Es wird noch eine Weile brauchen, bis der Groschen fällt. Oder der Heller. Oder der Cent. Und noch viel länger wird es brauchen, bis deutsche Wirtschaftsinstitute tatsächlich beginnen, Wirtschaftswissenschaft zu betreiben und nicht immer nur mit Umsatz- und BIP-Zahlen hantieren, als wären das naturwissenschaftliche Größen. Dabei erklären sie nicht einmal ansatzweise, was im Corona-Krisenjahr wirklich passiert ist.

Mal ganz abgesehen davon, dass es 2020 nicht nur die eine Krise gab. Die COVID19-Pandemie hat vielmehr alle vorher schon vor sich hin köchelnden Krisen verschärft und sichtbarer gemacht.Und eine davon ist die Schattenseite dessen, was die Festredner des entfesselten Kapitalismus so gern Globalisierung nennen, was aber zum größten Teil aus der ausgelagerten (und oft genug klimaschädlichen) Produktion von Konsumgütern und Bauteilen für die Endabnehmer in Europa und Amerika besteht.

Und schon das Frühjahr 2020 machte deutlich, wie sehr auch der „Exportweltmeister“ Deutschland schon lange am Tropf hängt, denn auf einmal merkte man, dass auch die Produktion von medizinischen Masken und Schutzanzügen nach Fernost ausgelagert war – sie fehlten auf einmal.

Aber auch bei elektronischen Konsumgütern taten sich auf einmal Lieferengpässe auf und mitten in der Coronakrise wurde die Halbleiter-Krise zum Thema. Eine Krise, die viel einschneidender ist als die Pandemie selbst, denn an den Halbleitern hängt die komplette Computerisierung der Welt – von den Funknetzen bis zum Elektroauto.

Es dauerte dann trotzdem bis zum Mai 2021, bis sich Frankreich und Deutschland auf eine Kooperation in der Halbleiter-Produktion verständigten. „Die EU-Kommission will als Lehre aus der Pandemie generell bei strategisch wichtigen Produkten unabhängiger von Importen werden und den europäischen Markt krisenfester machen. Zugleich soll der digitale und grüne Wandel vorangetrieben werden“, schrieb die „Zeit“ bei der Gelegenheit.

Das sind die Cent-Beträge, die da langsam fallen, winzige Aha-Effekte, auch wenn man noch nicht wirklich begriffen hat, dass die Globalisierung kein solidarisches Projekt ist und die Länder nur aus zwei Gründen daran teilnehmen: Entweder können sie damit Marktvorteile erwerben und auch mit „Billigproduktion“ richtig Geld verdienen – oder sie sind gezwungenermaßen dabei, weil sie nur so überhaupt noch ein paar Peanuts verdienen können. Freundschaftlich geht da gar nichts zu.

Und wenn sich gar die Chance ergibt, auf dem Globus eine Art Marktmonopol aufzubauen (wie bei den Halbleitern), wird das auch ohne Rücksichten getan. Erst recht, seit die USA unter Donald Trump eine Art Handelskrieg ausgerufen haben, in dem sie versuchen, mit Zöllen und Sanktionen die Regeln zu ihren Gunsten zu verändern.

Und Corona hat die exportierenden Staaten nicht nur bei Halbleitern wieder zu altem egoistischem Denken gebracht und damit wichtige Lieferketten ausgetrocknet. Das aktuelle Ergebnis, wie es der „Spiegel“ vermeldet: „Deutsche Produktion sinkt überraschend“.

Das Wörtchen „überraschend“ kann man sich an der Stelle sparen. Die Lieferengpässe haben sich seit 2020 allesamt abgezeichnet. Und natürlich kann die deutsche Wirtschaft nicht einfach von heute auf morgen wieder auf Selbstversorgung umschalten.

Wahrscheinlich sogar überhaupt nicht, weil sie auf viele Rohstoffe, die jetzt dringend gebraucht werden, überhaupt keinen Zugriff hat. Das heißt: Die Preise werden neu ausgehandelt. Und wer etwas anzubieten hat, das ein knappes Gut ist, der hat jetzt die besseren Karten.

Was dann, wie der „Spiegel“ schreibt – zu „dick gefüllten Auftragsbüchern“ der deutschen Industrieunternehmen führt, die trotzdem etliche Bestellungen nicht in der erhofften Stückzahl liefern können, weil die Einzelteile fehlen – allen voran die Halbleiter.

Und das steckt natürlich auch schon im Corona-Jahr 2020, zu dem jetzt das Landesamt für Statistik die sächsischen Zahlen geliefert hat.

So ist auch die Gesamtumsatzentwicklung in der sächsischen Industrie im Vorjahresvergleich 2020 – auch aufgrund von zwischenzeitlichen Produktionsunterbrechungen – mit minus 6,0 Prozent auf rund 57,2 Milliarden Euro rückläufig gewesen. Aus Sicht des Statistischen Landesamtes aber deutlich weniger rückläufig „als zu Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 mit minus 15,7 Prozent“.

Andere Branchen waren natürlich deutlich stärker betroffen, weil sie aufgrund von Allgemeinverfügungen über Monate komplett dicht machen mussten.

Was dann auch zu der schizophrenen Situation führte, dass „trotz Schließung vieler Ladengeschäfte im Einzelhandel insgesamt 6,7 Prozent Umsatzsteigerung von 2019 auf 2020 zu verzeichnen waren, darunter jedoch im Detail zwischen minus 22 Prozent Rückgang im Handel mit Textilien, Bekleidung, Schuhen und Lederwaren und plus 24 Prozent Zuwachs im Versand- und Internethandel“.

Hier wurde der Umsatz also komplett umverteilt von den lokalen Ladengeschäften hin zu den Online-Giganten, die aktuell so mächtig sind, dass sich die Staaten nicht einmal trauen, sie vernünftig zu besteuern.

Richtig gelitten hat natürlich das Gastgewerbe 2020, dessen Umsatz „um beinahe ein Drittel (-31 Prozent) und die Zahl der Beschäftigten um mehr als ein Zehntel (-12 Prozent) im Vergleich zum Vorjahr einbrachen“.

Und betroffen war natürlich auch das Beherbergungsgewerbe 2020, wo die Übernachtungen gegenüber 2019 infolge zwischenzeitlicher Beherbergungsverbote für Touristen und deutlicher Einschränkungen im internationalen Reiseverkehr um insgesamt mehr als ein Drittel (-35 Prozent; im April: -85 Prozent) auf 13,5 Millionen und damit den niedrigsten Stand seit 1998 zurückgingen.

Nur auf den sächsischen Baustellen wurde weiter gearbeitet wie zuvor: Die Beschäftigung im Bauhauptgewerbe nahm um 1,5 Prozent und im Ausbaugewerbe um 2,6 Prozent gegenüber 2019 zu. Der Gesamtumsatz im Baugewerbe ging zwar in Sachsen um 0,8 Prozent zurück. Aber das lag wohl eher daran, dass viele Baufirmen auf sächsischen Baustellen im Einsatz waren, die ihren Sitz nicht in Sachsen haben, denn deutschlandweit nahm der Umsatz im Baugewerbe um 6,6 Prozent zu.

Natürlich lohnt sich auch der Blick auf den Außenhandel, denn Sachsen setzte im Export 2020 immerhin 8,6 Prozent weniger um, während die Importe um 0,2 Prozent zunahmen. Was einerseits die starke Abhängigkeit auch des Freistaats von wichtigen Importen – insbesondere aus China – sichtbar macht, gleichzeitig auch die Unsicherheit, sächsische Produkte auch in Krisenzeiten im Ausland absetzen zu können.

Und das betraf 2020 vor allem den Pkw-Export, der ganz und gar keine sichere Bank mehr ist, seit immer mehr Länder den Verbrenner zum Auslaufmodell erklärt haben und verstärkt auf E-Autos setzen.

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