Vielleicht sollte auch Sachsens Ministerpräsident im letzten Jahr vor der Wahl seine Argumentation zur sächsischen Kohlewirtschaft ändern. Denn deren Betrieb bis 2038 wird ja auch immer wieder mit dem Argument der dort bedrohten Arbeitsplätze gefordert. Doch der Strukturwandel ist längst in gang. Und in der Lausitz, wo das Arbeitskräfteargument am häufigsten fällt, fehlen die Arbeitskräfte für die neuen Wirtschaftszweige absehbar schon heute.

Am Freitag, 1. Dezember, beschäftigte sich der Regionalausschuss des Sächsischen Landtages auf Antrag der Linksfraktion (Drucksache 7/13752) mit der Frage, wie das Ende der Braunkohleverstromung den Arbeits- und Fachkräftebedarf verändert. Dazu wurden mehrere Sachverständige angehört.

Und für Antonia Mertsching, Lausitzer Abgeordnete und Sprecherin für Strukturwandel der Linksfraktion im Landtag, ist die Sache eindeutig: „Die Anhörung hat gezeigt: Das Ende der Braunkohleverstromung in der Lausitz wird nicht zu großer Arbeitslosigkeit in der Region führen, ganz im Gegenteil. Schon heute fehlen die Fachkräfte. Bereits jetzt entscheiden sich große Unternehmen gegen eine Ansiedlung in der Lausitz, weil sie nicht wissen, woher die benötigten Arbeitskräfte kommen sollen.“

Und da steht dann sperrig die Argumentation des Ministerpräsidenten im Raum, der unbedingt am Kohleausstieg erst 2038 festhalten will. Aber bis dahin haben interessierte Unternehmen, die über einen Standort in der Lausitz wenigstens nachgedacht haben, ihre Entscheidungen in der Regel getroffen. Und die fallen immer häufiger gegen die Lausitz aus.

Die Lausitz braucht Zuzug

„Statt weiterhin das Schreckensbild zu malen, dass nach dem Ausstieg aus der Kohleverstromung viele Arbeitskräfte abwandern würden, müssen schon heute Maßnahmen ergriffen werden, damit die Lausitz attraktiver für Zuzügler wird. Sachverständige prognostizieren auch keinen Wertschöpfungsverlust“, stellt Antonia Mertsching fest. „Das ursprüngliche Ziel, Ersatzarbeitsplätze für Kohlekumpel zu schaffen, sei angesichts des Fachkräftemangels und der demografischen Entwicklung überholt.“

Rechne man zusammen, wie viele Jobs in der sächsischen und brandenburgischen Lausitz durch die bereits beschlossenen Projekte zum Strukturwandel entstehen werden, kommt man auf mehr als 20.000 (Lausitz Magazin, Ausgabe 25, S. 104). Diese Zahl steht den 8.278 direkt und 4.967 indirekt Beschäftigten der Braunkohleindustrie im Lausitzer Revier gegenüber, wie man aus der Großen Anfrage der Linksfraktion „Arbeits- und Fachkräftebedarf in Sachsen“ (Drucksache 7/13519) erfahren konnte.

„Die Region braucht also viel mehr Arbeitskräfte als bisher für die Kohleindustrie tätig waren“, fasst Mertsching zusammen.

Und da steht auf einmal das Problem der Infrastrukturen im Raum, denn auch die Lausitz wurde in den vergangenen 30 Jahren infrastrukturell ausgedünnt, was die Abwanderung gerade junger Menschen in die Großstädte Mitteldeutschlands regelrecht befeuert hat.

„Nötig sind gut bezahlte Arbeitsplätze. Wir haben bereits Vorschläge unterbreitet, wie beispielsweise die Schienenfahrzeugindustrie in der Lausitz weiter ausgebaut werden kann“, sagt Mertsching. „Es müssen aber auch die Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit sich Menschen in der Region wohlfühlen. Dazu gehören eine bessere medizinische Versorgung, eine schnellere Erreichbarkeit mit Bus und Bahn, gute Kitas und vor allem eine Kultur, die zugezogene Menschen mit Offenheit und Respekt begrüßt.“

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