Für FreikäuferDie Katze ist aus dem Sack: Am Montag, 21. August, vermeldete die „Mitteldeutsche Zeitung“, dass sämtliche sogenannten „alternativen Finanzierungsvorschläge“, mit denen zusätzliches Geld in den ÖPNV gespült werden sollte, vom Tisch sind. Das heiß diskutierte „Bürgerticket“ (das die MZ verräterischerweise „Zwangsticket für alle“ nennt) genauso wie der Rest der Vorschläge. Sie werden allesamt nicht weiter verfolgt. Und nun?

Damit ist genau das eingetreten, was schon im Sommer 2014 zu erwarten war, als die LVZ mit derselben Formulierung „Zwangsticket“ meinte, die Ergebnisse der Suche nach alternativen Finanzierungsmöglichkeiten im Mitteldeutschen Verkehrsverbund (MDV) vorweg nehmen zu können. Das tatsächliche Ergebnis dieser Berichterstattung aber war, dass drei Jahre völlig sinnlos verplempert wurden, weil es nie zu einer ernsthaften Diskussion über das Bürgerticket kam.

Es ist dasselbe Phänomen wie beim Grundeinkommen: Es gibt die verschiedensten Möglichkeiten, es umzusetzen.

Aber noch ehe über diese Alternativen diskutiert werden kann, kommen die Leute zu Wort, die nicht mal Lust haben, drüber nachzudenken, aber irgendwo alle möglichen Nachteile zusammengelesen haben. Sie besetzen das Thema, versperren die Aussicht. Der Rest ist ein gewaltiges Scheitern.

Bei dem zu vermuten steht, dass es einige interessierte Parteien genau so beabsichtigt haben.

Was aber nun egal ist. Denn jetzt muss auch Leipzig wieder da anknüpfen, wo man im Sommer 2014 so abrupt aufgehört hat, weil die „alternativen Finanzierungsmodelle“ wie ein heiliger Gral und die beste Idee zur Lösung aller Probleme angepriesen wurden.

Schon im Dezember, als MDV-Geschäftsführer Steffen Lehmann die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen und die vagen finanziellen Erlöse aller Finanzierungsvorschläge vorstellte, war eigentlich klar, dass der Wunsch, man möge irgendwo eine rettende Quelle zur Lösung der Finanzierungsprobleme auftun, sich in Luft aufgelöst hatte. Das große Versprechen wurde zu Nebel.

Und man sieht genau wieder die Ursachen, die tatsächlich dazu geführt haben, dass die Fahrgäste in Leipzig Jahr um Jahr mehr zur Kasse gebeten werden.

Das bringt Marco Böhme, mobilitätspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, auf den Punkt: „Die Kommunen dürfen vom Land beim Thema öffentlicher Personennahverkehr nicht länger im Stich gelassen werden – die Zuschüsse des Landes müssen steigen. Es kann nicht sein, dass die Nutzer*innen der umweltfreundlichen Verkehrsmittel immer stärker zur Kasse gebeten werden. Was mit politischem Willen geht, sieht man bei Straßenbauvorhaben, wo auch mal eben in einem Jahr hundert Millionen Euro mehr lockergemacht werden können. Diese finanzielle Flexibilität der Staatsregierung wünsche ich mir auch, wenn es um die Behebung der Defizite des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) geht.“

Obwohl das Land allein nicht das Problem ist. Die stadteigene LVB ist seit zehn Jahren zum Sparmodell der Leipziger Stadtpolitik geworden. Die Zuschüsse wurden von 63 auf 45 Millionen Euro eingedampft, und das, obwohl die von der Stadt beauftragten Leistungen mindestens einen Wert von 60 Millionen Euro haben. Das bedeutet nun einmal im Klartext, dass die Fahrgäste mit überproportional steigenden Preisen für die Sparpolitik der Stadt bezahlen.

Auf Unwillen stieß das vom MDV diskutierte Bürgerticket-Modell übrigens auch, weil es diesen Zugriff auf die Börsen der Leipziger nicht verhindert hätte, sondern nur auf mehr Börsen verteilt. Auch im Leipziger Stadtrat hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass die Leipziger auf die Preisgestaltung ihrer eigenen Verkehrsbetriebe keinen Einfluss haben. Obwohl ersichtlich ist, dass es auch für Tarifgestaltungen Spielräume gibt, ohne dass Leipzig für andere Kommunen zum Zahlemann gemacht wird. Aber solange sich selbst die Stadtratsfraktionen diese Machtlosigkeit gefallen lassen, wird sich wohl nichts ändern.

Und was ist aus Dresden zu erwarten?

Am Wochenanfang hat Böhme auch noch eine weitere Landtagsanfrage beantwortet bekommen, der zu entnehmen ist, dass die Region Dresden (VVO) von 2009 bis 2015 insgesamt 74.420 Tsd. € (74,4 Millionen Euro) mehr an investiven Mitteln bekommen hat als die Leipziger Region (MDV).

„Investitionen in Fahrzeuge und Werkstätten sind aber genau das, was der Staat am allermeisten tätigen sollte. In der Region Leipzig müssen aber auch dafür viele Eigenmittel von den Fahrgeldeinnahmen (die eigentlich für den Betrieb da sein sollten) dafür benutzt werden, was letztlich auch zu den höheren Preisen als in Dresden führt“, meint Böhme.

Aber in diesem Fall hatte auch seine eigene große Mobilitäts-Anfrage, auf die er sich bezieht, ein Loch. Oder die Antwort darauf hatte es. Denn die Gelder für die Nahverkehrsverbände kommen nicht dem ÖPNV (Straßenbahnen und Busse) zugute, sondern vor allem dem Schienenpersonennahverkehr (SPNV), das heißt: dem regionalen Zugverkehr. Dieses Geld erhalten nicht die kommunalen Verkehrsdienstleister (wie die LVB), sondern die Nahverkehrsverbände (wie der ZVNL).

Investitionsförderung für Nahverkehrsverbünde mit City-Tunel-Kosten und Weißeritzbahn.
Investitionsförderung für Nahverkehrsverbünde mit City-Tunel-Kosten und Weißeritzbahn.

Aber auch da gibt es ein deutliches Finanzierungsungleichgewicht in Sachsen. Der für den Dresdner Raum zuständige Verkehrsverbund Oberelbe bekam deutlich mehr Investitionsmittel als der für den Leipziger Raum zuständige ZVNL. Nur in der Großen Mobilitätsanfrage, die im Mai beantwortet wurde, sah das etwas anders aus, weil auch die zusätzlichen Mittel für den Bau des City-Tunnels in Leipzig und den Wiederaufbau der Weißeritztalbahn (insgesamt rund 330 Millionen Euro) mit eingerechnet wurden. Das Stichwort City-Tunnel zeigt ja schon, worum es bei den Finanzierungen des ZVNL eigentlich geht.

Umso schmerzlicher ist dann, dass zwar über 300 Millionen Euro City-Tunnel-Kosten für Leipzig mit angerechnet wurden, der ZVNL aber für alle anderen Investitionen 70 Millionen Euro weniger bekam als der VVO. Die natürlich fehlen. Das S-Bahn-Netz Mitteldeutschland ist ein Erfolgsprojekt – aber es ist an vielen Stellen noch immer nicht fertig, es fehlt an Kapazitäten und wichtigen Linienergänzungen.

Investitionsförderung für Verkehrsverbünde ohne City-Tunnel und Weißeritzbahn.
Investitionsförderung für Verkehrsverbünde ohne City-Tunnel und Weißeritzbahn.

Aber gerade die Eröffnung des City-Tunnels hat ab 2014 gezeigt, dass ein modernes SMPN/ÖPNV-Netz von den Großstädtern gern und fleißig angenommen wird. Die Weichen sind eigentlich auf Zukunft gestellt – und trotzdem wird bei den nötigen Investitionen geknausert.

Auch beim ÖPNV.

Marco Böhme: „Unser Lösungsvorschlag: Der Landtag muss den Kommunen erlauben, Modelle zur Finanzierung eines Bürgertickets (über Beiträge von Wirtschaft und auch Einwohnerschaft, Hotelgästen etc.) einzuführen. So hatte es die Linksfraktion bereits in der letzten Legislaturperiode gefordert. Wir wollen, dass der Staat die ÖPNV-Infrastruktur kauft bzw. baut und die Zweckverbände/Kommunen den Betrieb finanzieren, über Fahrgeldeinnahmen oder auch über solidarische Abgaben wie das Bürgerticket. Denn von einem guten, frei zugänglichen ÖPNV profitieren alle – durch Entlastung der Straßen vom Autoverkehr in den Städten und durch einfachen Zustieg ohne komplizierte Tarifsysteme überall in Sachsen.“

Was zumindest mal ein neuer Vorschlag wäre. Wobei die Verstaatlichung der Gleise wohl die Probleme nicht löst. Im Grunde müssten die Nahverkehrsverbünde und die kommunalen ÖPNV-Unternehmen nur endlich auskömmliche Finanzierungen bekommen. Die Löcher sind ja seit zehn Jahren aufgerissen, weil Land wie Kommune meinten, sich aus der Finanzierung nach neoliberaler Denkart Stück für Stück zurückziehen zu können.

Der heutige Schlamassel ist Ergebnis dieser Denkart.

Böhme: „Ich fordere Minister Dulig auf, die Meldung des MDV als Hilferuf anzunehmen und endlich den ÖPNV in Sachsen aus seinem Schattendasein herauszuführen. Dafür werden wir weiter Druck machen!“

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