Was in Gohlis geklappt hat, warum soll das nicht auch in Stötteritz klappen? Auf die Frage ging sogar Leipzigs Stadtverwaltung ein, die vor vier Jahren noch skeptisch war, als der Ökolöwe für sein Projekt „Mach’s leiser“ etwas vorschlug, was es in den normalen Verkehrsplanungen der Stadt eigentlich nicht gab: Richtige Mitmach-Werkstätten für die direkt betroffenen Bürger. Woher sollen die denn wissen, was amtlich machbar ist?

Müssen sie ja auch nicht. Aber die Bürger im Ortsteil wissen, wo es die größten Gefahrenstellen, die meisten Konflikte, die größten Lücken gibt. Sie müssen ja jeden Tag irgendwie da lang oder damit leben. Sie ärgern sich, dürfen Petitionen schreiben, vielleicht auch mal bei Straßenneubauten mitreden. Aber darum ging es bei „Mach’s leiser“ nicht. Denn dass Leipzig keine gefüllten Sparschweine hat, um schnell mal ganze Straßennetze umzubauen, das war auch dem Ökolöwen klar.

Aber warum soll eine bessere Verkehrsführung und eine Entschärfung von Gefahrenstellen eigentlich immer viel Geld kosten?

Warum soll man nicht die Bürger, die hier jeden Tag stehen und sich die Haare raufen, nicht mal als Experten in eigener Sache befragen? Und zwar nicht nur nach den Problemen, die sie wahrnehmen (und das sind nicht immer dieselben Probleme, die auch die städtischen Verkehrsplaner sehen), sondern auch nach ihren Ideen, wie sie sich eine Lösung vorstellen könnten.

Ganz im luftleeren Raum hing auch das „Mach’s leiser“-Projekt in Gohlis nicht. Die Leipziger Verkehrsplaner waren von Anfang an mit eingebunden, anfangs eher als Berater in Sachen gesetzliche Rahmenbedingungen und Vorschriften. Die Rolle nahmen sie furchtbar ernst – bis dahin, Vorschläge aus den Werkstätten für nicht umsetzbar zu erklären, wenn dazu auch mal Straßen herabgestuft werden mussten. Wie bei der Möckernschen Straße, bis 2012 eine beliebte Rennpiste für Abkürzer Richtung Waldstraße, kurvenreich, zugeparkt und für Radfahrer und Fußgänger brandgefährlich. Und laut.

Auch das war so eine Erkenntnis, die festgehalten werden musste: Straßen, auf denen gerast wird, sind auch fast immer die lautesten Straßen. Da sie oft auch vor Urzeiten zu Hauptverkehrsstraßen ernannt wurden, tat sich Leipzigs Verkehrsverwaltung schwer, den ziemlich einhelligen Wünschen der Bürger zu folgen. Es war schon ein heftiges Zerren um die Tempo-30-Zone in der Möckernschen Straße. Doch als hier Tempo 30 beschildert wurde, traten genau die Effekte ein, die die Anwohner erhofft hatten.

Die Naunhofer Straße - hier noch mit der alten Beschilderung. Foto: Ralf Julke
Die Naunhofer Straße – hier noch mit der alten Beschilderung. Foto: Ralf Julke

Diese erste Runde in „Mach’s leiser“ war ein echter Lernprozess. Für beide Seiten, sagt Tino Supplies, der Projektleiter Nachhaltige Mobilität beim Ökolöwen. Selbst der Ökolöwe staunte, mit welcher Kompetenz die beteiligten Bürger sich in die Diskussionen einbrachten und Vorschläge machten. Und zwar bezahlbare Vorschläge. Solche, die die Verwaltung mit wenig Geld binnen kurzer Frist auch umsetzen konnte. Zwar nicht alle, aber doch die, die auf den ersten und zweiten Blick einfach Sinn machten.

Logisch, dass alle Seiten beim zweiten „Mach’s leiser“-Projekt schon wesentlich aufgeschlossener waren. Die städtischen Planer weniger ängstlich, eher neugierig auf das, was Bürger sich so einfallen lassen. Der Ökolöwe mit breiter Zuversicht, für Stötteritz mindestens eine genauso lange Ideenliste aufstellen zu können. Die Stötteritzer sogar ein bisschen zuversichtlich, einen uralten Gordischen Knoten durchhauen zu können.

Den haben Leipzigs Verkehrsplaner mal geschürt in uralten Zeiten, als sie den sagenhaften „Mittleren Ring“ erfanden und der Meinung waren, auch in Stötteritz ließen sich die Verkehrsprobleme nur durch eine große starke Autoschneise lösen. Das fand ein Teil der Stötteritzer toll, weil damit endlich der Abkürzungsverkehr aus den Wohngebieten käme. Die anderen liefen Amok, weil sie schon ahnten, dass so eine Schneise wieder nur mehr Verkehr bringt, den Ortsteil aber nicht beruhigt.

Die Fronten glühten fast 20 Jahre lang. Ohne Lösung.

Da war das Projekt „Mach’s leiser“ ein echtes Angebot. Auch eines, um erst einmal alle Problempunkte in Stötteritz zu erfassen (anfangs über 60), und dann all jene Stellen herauszufiltern, für die man gemeinsam eine Lösung suchen wollte.

100 Stötteritzer haben mitgemacht. Am 10. November 2015 ging’s mit einer Auftaktveranstaltung los. Am 1. Dezember 2015, 12. Januar und 2. Februar fanden die Workshops statt. Am 10. März wurde der Maßnahmenkatalog zusammengestellt. Und jetzt stehen die Ergebnisse bunt auf weiß: 43 Maßnahmen sind nach diesem intensiven Miteinander von Bürgern, Verwaltung und Ökolöwe realistisch. Noch nicht alle bis zu Ende geklärt, weil der Klärungsbedarf zu groß ist. Wie zum Beispiel in der Ludolf-Colditz-Straße, wo man drei verschiedene Verkehrsführungen für möglich hält. Aber welche nun wirklich diejenige ist, die die meiste Entlastung bringt, das müssen die Verkehrsplaner erst einmal rauskriegen.

Manche Vorschläge waren so sinnfällig, dass die Leute aus dem Verkehrs- und Tiefbauamt einfach losgezogen sind und die Schilder ausgewechselt haben – wie in der Naunhofer Straße, wo immer noch alte DDR-Verkehrzeichen hingen, die die Straße zur Hauptverkehrsstraße machten mit untergeordnet querenden Seitenstraßen. Und das bei Tempo 30. Das war irgendwie völlig unsinnig. Die alten Schilder wurden abgebaut, stattdessen gilt jetzt konsequent die Rechts-vor-links-Regelung. Dasselbe könnte demnächst in der Kolmstraße passieren. Auch da waren sich die Workshop-Teilnehmer weitgehend einig.

Überhaupt hat sich auch in Stötteritz herausgeschält, dass eine deutliche Mehrheit für Verkehrsberuhigung und Tempo-30-Zonen ist. Selbst in der Oberdorfstraße, wo sich die Verwaltung bislang sträubt.

Oberdorfstraße: Die Stötteritzer wünschen sich hier Tempo 30. Foto: Ralf Julke
Oberdorfstraße: Die Stötteritzer wünschen sich hier Tempo 30. Foto: Ralf Julke

Und ebenso plädieren die Bürger mehrheitlich für deutlich mehr markierte Radwege – in der Schönbachstraße genauso wie in der Kolmstraße, der Holzhäuser Straße oder der Papiermühlstraße. Auf einmal taucht ein Alltgs-Mobilitäts-Verhalten auf, das bei den Stadtplanern in der Vergangenheit fast keine Rolle spielte: Denn die Leipziger sind eben nicht nur mit Auto oder ÖPNV über weite Strecken unterwegs, um zur Arbeit zu kommen. Die meisten Wege passieren im eigenen Ortsteil – und zwar zu Fuß und mit dem Rad. Allein wenn man hier die Bedingungen verbessert, kann man einen guten Teil des Autoverkehrs minimieren. Aber das geht nur mit einem größeren Sicherheitsgefühl.

Zum Beispiel auch mit einer deutlichen Verkleinerung von Kreuzungen und dem Bau von Gehwegnasen. Denn Fußgänger sind ja auch in Stötteritz zum Freiwild geworden, weil selbst stark befahrene Kreuzungen bis zum letzten Zipfel zugeparkt sind.

Aber natürlich weisen viele Vorschläge auch über den Ortsteil hinaus. Es kann gar nicht anders sein. Denn man muss ja auch mit Rad oder Straßenbahn erst mal hinkommen. Und die Radverbindungen sind so rosig nicht. Deswegen gibt es auch den Vorschlag, die Oststraße für den Radverkehr deutlich aufzuwerten und die Naunhofer Straße ins Leipziger Radnetz einzugliedern.

Und auch in Stötteritz deutet sich an, was jetzt aus immer mehr Stadtgebieten kommen wird: Die Forderung nach einer Erhöhung der ÖPNV-Kapazitäten. Auch die Linie 4 platzt an immer mehr Tagen aus allen Nähten. Entweder müssen die Wagen größer werden oder es muss öfter gefahren werden.

Und ein Problem dürfte Leipzigs Verwaltung aus dieser Ecke der Stadt wohl nicht erwartet haben: Der Fluglärm macht den Einwohnern von Stötteritz und Mölkau zunehmend zu schaffen. Auch weil immer mehr Flugrouten vom Flughafen Leipzig/ Halle direkt und niedrig übers Stadtgebiet geführt werden. Und dazu kommt noch eine andere Charge Störenfriede: Die Freizeitflieger und Rundflieger, die gerade am Wochenende mit dröhnenden Motoren immer wieder ums Völkerschlachtdenkmal kurven.

Mehrfach wurde die Genehmigungspraxis der Stadt angesprochen. Nicht nur bei den nervenden Fliegern überm Stadtgebiet, sondern auch bei den nervenden Privatfeuerwerken, die mittlerweile jedes Wochenende stattfinden. Und das in einer Stadt, die dauerhaft Feinstaubprobleme hat.

Zumindest eins hat „Mach’s leiser“ nun in Stötteritz wieder gezeigt: Man kann gemeinsam die jahrealten Konflikte lösen, indem man aufhört, auf eine Mega-Lösung (wie den Mittleren Ring) zu bauen, sondern vor Ort Dutzende kleine Lösungen sucht.

Nicht alles ist direkt vor Ort lösbar. Zu ÖPNV, Rad- und Fußverkehr formuliert der Ökolöwe deutlich: Hier braucht es in der Stadt endlich ein generelles Umdenken.

Von den jetzt festgehaltenen 43 Maßnahmen werden wohl die meisten in den nächsten Jahren von der Stadt auch so umgesetzt. Und eigentlich spricht alles dafür, „Mach’s leiser“ jetzt im nächsten lärmgeplagten Ortsteil zu organisieren. Nötig haben es fast alle Leipziger Ortsteile.

 

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