Dass Sachsens Regierung in Sachen Braunkohle auf einem ganz seltsamen Weg ist, darüber hat die L-IZ ja schon mehrfach berichtet. Dass man dabei direkt im Fahrwasser von Vattenfall tuckert, war schon mehrfach zu hören, auch dass man gern die PR-Zahlen des Konzerns benutzte. Aber hat denn Sachsens Regierung keine eigenen Zahlen, wollte nun Dr. Gerd Lippold, energiepolitischer Sprecher der Grünen im Landtag, mal wissen.

Laut dpa hatte Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) von 10.000 bedrohten Arbeitsplätzen in der Lausitz gesprochen. Der zuständige Energieminister Martin Dulig (SPD) machte im April mit ähnlichen Warnungen von sich reden und polterte gegen das Eckpunktepapier von Bundesenergieminister Sigmar Gabriel (SPD). Auch er mit dem kompletten Bündel aus der Argumentationskiste des Energiekonzerns Vattenfall, der seither kaum einen Tag vergehen lässt, ohne die Angst vor einem Ausstieg aus der Braunkohle zu schüren – obwohl er selbst nichts anderes vorhat, als den kompletten Kraftwerkspark in der Lausitz zu verkaufen.

Man schürt Panik, obwohl man ganz genau weiß, dass die ersten Kraftwerksblöcke auch in der Lausitz spätestens 2017 abgeschaltet werden müssen. Und zwar nicht, um Gabriels Klimaziele zu erreichen, sondern um die Rentabilität der restlichen Kraftwerksblöcke noch ein paar Jahre zu erhalten.

Selbst die stark involvierte Industriegewerkschaft BCE schürt den Trugschluss, erst Gabriels Sonderabgabe für über 20 Jahre alte Blöcke würde die alten Meiler unrentabel machen.

Um einen geordneten und gut strukturierten Ausstieg aus der Braunkohle kommt die Lausitz gar nicht herum. Doch statt – wie von der Linken beantragt – diesen Ausstieg zu planen, setzt die Regierung auf reine Show-Veranstaltung, bildet die CDU-Fraktion gar einen Arbeitskreis mit den Christdemokraten aus Brandenburg.

Aber die Frage bleibt: Hat Sachsens Regierung überhaupt Zahlen zu den bedrohten Arbeitsplätzen im Lausitzer Revier?

Gerd Lippold baute der Staatsregierung in seiner kleinen Anfrage sogar extra eine goldene Brücke, als er im Vorspann schrieb: “Der Staatsregierung liegen offenbar aus der Analyse der Beschäftigungswirkung der Regelungen im Eckpunktepapier des Bundeswirtschaftsministeriums eigene Erkenntnisse vor, um solche Äußerungen begründet tätigen zu können. – Von der vorgeschlagenen Klimaschutzabgabe unmittelbar betroffen wären in Sachsen die zwei ältesten Blöcke des Kraftwerks Boxberg. Deshalb beziehen sich die Erkenntnisse der Staatsregierung offenbar auch und vor allem auf die Auswirkungen einer Stillegung dieser Blöcke und auf die Beschäftigungsefekte daraus.”

Übrigens ein Thema, dem auch der schwedische Energieriese Vattenfall in seinen gehäuften Meldungen zum Thema ausweicht. Mittlerweile wiederholt man – um gar nicht erst auf Boxberg zu sprechen zu kommen – die These vom Dominoeffekt: Wenn erst mal ein Block ausgeschaltet würde, würden die anderen ja alle folgen. Eine Argumentation, die direkt darauf angelegt ist, die Panik in der Lausitz zu erhöhen.

Wie schräg die Diskussion mittlerweile ist, ließ Joachim Kahlert, Leiter der ostdeutschen Kohlekraftwerke von Vattenfall, am 20. Mai mal in einem Interview gucken: “Wenn nun noch diese Strafabgabe kommt, wären schon 2017 beinahe die Hälfte aller Lausitzer Braunkohleblöcke unrentabel. Weil aber die Fixkosten der restlichen Anlagen und Tagebaue trotzdem hoch und die Börsenstrompreise niedrig bleiben, droht der gesamten deutschen Braunkohle das frühzeitige Aus. Und damit käme das Aus für zahlreiche Zulieferer und regionale Mittelständler. Dies führt letztlich zu drastischen Strukturbrüchen für die Regionen mit Arbeitslosigkeit, Abwanderung und kommunalen Steuerlöchern. Von den langfristigen Folgeeffekten auf die gesamte Wirtschaft durch Energie-Importabhängigkeit will ich gar nicht sprechen.”

Das ist immerhin ein Mann, der die Zahlen kennen muss. Und das “frühzeitige Aus” für die deutsche Braunkohle begründet er eben nicht mit Gabriels Eckpunktepapier, sondern mit den weiterhin hohen “Fixkosten der restlichen Anlagen und Tagebaue” und den dauerhaft niedrigen “Börsenstrompreisen”. Deswegen will ja Vattenfall seine Kraftwerke und Tagebaue in der Lausitz auch los werden: Die Fixkosten sind zu hoch. Und über den Verkauf des Kohlestroms an der Börse holt man das Geld nicht wieder rein. Oder immer schwerer rein. Man macht schlicht keinen Gewinn mehr mit den Kohlemeilern.

Worauf die Besitzer der Kohlekraftwerke jetzt hoffen, das ist die Bildung einer strategischen Kraftwerksreserve. In der ursprünglich von Rot-Grün beschlossenen Energiewende sollten die wesentlich umweltfreundlicheren Gaskraftwerke diese Rolle spielen. Deswegen wird in den Verlautbarungen der Energiekonzerne auch so heftig gegen das “teure und unsichere” Erdgas geschossen. Tatsächlich gemeint ist aber nicht die Politik des russischen Staatspräsidenten, sondern die Konkurrenz der Stadtwerke – denn die sind es, die sich – wie auch die Stadtwerke Leipzig – Gaskraftwerke zur Sicherung der Stromversorgung hingestellt haben. Es geht schlicht um Marktanteile.

Die großen Kraftwerksbetreiber aber möchten gern einen Teil der Kohlemeiler zur Kraftwerksreserve machen – und dafür natürlich die entsprechende finanzielle Gegenleistung bekommen. Sonst rechnet es sich ja nicht.

Ein durchaus hochkomplexes Thema.

Aber wenn die sächsische Regierung nun schon so heftig mitdiskutiert, muss sie doch auch über unabhängig erhobene Zahlen verfügen. Aber Finanzminister Dr. Georg Unland, der in diesem Fall für die Staatsregierung antwortete, verweist darauf, dass man keine eigenen Erkenntnisse hat, sondern sich auf das umstrittende Gutachten der IG BCE bezog.

Ein Aspekt hätte die Regierung durchaus stutzig gemacht. Das hat mit den auch von Kahlert genannten Fixkosten im Tagebau zu tun: Wenn weniger Kraftwerke weniger Kohle abnehmen, bleibt der Kohleabbau trotzdem teuer – die bestehenden Kosten für den Tagebaubetrieb müssten logischerweise auf die Kohlepreise draufgesattelt werden. Kohle wird teurer.

Was wahrscheinlich erklärt, warum Vattenfall immer noch alle Blöcke am Netz hat und versucht, den Strom an der Börse zu verkaufen – um jeden Preis.

Das könnte man einen Teufelskreis nennen: Damit die Kohle nicht teurer wird, wird sie auf Teufel komm raus verheizt.

Da die sächsische Regierung diesen Effekt aber selbst nicht hat untersuchen lassen, kann auch sie nur vermuten, dass es zu einem Dominoeffekt kommt.

Auch Unland kann nur sagen: “Es wird daher befürchtet, dass sich aus der betriebswirtschaftlich notwendigen Schließung weitere Dominoeffekte ergeben, welche letztendlich zu einem kompletten Zusammenbruch des auf Braunkohlenutzung basierenden Energiewirtschaftsstandortes führen.”

Eigene Erhebungen dazu hat Sachsens Regierung nicht.

Und Strategien, den Ausstieg aus der Braunkohle strukturell zu begleiten, auch nicht. Wenn das Thema so brennend ist, wie es alle Beteiligten darstellen, dann wird es allerhöchste Eisenbahn, dass sich Sachsens Regierung eine eigene, fundierte Datenbasis verschafft und nicht mehr als Lämmerschwanz eines Konzerns agiert, der seine eigene Strategie verfolgt.

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