Sie suchen nach neuen Modellen, jenseits eines aus ihrer Sicht wenig zukunftsfähigen Ausbaus des Flughafens und Frachtdrehkreuz Leipzig. Dazu und zu Aktionen des zivilen Ungehorsams haben sich heute seit 11 Uhr die ersten 250 Menschen am Flughafen Leipzig/Halle versammelt und um Alternativen zu Kurzstreckenflügen, CO2-Ausstoß und Steuerverschwendung für Subventionen an die Fluggesellschaften am Standort Leipzig aufzuzeigen. Eine Demonstration mit konstruktiven Ansätzen? Die LZ begleitet den Protest mit Galerien, Videos und Eindrücken von vor Ort.

Beschrieben ist die Kritik am Flughafenausbau mittlerweile hinlänglich. Während die Befürworter stets mit Arbeitsplätzen argumentieren und auf die Bedeutung vor allem des Frachtdrehkreuzes Leipzig verweisen, steht für die Kritiker längst jenseits von Fluglärm und Nachtflügen die Zukunft dieser Art der Logistik infrage.

Bereits heute kann der Flughafen Leipzig/Halle nur mit staatlicher Hilfe überleben und wurde laut der Bürgerinitiative „Gegen die neue Flugroute“ mit 1,35 Milliarden Euro allein bis 2020 aus Steuergeldern gefördert.

Die meisten Jobs am Flughafen sieht das Bündnis „Transform LEJ“ so oder so als gefährdet an. Sie böten „wegen zunehmender Unsicherheiten im Zuge der Klimakrise keine Perspektive. Statt Steuergelder für den Ausbau zu verschwenden, sollten Betriebe und Projekte gefördert werden, die sozial und ökologisch wirtschaften“, so „Transform LEJ“ im Vorfeld des heutigen 30. Juli 2022.

Stellt allein dieses Missverhältnis zwischen Gewinnen wie die der DHL, aber auch Amazons und weiteren Nutznießern des staatlich gestellten Flughafens und den Zuschüssen durch die öffentliche Hand die ökonomische Seite des geflogenen Waren- und teils Militärgutes infrage, tun es die Klimabilanz und die Folgekosten des fossil getriebenen Flugverkehrs erst Recht. Weshalb eine der weiteren Forderungen der heute demonstrierenden Bündnisse im Vorfeld die Verlagerung der Transporte unter 1.000 Kilometer auf die Schiene lautet.

Denn während die Transporte via Bahn schneller auf erneuerbare Energien umgestellt werden kann, ist das Ende des Kerosins in der Fluglogistik noch weit entfernt. Während sich weltweit die Wissenschaft also einig ist, dass die Jahre bis 2030 entscheidend sein werden, die schlimmsten Folgen der Erderwärmung abzumildern oder zu verhindern, sollen in Leipzig in ein Transportkonzept mit mangelhaften Zukunftsaussichten 500 Millionen weiterer Steuer-Euros investiert werden.

Für die „Bundesvereinigung gegen Fluglärm e. V.“ (BVF) steht zudem fest: „Die Bundesregierung muss anerkennen, dass jeder weitere Flughafenausbau, ob in Leipzig oder anderswo, unvereinbar mit dem Generationenurteil des Bundesverfassungsgerichts ist und ihren Klimaschutzzielen deutlich widerspricht. Flugbewegungen, auch in der regulären Nachtruhe und auf der Kurzstrecke, müssen regulativ begrenzt werden. Für alle noch geplanten oder bereits genehmigten Flughafenausbauten muss die Bundesregierung jetzt ein Moratorium beschließen.“

Argumente also und Gegenvorschläge, wie der eines massiven Bahnausbaus für Warentransporte in Sachsen und anderswo, um die sogenannte Kurzstrecke unterhalb von 1.000 Kilometern anders, zukunftsfähiger zu gestalten, scheint heute Gegenstand der soeben gestarteten Demonstrationen und Aktionen am Flughafen Leipzig/Halle zu treiben.

Und die in diesem Jahr laut gewordenen Vorwürfe der Bestechung von Umliegergemeinden des Flughafens durch den Freistaat, indem weitere Subventionen in Schwimmhallen und andere Wünsche der Bürgermeister fließen sollen.

Die LZ ist vor Ort und berichtet in Bildern, Eindrücken und Videos von den Protesten am Leipziger Flughafen.

12:45 Uhr: Der Schredder läuft

So manche Anwohner/-in des Flughafens Leipzig/Halle fühlten sich bereits bei zurückliegenden Veränderungen und Ausbauten am Flughafen eher nicht oder nur sehr ungenügend informiert. Mitspracherechte hatten sie meist ebenfalls kaum.

Auch jetzt, beim geplanten Ausbau des Flughafens entwickeln sich so wieder Protestformen, wie der im Video. Ein Bauer aus Delitzsch schreddert neun Aktenordner mit den Planungen zum Flughafenausbau. Mittlerweile bewegt sich die Demonstration an der B6 entlang, am DHL-Hub vorbei.

Zu einer wirklichen Sperrung der Straße konnte sich die Polizei offenbar nicht entschließen, sodass die Demo mit dem rollenden Straßenverkehr konfrontiert ist. Was daran sicher sein soll, fragen wir derzeit nach. Ungefährlich ist es jedenfalls nicht auf der B6, aber wohl so im Versammlungsbescheid festgelegt. Derzeit läuft nun gegen 13:14 Uhr die Demo wieder nach einer Zwischenkundgebung am DHL Hub 2.

13:45 Uhr: Gemunkel vorab und eine Aktion im Flughafengebäude

Während die angemeldete Demonstration ihre Route entlang der B6 absolviert, hatte es im Vorfeld bereits erste Informationen gegeben, dass auch Protestformen des zivilen Ungehorsams den heutigen Tag von TransformLEJ prägen sollen. Offenbar ging es dabei immer um den Check In – Bereich des Flughafens, in welchem sich nun überraschende Szene abspielen.

Mindestens zwei junge Menschen haben begonnen die Rundstreben der Halle zu erklettern, vermutlich um ein Banner in der Abfertigungshalle für Fluggäste zu entrollen. Die Polizei ist bereits vor Ort und kann aktuell aufgrund der luftigen Höhe der Aktion nur zuschauen. Publikum ist eher weniger vorhanden – der Leipziger Flughafen hat gegenüber dem Frachttransport und diversen Abschiebeflügen vergleichsweise wenige Privatflüge im Programm.

Wie schon bei früheren Klimaaktionen wie einst bei der Kletteraktion am Einkaufszentrum Brühl dürfte es um das ungestörte Entrollen eines Protestbanners durch versierte Kletterer gehen.

14:30 Uhr: Ende der Demo an der B6

Mittlerweile ist die Demonstration entlang des Flughafengeländes an der B6 zu Ende gegangen (offizielle endet sie 16:30 Uhr). Gegen Ende hatten Teilnehmende unangemeldet einen Hügel erklommen, um ein Schlussbild zu inszenieren, dicht gefolgt von Einsatzbeamten der begleitenden Polizeikräfte.

Obwohl es hier und vor allem in der Check-In-Halle des Flughafens zu solchen Aktionen kam, zeigte sich der Leipziger Polizeisprecher Olaf Hoppe mit dem friedlichen Verlauf der Proteste auf LZ-Nachfrage hin „sehr zufrieden“.  Die Kletteraktion innerhalb des Flughafengebäudes dauert noch immer an, in Kürze soll ein Banner entrollt werden.

Auf LZ-Nachfrage erläuterte ein umstehender Aktivist, die Aktion selbst richte sich gegen den Flughafenausbau und die Abschiebungen, welche immer wieder am Flughafen Leipzig/Halle starten.

Das (vorläufige) Ende einer Kletterpartie im Flughafen Leipzig: Protest gegen die Abschiebeflüge von Leipzig/Halle aus. Foto: Sabine Eicker

Bezüglich der Reaktion der Polizeibeamten (Achtung, Richtigstellung!, d. Red.) auf die Erklimmung des Hügels am Ende der Demo an der B6 gab es wohl am Rande bereits erste Verhandlung unter Hilfe von Rechtsanwalt und Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek.

Offenbar mit ebenfalls eher vermittelndem Ende. Soweit bekannt wurde, solle es trotz der unangemeldeten Aktion wohl keine Maßnahmen geben und die Personen könnten ohne Sanktionen gehen, wenn sie bis 15 Uhr alle wieder heruntergekommen sind und sich wieder in die Demo einreihen. Dazu bleiben also aktuell noch 20 Minuten.

Die Demo ist noch offiziell bis 16:30 Uhr angemeldet. Was mit den beiden Aktivisten geschieht, welche das Banner in der Flughafenhalle ausgerollt haben, ist derzeit ungewiss.

15:14 Uhr: Neues zur „Baustellenbesetzung“

Aus der anfangs harmlos aussehenden Hügelerklimmung ist mittlerweile eine „Baustellenbesetzung“ geworden, da damit einige Teilnehmer/-innen der der Demonstration an der B6 das Gelände des Flughafens betreten haben.

Die Betreibergesellschaft (im Eigentum des Freistaates Sachsen) hat jedoch keine Umzäunung an dieser Stelle angebracht, womit – so jedenfalls Rechtsanwalt Jürgen Kasek zum vorläufigen Ergebnis der Gespräche mit der Polizei – kein Hausfriedensbruch vorläge.

Damit könnten sich die Teilnehmenden an der symbolischen Aktion wohl ohne Personenfeststellungen wieder vom Ort entfernen und in die Demo einreihen. Während des Aufenthaltes auf dem Hügel aus Bauaushub wurden einzelne Bäumchen gepflanzt.

In der Check-In-Halle am Flughafen Leipizg ist unterdessen Ruhe eingetreten. Die beiden Kletter/-innen hängen noch ein wenig in den Seilen, bevor sie nach der Bannerentrollung den Abstieg antreten werden.

Dann werden sie nach LZ-Informationen von der Polizei ein Empfang genommen und müssen ihre Personalien angeben. Ihnen droht mindestens ein Ordnungswidrigkeitsverfahren nach bisherigen Informationen (15:40 Uhr) für die Aktion.

15:49 Uhr: Pyro und Kesselung

Am Ende gibt es dann doch noch einen Nachschlag. Während sich die beiden Aktivist/-innen in der Flughafenhalle abseilen, verließen die „Baustellenbesetzer“ den Hügel. Dabei entzündeten sie Pyrotechnik, was wiederum die Polizeibeamten zum Einschreiten brachte. Aktuell befinden sich die etwa 20 Personen in einem Polizeikessel.

Der Landtagsabgeordnete Marco Böhme (Linke) ist vor Ort und gerade zu den Festgesetzten gegangen. Aktuell versucht man die Situation so zu klären, dass Pyrotechnik nicht unter das Sprengstoffgesetz falle und auch keine Straftat vorläge.

Ob diese Argumente greifen, wird momentan von der Polizei geprüft. So lange müssen nun alle an der Aktion Beteiligten abwarten und können den Ort nicht verlassen.

Nach einer weiteren Beratung stellt sich heraus, dass Pyrotechnik wohl ganzjährig zugelassen sei. Jedenfalls dürfen aktuell (15:58 Uhr) auch die 20 Beteiligten den Ort gemeinsam mit den anderen Demonstrationsteilnehmer/-innen verlassen.

Zurück geht es nun gemeinsam mit einer Spontandemo zum Bahnhof. Die Kletterer vom Flughafengebäude haben unterdessen nach der Identitätsfeststellung einen Platzverweis erhalten.

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