96 Student/-innen betraten im Herbst 1950 das erste Mal die Hallen der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) – inmitten der Hörsäle, Sportplätze und prächtigen Gänge sollten sie und die nachfolgenden Generationen von Studierenden zur sportlichen Elite der DDR ausgebildet werden. Durch die Fokussierung auf olympische Sportarten wie Leichtathletik, Schwimmen und Turnen wurde die Hochschule zur Medaillenschmiede und die kleine Republik zur einer der größten Sportnationen.

Doch 1969, mit der Gründung des streng geheimen „Forschungsinstituts für Körperkultur und Sport“, nahm die Schattenseite der Erfolgsgeschichte ihren Lauf. Mit dem Ende der DDR wurde auch der sportwissenschaftliche Komplex in der einstigen Stalinallee geschlossen. In den Folgejahren veränderte sich das Bild von der strahlenden Hochburg des Sports – die DHfK und das Forschungsinstitut gerieten als Zentrum des staatlich angeordneten Dopings in Verruf. 1993 eröffnete auf dem ehemaligen Campus der Hochschule die Sportwissenschaftliche Fakultät der Universität Leipzig.

Prägend für das Bild der DHfK waren aber nicht nur die opulenten Turnhallen und modernen Schwimmbecken. Vom gewaltigen Außenbereich über die langen Gänge bis hin zur Mensa war alles gesäumt von Gemälden und Skulpturen. Über den Kulturfonds der DDR erhielt die Hochschule Geld für die Anschaffung einer beachtlichen Kunstsammlung. Petra Tzschoppe, ehemalige Studentin an der DHfK, erinnert sich noch gut an ihre Zeit als Assistentin von Günter Witt, der die Sammlung verwaltete.

Der ehemalige Sportästhetik-Professor und seine Assistentin stellten bei der Auswahl der Werke zwei Kriterien in den Vordergrund: Vielfalt und künstlerische Qualität. So erweiterten sie den kleinen Kunstbestand, der in den 1950er Jahren seinen Anfang nahm und durch die Entstehung des Bereiches Sportästhetik 1974 zunehmend in den Fokus geriet. Die Galerie „Sport in der Bildenden Kunst“ umfasste ungefähr 500 Malereien, Grafiken und Plastiken.

Die heterogene Sammlung beinhaltet Werke der bekanntesten, zeitgenössischen Künstler/-innen. Dazu gehören Willi Sitte, Heinz Wagner, Volker Stelzmann, Wolfgang Mattheuer und viele mehr. Die Vielfältigkeit der Motive sollte nicht nur in der Verschiedenheit der gezeigten Sportarten bestehen, sondern auch in den unterschiedlichen Sichtweisen auf Sport.

Freizeitaktivitäten wurden ebenso dargestellt wie Leistungssport, das Publikum ebenso wie die Sportler/-innen selbst. Und auch die Schattenseiten einer Sportkarriere wurden thematisiert: „Die Galerie war keine Hall of Fame des DDR-Hochleistungssports. Die Kunstwerke beinhalteten die Dynamik sportlicher Bewegungen ebenso wie stille Momente und auch kritische Reflektionen sportlicher Gegebenheiten“, so Tzschoppe.

Das Anliegen der Kunstsammlung war es, die Studierenden und auch die Mitarbeiter/-innen auf alltäglicher Ebene mit Kunst in Verbindung zu bringen, ein anregendes Klima zu schaffen, das den Gedankenaustausch fördert und auch die Selbstreflektion als sportliche Elite. Während es damals neben der dauerhaften Präsentation der Kunst im gigantischen Komplex ebenfalls einen eigenen Raum für Neuerwerbungen gab, verblieben nach dem Ende der DDR nur 35 der 500 Werke auf dem Campus der jetzigen Sportwissenschaftlichen Fakultät. Der Rest wird in den Kellern der universitären Kustodie verwahrt.

Diese betreut als „vergegenständlichtes Gedächtnis“ der Universität Leipzig den Kunstbesitz. Neben klassischen Museumsaufgaben, der sachgerechten Verwahrung und Ausstellung der Sammlungen sowie der Erforschung und Vermittlung des Bestandes, steht die Kustodie im beratenden Kontakt mit den verschiedenen Fakultäten. Eine der Hauptaufgaben des neunköpfigen Teams ist die Konservation: Um die Werke zu erhalten, müssen Temperatur, Licht und Luftfeuchtigkeit ständig richtig eingestellt und überprüft werden, erklärt die Sammlungskonservatorin Christine Hübner.

Eine dauerhafte Ausstellung auf dem Campus Jahnallee, das Aufhängen der Gemälde an ihren ursprünglichen Plätzen in den Gängen und Räumen der Fakultät gestaltet sich daher schwierig – auch wenn es schon Anregungen dahingehend gab. Konservatorische Bedingungen in einem Universitätsgebäude zu schaffen, ist planerisch und finanziell außerordentlich aufwendig. Zudem müssten die Kunstwerke vor Diebstahl oder Vandalismus geschützt werden.

Petra Tzschoppe, ehemalige Studentin an der DhfK, lehrt heute an der Sportwissenschaftlichen Fakultät. Foto: Thomas Fritz
Petra Tzschoppe, ehemalige Studentin an der DHfK, lehrt heute an der Sportwissenschaftlichen Fakultät. Foto: Thomas Fritz

„Der Speerwerfer beispielsweise, eine Bronzefigur von Rudolf Oelzner, steht noch auf dem Außengelände des ehemaligen DHfK-Geländes. Jedoch musste die Skulptur schon mehrmals repariert werden, da sich Personen an den Speer gehangen haben. Mit Sicherheitsvorkehrungen müsste man präventiv gegen so etwas vorgehen. Das für alle Kunstwerke umzusetzen, ist unheimlich aufwendig“, berichtet der Kustos, Rudolf Hiller von Gaertringen.

Bisher konnte die umfangreiche Sammlung nur zu temporären Ausstellungen aus der Versenkung geholt werden. 1994 in der Schau „Zeitläufe“, 2002 zum Deutschen Kunstfest und 2006 anlässlich der WM in einer Präsentation namens „Rasenballett“, benannt nach einem Fußball-Gemälde von Werner Bielohlawek.

Neben den finanziellen und organisatorischen sorgen natürlich auch ideologische Aspekte für Bedenken, was die Ausstellung der Stücke auf dem ehemaligen, von Doping-Vorwürfen geprägten Hochschulgelände angeht. Rudolf Hiller von Gaertringen schildert dazu eine persönliche Erfahrung: „Ich saß vor einiger Zeit mit einem Bekannten in der Mensa der sportwissenschaftlichen Fakultät. Wir betrachteten die übrig gebliebenen Gemälde und kleinen Reliefs. Er war damals Student an der DHfK gewesen und sagte zu mir, dass er damals genau hier zu Mittag aß und sich heute manchmal fragt, was in seinem Apfelsaft war.“

Selbstverständlich ist diese Darstellung etwas überzogen, aber sie zeigt einen wesentlichen Punkt: einige der ehemaligen Student/-innen verbinden mit der Hochschule nicht nur eine schöne Studienzeit, sondern auch negative Erfahrungen mit dem „Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport“. Daher ist eine umfassende Kontextualisierung unerlässlich. Bisher ist die Sammlung inventarisiert und in der Datenbank erfasst, neue Erkenntnisse zu den einzelnen Werken werden kontinuierlich eingepflegt.

Dennoch: eine wissenschaftliche Aufarbeitung der gesamten Sammlung steht noch aus. Die Kustodie hofft auf Unterstützung durch das Institut für Kunstgeschichte der Universität Leipzig – die Studierenden würden wichtige kunsthistorische Aufgaben praktisch vermittelt bekommen, die Kunstsammlungen der Kustodie wiederum könnten wissenschaftlich erschlossen werden.

Zwar ist die DHfK-Sammlung noch weit davon entfernt, wieder permanent ausgestellt zu werden, dennoch versuchen Kustodie und Fakultät den Maximen der Universität und Stadt Leipzig alle Ehre zu machen: Lehre und Alltag zwischen Innovation, Tradition und dem kritischen Umgang damit. Petra Tzschoppe verbindet mit den Kunstwerken sehr individuelle Erfahrungen und Emotionen: „Eine Sporthochschule mit Kunstwerken in den Fluren, Treppenaufgängen, in der Bibliothek oder auf den Freiflächen – das war zweifellos etwas Besonderes. Ich würde mir wünschen, dass Kunstwerke aus der Sammlung auch wieder gezeigt werden. Und das nicht nur für wenige Wochen.“

Die Zukunftsvisionen der Kustodie gehen in eine ähnliche Richtung. Der neue Leiter des Sportmuseums am Stadtgeschichtlichen Museum, Aiko Wulff, steht mit der Kustodie im Dialog. Das Sportmuseum realisiert derzeit eine dauerhafte Ausstellungsfläche, in die vermutlich auch die Objekte der DHfK-Kunstsammlung integriert werden sollen. Bis das Konzept ausgearbeitet und die baulichen Gegebenheiten geklärt sind, wird noch einige Zeit vergehen, aber die Kunstwerke sind nicht in Vergessenheit geraten. Und das sollten sie auch nicht, wie Petra Tzschoppe resümiert: „Kunst will wahrgenommen und erlebt werden!“

Geschichte und Zukunft der DHfK-Sammlung, die mit dem Ende der DDR verschwanderschien erstmals am 29. Januar 2021 in der aktuellen Printausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG. Unsere Nummer 87 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.

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