?

Durch die mobilen Teams der beteiligten Hilfsorganisationen wird die Technik genutzt, die die Kassenärztliche Vereinigung zur Verfügung stellt. Das Procedere des Check-In/Check-Out erfordert einen hohen administrativen Aufwand, der viel Zeit in Anspruch nimmt, da direkt über einen mobilen Zugang im System der KV gearbeitet wird.

Wie könnte man diese Probleme, die ja (auch) zu Verzögerungen in den konkreten Impfverläufen führen, lösen?

Das Procedere ist vorgeschrieben und kann daher nicht „verschlankt“ werden. Eine rechtssichere Umsetzung und Erfassung ist notwendig und kann nicht deutlich verkürzt werden. Zudem muss bei aller Eile auch eine fundierte Beratung der Ärztinnen und Ärzte vor Ort gewährleistet werden. Der nachvollziehbare Druck darf nicht zulasten des Aufklärungsgespräches der Leipziger Bürgerinnen und Bürger gehen. „Safety first“ ist auch hier das tägliche Gebot.

Ein Blick auf vergleichbare Städte wie die Kreisfreien Städte Dresden und Chemnitz zeigt, dass Leipzig natürlich noch mehr ab dem 01.12.2021 machen kann und wird, sich aber insgesamt nicht verstecken muss. Beispielhaft sei hier auch auf die hohe Nachfrage von Menschen außerhalb Leipzigs verwiesen, die unsere Hotline im KEE anrufen und sich in Leipzig impfen lassen möchten.

Anbei der Link, den Sie sicherlich kennen: https://www.coronavirus.sachsen.de/ueberblick-coronaschutzimpfungen-in-sachsen-9874.html

Was haben wir vergessen zu fragen, wozu Sie unbedingt noch etwas sagen wollen?

Ich habe eine persönliche Einschätzung, die mich in den vergangenen Tagen infolge der Berichterstattung umtreibt und nicht für die Stadt oder die Hilfsorganisationen stehen kann. Dennoch möchte ich diese mitgeben, als BL des KEE und als Bürger der Stadt Leipzig

Persönlich möchte ich die schwierige Situation für die Beschäftigten und Wartenden bei den mobilen Impfteams überhaupt nicht negieren. Ausreichend Berichterstattung hat bereits hierzu stattgefunden. Aber in der Bewertung eines Erfolgs/Misserfolgs muss der Adressatenkreis der Kritik bitte unterschieden werden.

Die Kritik darf sich m. E. nicht an die engagierte Belegschaft der Hilfsorganisationen richten. Ich greife nicht die Feuerwehr an, die mein Haus löscht, weil wer anders den Brand gelegt hat. Die Ebenen müssen im Diskurs getrennt werden.

Gleichwohl möchte ich jedoch mahnen, dass die Schärfe aus dem öffentlichen Diskurs genommen werden muss, da Problemlagen/Ursachen hierdurch wenig strukturell, sondern vornehmlich individuell betrachtet werden und Einsatzkräfte und Belegschaft vor Ort im Ergebnis diesen Anfeindungen ausgesetzt sind. Die Mitarbeitenden in den Teams vor Ort leisten in Anbetracht der Gesamtzustände großartiges.

Ich habe die Erwartung an (politische) Entscheidungsträgerinnen und -träger, dass sie sich ihrer Wirkung und Reichweite von Äußerungen bewusst sind, differenzieren, um beste Lösungen für die Gesellschaft ringen und um Respekt für die Umzusetzenden werben, damit Übergriffe wie in Dresden verhindert werden oder auf Beschimpfungen, Bespucken wie in Leipzig, deeskalierend eingewirkt wird.

Eine politische Kritik kann m. E. gleichberechtigt danebenstehen und muss ausgehalten werden. Ein schmaler Grat, der momentan nicht immer zufriedenstellend gelingt und die Anspannungen vor Ort „befeuert“. Die Impfkampagne fußt auf vielen Schultern: Betriebsärzte, Hausärzte, Krankenhäuser/Kliniken und als Zusatzangebot und nicht substituierend auf den mobilen Impfteams.

Dies muss bei der Bewertung und aller nachvollziehbaren Wünsche und berechtigter Kritik der Stadtgesellschaft, zu der auch wir gehören, berücksichtigt werden. Ab dem 01.12.2021 wird es in Leipzig, dank der sehr guten Kooperationsstrukturen zwischen Stadt Leipzig, DRK, Hilfsorganisationen und KEE, weitere Entlastung geben. An einer stetigen Erweiterung der Angebote sind wir dran und auch sehr schnell in der Umsetzung.

Laute, wenig sachdienliche Kritik von der Ersatzbank hilft den Umsetzern vor Ort – ähnlich wie bei einer WM und den Spielerinnen auf dem Feld – jedoch nicht weiter. Ich spreche hier als Betriebsleiter für meine Beschäftigten, als Risikopatient der damaligen Priogruppe 2, der durch den Andrang ebenfalls noch nicht geboostert ist und als Vater, der auch noch eine Zweitimpfung für seinen Sohn braucht.

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