Das haben wir an dieser Stelle schon einmal geschrieben. Hier passt es ebenfalls: Nachtigall, ick hör dir trapsen. Die Fragen 39 und 40 in der "Bürgerumfrage 2015" beziehen sich auf eine Diskussion von 2014. Damals legte der Mitteldeutsche Verkehrsverbund (MDV) sein Gutachten vor, das belegte, dass im Nahverkehr der Region die Kosten aus dem Ruder laufen. Und eins glauben wir auf keinen Fall mehr: Dass das Thema Bürgerticket im Oktober 2014 zufällig in die LVZ durchsickerte.

Die Zeitung berichtete damals aus einer Ausschusssitzung des Stadtrates, die zum Thema nichtöffentlich stattfand. Man hatte sich dort mit den Vorschlägen aus dem Gutachten beschäftigt, das sich zuvor der MDV hatte erarbeiten lassen. Neben der Analyse der künftigen Kostensteigerungen im Nahverkehr gab es auch ein paar völlig offene Vorschläge, wie man die zusätzlichen Kosten künftig verteilen könnte.

Darüber aber schrieb die LVZ nicht, sondern fixierte sich gleich auf das Thema Bürgerticket. Was für die eher autoaffine Zeitung schon überraschend war. Woher auf einmal dieser Schwenk in der Verkehrsbetrachtung? Hatte der politische Wind in der Blattleitung gewechselt?

Hat er natürlich nicht. Es deutet auch Manches darauf hin, dass das Stichwort keinesfalls so zufällig oder gar unbedingt von einem der im Ausschuss vertretenen Stadträte an die LVZ lanciert wurde. Dazu hat sich seitdem die Rathausdiskussion viel zu sehr auf das Thema Bürgerticket eingeschossen.

Natürlich kann es sein, dass das wieder der alte Verwaltungsreflex ist, der Themensetzung der LVZ einfach hinterher zu latschen – so nach dem Motto: Wo die langlatschen, da latschen auch die Bürger.

Nur zur Erinnerung: Beim Thema Freiheits- und Einheitsdenkmal ist das gründlich in die Hose gegangen.

Es gibt also zwei mögliche Interpretationen des Vorgangs. Keine ist besonders beruhigend.

Nur zur Erinnerung, welche alternativen Denkansätze im MDV-Gutachten damals noch standen:

– die Grundsteuer um 1,1 Prozent erhöhen
– auf bewirtschaftete Parkflächen einen Aufschlag von 10 Cent erheben
– einen Teil der ÖPNV-Kosten beim Erschließen neuer Wohngebiete auf den Grundstückspreis aufschlagen
– zum Bürgerticket wurde vorgeschlagen: Jeder Bürger zahlt im Monat einen Betrag um die 20 Euro und kann im Gegenzug ohne Ticket die Busse und Bahnen des MDV nutzen.

Wenig später erklärte MDV-Chef Steffen Lehmann, dass ein Bürgerticket in fast allen Kommunen des MDV keine Chance auf politische Durchsetzung hätte. Bestenfalls sähe er in einer Stadt wie Leipzig Chancen auf eine Insellösung.

Und trotzdem taucht das Stichwort “Bürgerticket” jetzt wieder im Bürgerbeteiligungsprozess “Leipzig Weiter Denken” auf. Und es taucht in dieser Bürgerumfrage auf. Und zwar allein und mit einer richtigen Suggestivfrage: “Für die Finanzierung des MDV in Leipzig wird über die Einführung eines Bürgertickets diskutiert. Für einen festen Betrag, den alle Leipziger Einwohner zahlen müssen, könnte der MDV in Leipzig von ihnen unbegrenzt genutzt werden. Befürworten Sie die Idee eines solchen Bürgertickets?”

Da ist die Stelle, an der die Nachtigall zu hören ist.

Wo sind die anderen Vorschläge geblieben? Wer hat darüber diskutiert? Wer hat entschieden, dass nur nach dem Bürgerticket gefragt wird?

Wer hat entschieden, dass nicht über erhöhte Zuschüsse an die LVB diskutiert wird?

Denn der Hinkefuß, den die öffentlichen Diskutierer einfach ausblenden, ist: Auch bei den möglichen 20 Euro für ein Bürgerticket wird es nicht bleiben. Auch das Bürgerticket wird jedes Jahr teurer, weil schlicht die Preise steigen.

Und es zementiert die Leipziger Insellage. Das starre, an Ortsgrenzen endende MDV-Tarifsystem bleibt erhalten. Und das, obwohl ein Bürgerticket fürs ganze MDV-Gebiet viel mehr Sinn macht. Viel mehr Sinn, als die ganzen Tarifzonen, die jetzt jeder Nutzer dazukaufen muss, wenn er auch nur drei Ortschaften weiterfahren will.

Und da wäre man ziemlich schnell beim Finanzierungskonstrukt des MDV, in dem die Kleinteiligkeit der Mitgliedsunternehmen nur kaschiert ist aber nicht gelöst. Nämlich in einem echten Verbund, der wirklich Synergien erschließt, sinnvolle Vernetzungen schafft und endlich den ganzen Tarifwirrwarr beseitigt.

Und ebenfalls ist nicht geklärt, wie der ÖPNV eigentlich mal attraktiver werden soll. Und so barrierefrei (in jedem Sinn), dass die Nutzung für niemanden ein Buch mit sieben Siegeln ist.

Aber selbst für die Leute, die sich die Frage ausgedacht haben, scheint es terra incognita zu sein, haben sie in Frage 39 doch formuliert: “Wie oft fahren Sie mit der Straßenbahn, dem Bus, der S-Bahn oder anderen Verkehrsmitteln des Mitteldeutschen Verkehrsverbundes (MDV) in Leipzig?”

Da kommt man schon ins Grübeln. Was bietet der MDV denn noch an? Dampfloks? Motorboote? Fahrräder? Postkutschen?

Und mancher Befragte dürfte auch ins Grübeln kommen, ob er jemals mit einem Verkehrsmittel des MDV gefahren ist. Denn was in Leipzig rollt, sind ja alles Fahrzeuge der LVB. Die meisten Leipziger dürften Schwierigkeiten haben, die LVB als Teil des MDV zu begreifen. Oft glauben die Leute, die sich die verschachtelten Konstruktionen ausgedacht haben, dass auch der normale Bürger eigentlich wissen sollte, wie wer mit wem verbandelt ist.

Es dürfte also nicht wundern, wenn es auch auf diese Frage nicht ganz stimmige Antworten gibt.

Aber das scheint gewollt. Als wolle hier jemand seine Politik manifest machen, bevor auch nur irgendjemand auf die Idee kommt, wirklich über alle Alternativen zu diskutieren.

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Es gibt 2 Kommentare

Und… aus dem Bürgerticket wird sowieso nichts, ebenso wäre eine Insellösung fatal.

Es helfen nur ganz ordinäre Zuschüsse und vor allem ein offensives Fahrangebot. Die Leute wollen ja fahren, die morgens (knacke)vollen S-Bahnen sprechen ganze Bücherregale.

>Denn was in Leipzig rollt, sind ja alles Fahrzeuge der LVB.

Abgesehen davon, dass in Leipzig hauptsächlichst der MIV herumrollt, sind es nicht nur LVB-Fahrzeuge, was so rollt, und auch nicht nur das unkoordinierte Sammelsurium von Regionalbuslinien, sondern es rollen ganz wirkmächtig die Züge im… Citytunnel!

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