Seit April geisterten die Schließungspläne für zwei Standorte von Dow Chemical in Mitteldeutschland schon durch die Medien. Am Montag, dem 7. Juli, wurde es dann offiziell mit einer Meldung des Konzerns aus Midland, Michigan. Drei europäische Standorte werden vor allem wegen „des schwierigen Marktumfeldes“ geschlossen: Barry in Großbritannien und die beiden mitteldeutschen Werke in Böhlen und Schkopau. Das Entsetzen ist entsprechend groß. Denn damit werden wichtige Bausteine der mitteldeutschen Wertschöpfungskette herausgerissen.
„Heute ist ein tiefschwarzer Tag für das Chemiecluster Mitteldeutschland“, sagte IGBCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis am Montag, dem dem 7. Juli, zu den angekündigten Standortschließungen in Böhlen und Schkopau. „Die Auswirkungen der angekündigten Anlagenschließungen in Böhlen und Schkopau sind verheerend – nicht nur für die 550 unmittelbar betroffenen Beschäftigten an den beiden Standorten, sondern für die gesamte Region.“
Im mitteldeutschen Chemiedreieck sei Dow mit seinen Standorten ein zentraler Akteur, von den beiden Anlagen in Schkopau und Böhlen würden in der Wertschöpfungskette zahlreiche andere Anlagen und Unternehmen abhängen.
Stephanie Albrecht-Suliak, Leiterin des IGBCE-Landesbezirks Nordost, betonte: „Wir werden diese wichtige, mitteldeutsche Industrieregion nicht einfach aufgeben. Dow muss Verantwortung übernehmen – zumal das Unternehmen in Mitteldeutschland jahrzehntelang gutes Geld verdient hat.“
Sie fordert: „Wirtschaft und Politik müssen jetzt alles tun, um gemeinsam nachhaltige Lösungen für die Anlagen, für den Verbundstandort und für die guten Industriearbeitsplätze in Ostdeutschland zu bauen.“ Sie kündigt an: „Wir werden um jeden einzelnen der 550 Arbeitsplätze kämpfen.“
Herzstück des Chemiedreiecks vor dem Aus
Aber auch in der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Leipzig löste die Bestätigung der Dow Chemical Company, den Steamcracker in Böhlen sowie weitere Chemieanlagen in Schkopau bis Ende 2027 dauerhaft stillzulegen, regelrecht Alarm aus. Denn das trifft den mitteldeutschen Wirtschaftsraum ins Mark.
„Die verkündete Schließung ist ein industriepolitisches Desaster für den Chemie-Standort Mitteldeutschland, und zwar eins mit Ansage. Schon lange war zu befürchten, dass die hohen Energiekosten den Standort gefährden. Mit dem Cracker in Böhlen verlieren wir nicht irgendeine Anlage, sondern das Herzstück des gesamten chemischen Stoffverbundes“, so Kristian Kirpal, Präsident der IHK zu Leipzig.
„Wenn kein Investor einsteigt, bricht hier eine industrielle Lebensader weg – mit Dominoeffekten für die gesamte Region, denn im Stoffverbund der mitteldeutschen Chemieindustrie hängt alles zusammen. Um der chemischen Industrie am Standort über 2027 hinaus eine Zukunft zu geben, muss zügig ein Plan B entstehen. Die Landesregierungen in Dresden und Magdeburg, aber auch der Bund sind jetzt am Zug.“
Ein Grund für die Entscheidung seien – so deutete Dow selbst an – die Energiekosten.
„Unsere Branche in Europa sieht sich weiterhin mit einer schwierigen Marktdynamik sowie einem anhaltend herausfordernden Kosten- und Nachfrageumfeld konfrontiert“, sagte Jim Fitterling, Vorstandsvorsitzender und CEO von Dow. „In den letzten zehn Jahren haben wir Dows Engagement für eine nachhaltige Geschäftstätigkeit unter Beweis gestellt, indem wir proaktive Maßnahmen bei teureren oder nicht strategischen Vermögenswerten ergriffen haben.
Auch in Zukunft sind wir fest entschlossen, den Wert unserer inkrementellen Wachstumsinvestitionen zu realisieren und die Rentabilität und den Cashflow durch kurzfristige Liquiditätshilfen in Höhe von über 6 Milliarden US-Dollar zu steigern.“
Geht es nur um Renditen?
Man stößt also einfach Standorte ab, die aus Sicht des Konzerns zu teuer sind. Und will so das Konzernergebnis verbessern. Man erwartet eine Steigerung des Unternehmensgewinns um 50 Prozent. Die Stilllegung der Anlagen soll Mitte 2026 beginnen und voraussichtlich Ende 2027 abgeschlossen sein. Die Stilllegung und der Abriss können, so Dow, je nach Bedarf bis 2029 andauern. Kein Wort zur tatsächlichen Rentabilität der Standorte oder zu einer möglichen Suche nach einem Käufer.
Genau das aber fordert die IHK zu Leipzig. Jetzt müssten Investoren aus der Branche gefunden werden, die die Anlage weiterbetreiben – nicht zuletzt, um den mehr als 500 hochqualifizierten Beschäftigten eine Perspektive vor Ort zu geben.
Erste Folgen für die Entscheidung im fernen Midland gibt es jetzt schon: Die Auszubildenden, die im Herbst bei Dow ihre Lehre beginnen wollten und mittlerweile gekündigt wurden, werden nun von der IHK bei der Suche nach Alternativen unterstützt. Ein Rückschlag ist die Entscheidung außerdem für das geplante „Center for the Transformation of Chemistry“ in Delitzsch, dessen Standort wegen der Nähe zu Chemieunternehmen gewählt wurde, wobei Dow als Praxispartner für Zukunftstechnologien für die chemische Industrie eingeplant war, stellt die IHK fest.
Aber was kann die sächsische Regierung jetzt tun?
„Wir nehmen die Entscheidung von Dow, den Cracker in Böhlen über 2027 hinaus nicht weiterzubetreiben, mit großem Bedauern zur Kenntnis. Der geplante Teilrückzug von Dow aus Sachsen gehöre zur neuen europaweiten Strategie des Konzerns. Nach unserer Einschätzung sind in Böhlen und Schkopau zusammen circa 550 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter direkt betroffen“, sagte Sachsens Wirtschaftsminister Dirk Panter zur Entscheidung von Dow am Montag.
„Die Sächsische Staatsregierung steht bereits seit Wochen in intensivem Austausch mit den Geschäftsführungen der Dow Mitteldeutschland und der Dow Deutschland, Betriebsvertretungen und kommunalen Partnern. In den Gesprächen erarbeiten wir gemeinsam Ideen und Ansätze, um den Chemiestandort Böhlen-Lippendorf mit neuen Investitionen und neuen Produkten zu erhalten. Als Freistaat werden wir diesen Prozess mit unseren Möglichkeiten kraftvoll und aktiv unterstützen.“
Trotz aller Schwierigkeiten sei für ihn klar: „Die Region bleibt ein Treiber für Transformation und Innovation der chemischen Industrie. Sie ist maßgeblich beim Aufbau des Wasserstoff-Kernnetzes berücksichtigt und wird künftig mit dem im Aufbau befindlichen Großforschungszentrum CTC (Center for the Transformation of Chemistry) die Wertschöpfung von morgen prägen und neue Zukunftsperspektiven schaffen. Wir fordern den Konzern auf, weiterhin für die soziale Absicherung der betroffenen Mitarbeiter zu sorgen. Wir sind zuversichtlich, dass Dow die betroffenen Kollegen gezielt unterstützt mit guter Perspektive.“
Stefan Hartmann: Das trifft die ganze Region
Die Werkschließungen werden auch Auswirkungen auf die Wertschöpfung in der ganzen Region haben, stellt der Sprecher für Strukturpolitik der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, Stefan Hartmann, fest: „Am selben Tag erfahren nun die Beschäftigten in Böhlen und Schkopau, dass die seit Monaten im Raum stehende Warnung über die Reduzierung der Produktion an den beiden Standorten wahr wird: Abbau von 550 Arbeitsplätzen. Nicht eingerechnet ist eine noch unbekannte Zahl an Arbeitsverhältnissen in der Zulieferung und die Auswirkungen auf die Wertschöpfung im Umland.
Die Firma Dow Chemical gibt als Gründe wirtschaftlichen Druck und strukturelle Standortnachteilen an. So sei die Nachfrage schwach, Energie- und Rohstoffkosten hingegen hoch. Allerdings hat Dow erst vor Kurzem eine Dividende von 2,46 Euro pro Aktie ausgeschüttet, was einer Dividendenrendite von fast zehn Prozent entspricht.“
Die Abschaltung des Crackers in Böhlen hätte erhebliche Auswirkungen auf ganze Produktionsketten und die gesamte Region.
Muss jetzt der Staat eingreifen?
Hartmann appelliert an die Landesregierungen in Sachsen und Sachsen-Anhalt: „Die sächsische muss zusammen mit der sachsen-anhaltinischen Landesregierung schnell reagieren und Druck auf den Konzern sowie die Bundesregierung aufbauen. Ohne industriepolitische Strategie und planbare Energiekosten werden Konzerne immer wieder Argumente finden, um Jobs zu vernichten. Oft genug sind Managementversagen und Aktionärsinteressen die eigentlichen Krisenursachen.
Im Zweifel muss der Staat Verantwortung für Infrastrukturentwicklung und Ausbildung übernehmen, sowie die Kommunen bei der konzeptionellen Neuaufstellung des Standorts unterstützen. Die Linksfraktion steht wie bisher an der Seite der Beschäftigten.“
Schon am 22. Juni mahnte Anja Eichhorn, Landesvorsitzende von Die Linke Sachsen: „Ein Rückzug von Dow wäre eine Katastrophe. Hunderte Arbeitsplätze drohen verloren zu gehen. Der Stoffverbund in Mitteldeutschland und nicht zuletzt ein Kernstück der chemischen Industrie Sachsens stehen auf dem Spiel. Die Abschaltung des Crackers in Böhlen hätte erhebliche Auswirkungen auf die Wertschöpfung in der gesamten Region.
Mit dem Rückzug der Dow und der Abschaltung des Kohlekraftwerks Böhlen-Lippendorf 2035 verliert der Standort seine Ankerindustrien. Der Strukturwandel droht zu scheitern. Im Zweifel muss der Staat Verantwortung für Infrastrukturentwicklung und Ausbildung übernehmen, sowie die Kommunen bei der konzeptionellen Neuaufstellung des Standorts unterstützen.
Dass nun Ausbildungsverträge für das kommende Ausbildungsjahr aufgelöst wurden, lässt nichts Gutes erahnen. Noch vergangenes Jahr hat Dow gute Gewinne ausgeschüttet. Der Rückzug aus Böhlen und Schkopau erscheint daher keineswegs wirtschaftlich notwendig.“
Für Adelheid Noack, Kreisgeschäftsführerin von Die Linke Landkreis Leipzig, steht jetzt auch die Bundesregierung in der Pflicht: „Bisher hat es die neue Bundesregierung unter Merz nicht geschafft, die industriepolitische Planlosigkeit der Ampel zu überwinden. Wenn CDU und SPD ihre Ankündigung, Deutschland zum weltweit innovativsten Chemie-Standort machen zu wollen, ernst meinen, müssen sie Böhlen und das Mitteldeutsche Chemiedreieck erhalten. Es braucht einen Plan, der die energieintensive Industrie in Deutschland sichert, etwa durch gezielte staatliche Subventionen in Energieeffizienz und durch eine spürbare Reduzierung bei den Netzentgelten.“
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Es gibt 2 Kommentare
Schön, dass Ober-Demokrat Juhlke nach dem Staat ruft. Der aber ist schuld.
Hat alles nichts mit der grün-gewünschten Deindutrialisierungspolitik zu tun: Hohe Energie-Kosten, hoher CO2-Aufschlag, nicht mehr handhabbare Bürokratie (die jeden Rohstoff dokumentiert wissen möchte)…