Es war ein Überraschungscoup, als Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble am 24. September den Bundesländern nicht nur den Asylkompromiss präsentierte, sondern zum Ende des Asylgipfels überraschend auch die künftige Vergabe der Regionalisierungsmittel mit einbrachte, die der Bund den Ländern zur Finanzierung von Schienenpersonennahverkehr(SPNV)-Leistungen zahlt.

Eine Regelung, über die Bund und Länder jetzt seit mehreren Jahren diskutiert haben. Eigentlich wollten die Länder eine Erhöhung der Mittel auf 8,5 Milliarden Euro. Doch beim Asylgipfel einigte man sich lediglich auf einen Betrag von 8 Milliarden Euro ab 2016 und eine jährliche Steigerung um nur 1,8 %. Die sächsische Staatsregierung hatte dem zugestimmt und konnte in der Verkehrsministerkonferenz in der vergangenen Woche offenbar keine Verbesserungen erwirken. Aber ganz zu Ende diskutiert ist das Paket augenscheinlich doch nicht. Auch wenn Marco Böhme, Sprecher für Klimaschutz und Mobilität der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag, am 9. Oktober schon Schlimmstes befürchtete: “Der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow hat ja bereits erklärt, dass sein Land diesem ‘Taschenspielertrick’ nicht zustimmen wird.”

Aber um das Schlimmste wenigstens im Land abzufedern, hat die Linksfraktion gleich einen Antrag formuliert, dass die Regionalisierungsmittel dann wenigstens zu 95 Prozent dahin fließen, wo sie hingehören: in den regionalen Zugverkehr.

Auch Sachsen hat in den vergangen Jahren 25 Prozent der Mittel lieber anders verwendet. Die neue Regierung hat diese Anders-Verwendung zwar auf 20 Prozent reduziert. Aber im Effekt heißt auch das, dass im Regionalverkehr deutlich weniger Zugkilometer bestellt werden, als eigentlich gebraucht werden. Die Leipziger erleben es aktuell mit dem Streit um die Weiterfahrt der Linie 5X vom Flughafen nach Halle. Derzeit fahren die Züge zwar durch, aber auch das nur zeitweilig. Es wird am notwendigen Halbstundentakt geknausert, obwohl alle Beteiligten um den Bedarf auf dieser Strecke wissen.

Doch das Dilemma in der deutschen Mittel-Verschieberei ist: Nahverkehrszüge, die nicht fahren, sind billiger als solche, die fahren. Denn das teuerste sind die bestellten Zugkilometer. Finanzierungsirrsinn mit Methode.

Der Bund sorgt auf diese Weise dafür, dass die Deutsche Bahn im Regionalverkehr durchaus positive Erträge einfährt. Aber aus Sicht der Linken kann es nicht sein, dass die Regionalisierungsmittel allein dafür da sind, der Bahn die Rendite zu sichern. Marco Böhme: “Auf Bundesebene soll sich die Staatsregierung dafür einsetzen, dass die Deutsche Bahn die Stations- und Trassenpreise nach dem realen betriebswirtschaftlichen Bedarf auslegt und langfristig stabilisiert. Die steigenden Preise, die Zuganbieter pro Halt und Kilometer an die Bahn zahlen müssen, sind der Hauptkostentreiber, der den weiteren Betrieb der S-Bahn- und Regionalverkehre gefährdet und immer höhere Bundeszuweisungen nötig macht.”

Deswegen sind auch die Diskussionen um die Regionalisierungsmittel so verzwickt, denn mit dem von den Bundesverkehrsministern 2014 beschlossenen “Kieler Schlüssel” werden alle Bundesländer bestraft, die aus “Geldnöten” in den vergangenen Jahren Zugkilometer abbestellt haben. Auch Sachsen.

Grüne und Linke haben das immer wieder kritisiert – aber die letzte sächsische Regierung spielte lieber Sparmeister, als den bestehenden Bedarf wirklich durchzufinanzieren.

Marco Böhme: “Weiterhin fordern wir für künftige Haushaltsverhandlungen, dass Sachsen die Regionalisierungsmittel in vollem Umfang an die Zweckverbände weitergibt und nicht bis zu 25 % einbehält, nur um kein eigenes Geld für Schülerbeförderung, Schmalspurbahnen und Investitionszuschüsse für Busse und Straßenbahnen aufwenden zu müssen. Sachsen muss die Bundeszahlungen zu mindestens 95 % an die Zweckverbände weitergeben, um den Regionalverkehr zu sichern und den Zweckverbänden eine Perspektive für die Entwicklung des Nahverkehrs zu geben!”

Jetzt fordert die Linke, so Marco Böhme: “Weiterhin wird die Staatsregierung aufgefordert, Zuweisungsverluste, welche Sachsen nun drohen, aus dem Staatshauhalt abzufangen. Schließlich haben nicht die Zweckverbände des SPNV mit dem Kanzleramt verhandelt, sondern der Ministerpräsident. Also muss der Freistaat den Zweckverbänden mögliche Einnahmeausfälle auch ausgleichen – diese haben schließlich in der ÖPNV-Finanzierungsverordnung vom Freistaat verschiedene Zugleistungen vorgeschrieben bekommen, die bezahlt werden müssen.”

Doch die Verkehrsministerkonferenz am 8. und 9. Oktober ging augenscheinlich noch nicht ganz mit einem Schlussstrich unter dem Thema zu Ende. Am 14. Oktober ging die so aus der Hüfte geschossene Änderung des Regionalisierungsgesetzes in den Vermittlungsausschuss von Bund und Ländern.

“Im Ergebnis werden die Eckdaten aus dem Beschluss der Länderchefs mit der Bundeskanzlerin vom 24. September 2015 nicht mehr infrage gestellt”, teilte nun das Sächsische Verkehrsministerium am Donnerstag mit. “Allerdings ist die Mittelverteilung zwischen den Ländern ab Januar 2016 noch offen. Die Bundesregierung wird dazu gemeinsam mit den Ländern einen Vorschlag erarbeiten. Die neuen Bundesländer fordern in diesem Zusammenhang eine fachlich fundierte und gerechte Verteilung der Mittel auf die Bundesländer. Der Einigungsvorschlag des Vermittlungsausschusses muss morgen noch von Bundestag und Bundesrat bestätigt werden.”

Was ja eigentlich bedeutet, dass der “Kieler Schlüssel” nicht wirklich die künftige Verteilungsgrundlage sein kann, denn der sorgt nun einmal dafür, dass sämtliche Erhöhungen der Regionalisierungsmittel künftig nur noch an die westlichen Bundesländer fließen und die ostdeutschen Bundesländer auf den Beträgen der letzten Jahren hängen bleiben, was schon allein aufgrund der Inflation dazu führen wird, dass Jahr für Jahr zwischen 2 bis 5 Prozent der Zugverkehre abbestellt werden müssen. Ein Desaster.

Dazu Verkehrsminister Martin Dulig: “Wir haben Zeit gewonnen, die wir nutzen werden, um weiter auf allen Ebenen für eine faire Mittelverteilung zu kämpfen. Denn für Sachsen drohen bis 2030 massive Einschnitte in die bestehenden ÖPNV-Leistungen.“

Fest steht nur, weil der Bund es so gesetzt hat: Die Regionalisierungsmittel werden 2016 zwar auf 8 Milliarden Euro ansteigen. Sachsen wird damit in den kommenden beiden Jahren etwas mehr Geld als ursprünglich geplant erhalten. Allerdings fällt die Dynamisierungsrate mit 1,8 Prozent pro Jahr zu gering aus und liegt damit deutlich unter den Erwartungen. Durch einen Verteilungsschlüssel, aus dem eine einseitige Neuverteilung resultiert, würden die neuen Bundesländer bis 2030 etwa 3,5 Milliarden Euro weniger erhalten, 893 Millionen Euro davon würden allein für Sachsen entfallen.

Der Antrag der Linksfraktion.

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Keine Kommentare bisher

Danke Stanislaus Tillich.

Erst alles kaputt sparen.
Bundeszahlungen vorenthalten.
Dann miesem Kompromiss zustimmen.

So geht sächsisch.

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