Eine Standortschließung bedeutet für Arbeiter/-innen immer den Verlust von Sicherheit und stellt eine Belastung dar. Für die Beschäftigten am Airhub kommt erschwerend hinzu, dass es trotz Bemühungen der Gewerkschaft ver.di keine starke Gewerkschaftsgruppe im Amazon Airhub gibt. Das hängt auch damit zusammen, dass Amazon seine Beschäftigten immer zunächst auf zwei Jahre befristet einstellt und stark auf Leiharbeit setzt. Gibt es keine Gewerkschaft, kann auch nicht für einen Sozialtarifvertrag gestreikt werden.

Außerdem kam es nicht zur Gründung eines Betriebsrates. Das Amazon-Management ist also nicht wie in Brieselang dazu gezwungen, mit Belegschaftvertreter/-innen einen Sozialplan zu verhandeln. Es muss aber auch gesagt werden, dass die 250 Leiharbeiter/-innen weder von einem Sozialplan- noch einem Sozialtarifvertrag profitiert hätten.

Zuletzt arbeiteten an dem Standort neben den 150 Festangestellte und 250 Leiharbeiter/-innen, welche über die Leiharbeitsfirma GI bei Amazon angestellt waren. Viele von ihnen waren erst kürzlich vor allem aus südosteuropäischen Ländern in die Region Leipzig gekommen und hatten Neun-Monats-Verträge unterschrieben.

Neue Jobs, aber wo?

Für die Festangestellten hat die Schließung verschiedene Folgen. Manche Unbefristete erhalten Abfindungen von bis zu 8.000 € brutto und noch Gehälter bis frühestens Januar 2024, wenn die gesetzliche Kündigungsfrist endet. Befristete können hingegen einfach entlassen werden. Interviews der LVZ zeigen, dass das Alter bei der Wahrnehmung des Prozesses entscheidend ist. Junge Beschäftigte sind optimistisch, neue Jobs in der Region zu finden. Ein älterer Kollege hingegen meint, dass es für ältere Kolleg/-innen schwerer sein könnte, einen Job zu finden.

Auch Abfindungen von 8.000 €, was ungefähr drei Monatsgehältern entspricht, sind schnell aufgebraucht. Amazon selbst hat neue Jobs an den Standorten Gera und Sülzetal in Aussicht gestellt und sogleich relativiert, dass es nicht für jeden einen Job in der Region geben wird. Allerdings sind dort die Stundenlöhne mit 14 Euro die Stunde um einen ganzen Euro niedriger und die Fahrzeit mit dem Auto von Leipzig beträgt über eine Stunde.

Eigene Neubewerbungen der Festangestellten wurden dadurch erschwert, dass Amazon die Luftsicherheitszertifikate der Arbeiter/-innen zurückhält, die für eine Bewerbung im Luftfrachtsektor nötig ist (LVZ am 11. Okt. 2023).

Eine naheliegende Jobalternative in dem Sektor wäre das DHL-Express-Hub. Der Betrieb mit seinen 7.000 Beschäftigten sucht immer neues Personal. Dimitrios berichtet mir, dass DHL Express, wo bereits viele migrantische Leiharbeiter/-innen vermittelt über GI arbeiten, einen schlechten Ruf hat. Dies begründet sich durch die Dauernachtschicht, die dort die Regel ist, das Arbeitsklima und das höhere Stresslevel als bei Amazon Air. Dies ist auch eine Folge deutlich höheren Volumens, was jede Nachtschicht dort bearbeitet wird.

Einige Festangestellte bei Amazon Air waren von DHL Express gewechselt. Die Mehrheit der Leiharbeiter/-innen von GI ist bereits zu DHL Express gegangen. Dimitrios meint, ältere Kolleg/-innen neigten eher dazu, in die Herkunftsländer zurückzukehren. Gerade die Jüngeren, unter ihnen viele Paare, unterschrieben hingegen bei DHL Express, weil sie mit dem Ziel nach Deutschland gekommen sind, sich hier eine Zukunft aufzubauen.

In Griechenland reichen die Löhne der Jüngeren teilweise nicht mehr für Miete und Essen. Eine Zukunft sehen sie derzeit bei GI und DHL Express. Das hat seine Gründe.

Zunächst gab sich das GI-Management überrascht von der angekündigten Standortschließung und versprach in einer E-Mail an die Mitarbeiter/-innen, die am Tag der verkündeten Schließung rausging, sich schnell um neue Jobs zu kümmern. Hier war noch nicht explizit von DHL Express die Rede, sondern von anderen Jobs im Amazon-Netzwerk. Doch je mehr Zeit verging, desto deutlich wurden die Beschäftigten zu DHL Express gedrängt.

Ausweg DHL?

GI hat den Arbeiter/-innen Wohnungen in Schkeuditz zur Verfügung gestellt, die mit 650 € für ein Einzelzimmer recht teuer sind, und zahlt einen Mietzuschuss, der sich netto auf 300 € beläuft. GI verkündete, dass alle, die nicht bei DHL Express anfangen, die Wohnung bis zum 13. November verlassen müssen und auch den Mietzuschuss verlieren. Zum einen ist es schwer, ohne Ersparnisse für die Kaution, mit geringem Einkommen und ohne deutsche Staatsbürgerschaft überhaupt eine Wohnung zu finden.

Zum anderen weist Dimitrios darauf hin, dass die Leiharbeiter/-innen in Deutschland sind, um Geld zu verdienen. Da sie nur wenig Geld verdienen, haben sie Angst, ohne den Mietzuschuss nichts mehr sparen zu können. DHL Express hat sogar verkündet, den Mietzuschuss um sechs Monate zu verlängern. Binnen einiger Wochen hatten so die meisten Kolleg/-innen einen Vertrag unterschrieben.

Sie werden nun im Weihnachtsgeschäft bei DHL Express anfangen, wo die Zahl der Pakete und damit der Stress und das Verletzungsrisiko nochmal deutlich höher ist.

Sarkastisch erzählt Dimitrios, dass GI die Arbeiter/-innen zu Jobmessen in die Region weitervermittelt hätte. Einige gingen auch hin. So wurden ihnen eine Alternative geboten. Allerdings wäre, wie gesagt, die Annahme eines anderen Jobs als bei DHL Express mit dem Verlust von Wohnung und Mietzuschusses verbunden.

Was kann man aus der Standortschließung lernen?

Amazon wird im Zuge seiner immer weiter voranschreitenden Netzwerkerweiterung nicht nur Standorte eröffnen, sondern auch Standorte schließen. Auf Amazon ist kein Verlass. Das sollten Kommunen bedenken, wenn sie sich wie im Fall von Leipzig euphorisch über eine Amazon-Ansiedlung freuen. Sie sollten auch bedenken, dass die Jobs, die Unternehmen wie Amazon schaffen, prekäre sind. Die Löhne sind knapp über dem Mindestlohn und sie werden zu niedrigen Renten im Alter führen.

Am Beispiel des Airhubs wurde auch größtenteils auf Leiharbeit als Beschäftigungsform gesetzt, möglicherweise auch deswegen, weil Jobs in der Logistik für viele Bewohner/-innen der Region Leipzig unattraktiv geworden sind. Der Fall der Schließung verdeutlicht die prekäre Situation von migrantischen Leiharbeiter/-innen. Diese können Unternehmen wie GI und die Logistikunternehmen ausnutzen, auch ohne dabei gegen die Gesetze zu verstoßen. Die Lokalpolitik sollte sich fragen, ob dies in der Region wirklich gewollt ist.

Die Gewerkschaft ver.di kommt mit Amazons ständiger Erweiterung nur schwer hinterher. Sie muss sich aber auch auf weitere Standortschließungen von gewerkschaftlich erschlossenen und nicht-erschlossenen Betrieben vorbereiten. Eine Standortschließung bedeutet immer Unsicherheit für Beschäftige und hier sollten Gewerkschaften vor Ort sein, um den Kolleg/-innen zu helfen und sie zu beraten. Das hätten sich Dimitrios und viele Kolleg/-innen gewünscht.

Gerade migrantische Leiharbeiter/-innen hätten mehr gewerkschaftliche Unterstützung gebraucht, wenn auch nur in Form eines öffentlichen Statements. Dimitrios betont: „Die ver.di sollte auch bedenken, dass die Kolleg/-innen, die heute ihre Jobs verlieren, morgen wieder in anderen Logistikbetrieben arbeiten.“

Hier geht es zum Teil 1 des Beitrags: „Amazon schließt Standort am Leipziger Flughafen: Wie ein Airhub überflüssig wurde

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