Unsere Gesellschaft ändert sich. Viel schneller, als die Botschaft bei den in Regierungsverantwortung gewählten Politikern ankommt. Das bringt nicht nur Renten- und Krankenkassen unter Druck. Das zwingt schon längst ältere Menschen in Sachsen, die eigentlich ihren „wohlverdienten Ruhestand genießen“ dürften, weiterhin einer Arbeit nachzugehen, weil die gesetzlich verordnete Rente nicht zum Leben reicht. Sie können gar nicht anders. Und darauf, dass sich deutsche Regierungen zu einer richtigen Rentenreform durchringen, können sie schon gar nicht warten. Die Statistik zeigt, was sie tun.
Die Zahl der Menschen, die im Rentenalter weiterarbeiten, ist auch 2024 in Sachsen weiter gestiegen. Das zeigt eine aktuelle Anfrage von Susanne Schaper, Vorsitzende und sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Sächsischen Landtag (Drucksache 8/2900). Demnach waren zum Jahresende 13.884 Rentnerinnen und Rentner sozialversicherungspflichtig und 48.448 geringfügig beschäftigt.
„Die Zahl der berufstätigen Rentnerinnen und Rentner ist das sechste Jahr in Folge kräftig gewachsen“, kann Susanne Schaper nach ihrer jüngsten Anfrage an die Staatsregierung feststellen. „Sie ist heute etwa doppelt so hoch wie vor fünfzehn Jahren. Wer im Alter weiterarbeiten möchte, soll dies tun – das hilft unserer vom Arbeitskräftemangel geplagten Gesellschaft. Es darf aber niemand dazu gezwungen sein, weil Geld fehlt. Im Osten ist die gesetzliche Rente für viele die einzige Einkommensquelle. Immer mehr Menschen reicht sie nicht zum Leben. Dieser Verlust an Kaufkraft muss alle alarmieren!“

Das Problem hinter der steigenden Zahl von Rentnerinnen und Rentnern, die weiterarbeiten: Das Rentenniveau sinkt. Profitierten frühere Rentnerjahrgänge noch davon, dass ihre Arbeitszeit in der DDR ohne Abstriche angerechnet wurde, bekommen die jüngeren Jahrgänge zu spüren, wenn das gesetzlich verordnete Rentenniveau die sowieso schon niedrigen Arbeitseinkommen in vielen ostdeutschen Branchen regelrecht entwertet.
„Bestandsrentnerinnen und -rentner in Sachsen erhielten Ende 2023 im Durchschnitt 1.303,36 Euro, neue Rentnerinnen und Rentner bekamen durchschnittlich nur noch 1.204,14 Euro“, kann Schaper mit Verweis auf die Statistik 2023 der Deutschen Rentenversicherung (neuere Daten liegen noch nicht vor) feststellen. „Da fällt es schwer, mit steigenden Preisen und Mieten klarzukommen.“
Eine richtige Rentenreform ist überfällig
Für Susanne Schaper begründet das die Forderung nach einem Rentensystem, in das alle einzahlen, auch und gerade die besonders gut Verdienenden.
„Damit alle ihren Ruhestand genießen und frei darüber entscheiden können, ob sie arbeiten wollen, muss die gesetzliche Rentenversicherung eine sichere Bank für alle sein. Das ist möglich, wenn alle Erwerbstätigen einbezogen werden und für ihre gesamten Einkünfte im Job und am Finanzmarkt Beiträge in den Rententopf entrichten“, so die Landtagsabgeordnete.
„Die Beitragsbemessungsgrenze muss weg, damit auch Menschen mit hohem Einkommen pflichtgemäß zur Solidargemeinschaft beitragen. Wir wollen eine solidarische Mindestrente in Höhe von 1.400 Euro netto im Monat für alle einführen, bei der Rentenbesteuerung müssen großzügige Freibeträge gelten.“
Und diese Entwicklung trifft natürlich auf einen neuen Vorstoß, den diesmal Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche gestartet hat: „Wir können nicht ein Drittel des Erwachsenenlebens in Rente verbringen“, sagte sie gegenüber der FAZ.
Und benannte dabei ein durchaus virulentes Problem. Denn wenn die Lebenserwartung immer weiter steigt, sind auch mehr Menschen deutlich länger in Rente. Das zusätzliche Geld muss natürlich irgendwo herkommen. Doch gleichzeitig folgen deutlich ausgedünnte junge Jahrgänge in den Arbeitsmarkt, die diese Renten erarbeiten müssten. Das geht schon rechnerisch nicht zusammen.
Nur können eben nicht alle Berufstätigen länger arbeiten. Gerade Menschen in körperlich belastenden Berufen werden nicht einfach noch ein paar Jahre dranhängen können, um ihren Lebensunterhalt zu decken. Reiches Vorstoß erfasst das Problem also nicht wirklich.
Das falsche Vorbild USA
„Wir wenden uns auch strikt gegen alle Forderungen wie jene von Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU), das Renten-Eintrittsalter weiter zu erhöhen“, sagt Schaper. „Schon jetzt können viele Beschäftigte gar nicht bis 67 arbeiten. Jede Erhöhung des Eintrittsalters ist also eine Rentenkürzung.“
Und es ist ein politisches Ausweichmanöver. Denn dass ein Rentensystem auch mit anderen Ansätzen stabilisiert werden kann, zeigen etwa Nachbarländer wie die Schweiz oder Österreich. Es ist sehr wohl möglich, alle Erwerbstätigen in eine einzige Rentenkasse einzahlen zu lassen und so die Besserverdiener mit einzubeziehen, um die Renten der Knochenjobber mitzufinanzieren. Und gleichzeitig kann so ein Mindestenrentenniveau erreicht werden, das auch den Menschen in Billigjobs die Angst vor dem Alter nimmt.
Aber genau um diese Angst geht es. Und die wird auch von Reiche weiter geschürt. Sie ging im FAZ-Beitrag auch wieder auf die von Bundeskanzler Friedrich Merz geschürte Debatte über die oberflächlich betrachtet niedrige Arbeitszeit der Deutschen ein, setzte gar die USA als Gegenbeispiel, wo die Erwerbstätigen auf (nicht ganz) 1.800 Stunden Arbeitszeit im Jahr kämen, während es in Deutschland „nur“ 1.340 Stunden seien. Die höhere Beschäftigungsquote in Deutschland wird dann meistens negiert. Wobei sie sich nicht einmal auf amtliche Statistiken bezog, sondern auf irgendwelche Unternehmen, die ihr das berichtet hätten.
Aber ihre Aussagen lassen ahnen, wie sehr sich gerade die Unionsspitzen das deregulierte amerikanische Wirtschaftssystem zum Vorbild nehmen, das viele Erwerbstätige regelrecht zwingt, zwei und mehr Jobs anzunehmen, um wenigstens ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Von einer sicheren Rente ganz zu schweigen.
Regelrecht fragwürdig wird die Debatte, wenn man gleichzeitig sieht, wie auch moderne Entwicklungen wie die KI gezielt dafür entwickelt werden, noch mehr qualifizierte Jobs überflüssig zu machen, also noch mehr Erwerbstätige aus gut bezahlten Branchen freizusetzen.
Womit die Basis der Beitragszahler weiter schmilzt. Und eine konsistente, durchdachte Rentenpolitik ist unter der aktuellen Regierung nicht einmal in Ansätzen zu sehen. Außer Forderungen, die aus der Union so oder so ähnlich auch schon vor 30 Jahren in Umlauf gebracht wurden, während das deutsche Rentensystem mit „Reförmchen“ irgendwie bezahlbar gehalten wurde, weil keine Regierung den Mut zu einer wirklichen Reform hatte.
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