Als sich das sächsische Regierungskabinett im September darauf verständigte, erst einmal nur 70 Prozent der Ausfälle bei Sachsens Verkehrsunternehmen aufgrund der Corona-Pandemie zu ersetzen, sorgte das für berechtigte Irritationen. Denn das Geld kommt größtenteils vom Bund und andere Bundesländer reichten es ganz selbstverständlich zu 100 Prozent an die Verkehrsunternehmen weiter. Am Freitag, 4. Dezember, gab es nun die erlösende Nachricht aus Dresden.

„Das sächsische Verkehrsministerium hat sich gemeinsam mit dem Finanzministerium auf einen 100-prozentigen Ausgleich der coronabedingten Einnahmeausfälle im ÖPNV verständigt“, meldete das Wirtschaftsministerium. „Derzeit liegen dem SMWA Anträge der Verkehrsunternehmen und Aufgabenträgern in Höhe von rund 80 Mio. Euro vor.“

Das heißt: Die befürchtete Knappheit, die im September zu dem einschränkenden Beschluss geführt hat, lag überhaupt nicht vor. Das Problem gab es an anderer Stelle.

Insgesamt 2,5 Milliarden Euro haben die Länder vom Bund zum Ausgleich der coronabedingten Schäden im öffentlichen Personennahverkehr erhalten. Davon entfallen zunächst 167 Millionen Euro nach dem Verteilungsschlüssel der Regionalisierungsmittel (sog. Kieler Schlüssel) auf den Freistaat Sachsen.

Aber sie stehen nicht komplett zur Verfügung. Dazu weiter unten mehr. Der Freistaat stellt nun insgesamt 16 Millionen Euro aus Landesmitteln zur Verfügung um auf 100 Prozent auszugleichen. Dies steht aktuell noch unter Vorbehalt der Zustimmung des Haushalts- und Finanzausschusses im Landtag, so das SMWA.

Warum dann also im September der einschränkende Beschluss, der auch in den Kommunen, die in der Regel Träger des ÖPNV sind, für berechtigte Sorgen sorgte?

„Dass wir unserem ÖPNV bei den pandemiebedingten Ausfällen unter die Arme greifen, war von Anfang an klar und nicht strittig. Klar war aber auch und hier waren wir uns in der Regierung einig, dass wir mit unseren begrenzten Mittel sorgfältig wirtschaften müssen und insbesondere zunächst mehr Details zu den konkreten Ausfällen brauchten“, erklärte Sachsens Finanzminister Hartmut Vorjohann am Freitag das übliche, übervorsichtige sächsische Verfahren.

Das in diesem Fall aber völlig unangebracht war, weil die Gelder allesamt bis zum Jahresende abgerechnet sein müssen. Was Vorjohann dann auch zugestand: „Aufgrund der auslaufenden Beihilfereglung für die Unternehmen zum Jahresende musste der Sachverhalt noch dieses Jahr aufbereitet und entschieden werden. Dies ist uns zum Glück gelungen. Dem Bund sind wir dankbar, dass er hier mitfinanziert. Die Lücke zu den 100 Prozent können wir dank unseres Coronabewältigungsfonds schließen und so sicherstellen, dass der ÖPNV in Sachsen auch in der Krise reibungslos funktioniert.“

Insgesamt liegen dem Wirtschaftsministerium derzeit 68 Anträge vor. Dabei entfallen 38 Millionen Euro auf private und öffentliche Verkehrsunternehmen. 42 Millionen Euro haben Städte, Landkreise und ÖPNV-Zweckverbände gemäß der Richtlinie für die Gewährung der Ausgleichszahlungen im ÖPNV beantragt.

Die Kommentare zu diesem Vorgang aus der Politik:

Marco Böhme: 100-prozentiger Corona-Ausgleich für Verkehrsunternehmen endlich beschlossen

Schon jetzt haben die Verkehrsunternehmen wegen fernbleibender Fahrgäste Ausfälle in Millionenhöhe und das Ende der Pandemie ist nicht in Sicht. Auch Sachsen hat sich jetzt dazu durchgerungen, den Verkehrsunternehmen bis zu hundert Prozent ihrer Verluste ausgleichen.

Dazu sagt Marco Böhme, Sprecher der Linksfraktion für Klimaschutz und Mobilität: „Es ist gut, dass die Staatsregierung unsere Forderung nach einem kompletten Ausgleich der Einnahmeausfälle in diesem Jahr endlich umsetzt. Die Verluste müssen auch in noch bevorstehenden Zeiträumen vollständig ausgeglichen werden, in denen wegen der notwendigen Eindämmungsmaßnahmen viele Fahrgäste fernbleiben.

Sonst verliert das Fahren mit Bus und Bahn an Attraktivität – das wäre schlecht für die Verkehrswende und das Klima. Andere Bundesländer stocken den ÖPNV-Rettungsschirm mit eigenen Landesmitteln auf, wie es die Verkehrsministerkonferenz auch vorgesehen hat. Dazu gibt es in Sachsen allerdings noch keinerlei Signale.“

Ein Linke-Antrag und die deutsche Rechenakrobatik

Einen entsprechenden Antrag hatte die Linksfraktion im Oktober gestellt. In seiner Stellungnahme erklärte dann das SMWA, wie kompliziert die ganze Hin- und Herrechnerei zwischen Bund, Freistaat und den anderen Bundesländern ist.

Aus der Antwort von Wirtschaftsminister Martin Dulig: „Ein bis zu 100-prozentiger Ausgleich der Erlösausfälle war von Beginn an Bestreben des Sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (SMWA). Eine Erhöhung des Ausgleichssatzes von derzeit ,bis zu 70 %‘ auf ,bis zu 100 %‘ (ohne Ausgleich der Hygienemaßnahmen der Verkehrsunternehmen) sowie eine angemessene Beteiligung des Freistaates Sachsen sind weiterhin Ziel des SMWA. Hierzu werden gemeinsame Verhandlungen des Sächsischen Staatsministeriums der Finanzen mit dem SMWA und den Kommunalen Spitzenverbänden angestrebt.

Auch die Finanzministerkonferenz hat am 3. September 2020 begrüßt, dass sich der Bund im Jahr 2020 durch eine Anhebung der Regionalisierungsmittel in Höhe von 2,5 Mrd. Euro am ÖPNV-Rettungsschirm ,beteiligt‘. Eine Beteiligung setzt voraus, dass auch die Länder einen eigenen Beitrag zum ÖPNV-Rettungsschirm leisten.

Der tatsächlich erforderliche Landesmittelanteil bei einem angestrebten Ausgleichssatz von ,bis zu 100 %‘ der ausgleichsfähigen Schadenssumme hängt auch davon ab, wie viele Mittel der vom Bund zusätzlich bereitgestellten Mittel für den ÖPNV-Rettungsschirm in Sachsen verbleiben können bzw. im Zuge des Finanzausgleiches unter den Ländern an andere Länder abgeführt werden müssen.

Dieser Betrag ist wiederum vom Anteil Sachsens am Gesamtschaden über alle Bundesländer abhängig. Der VDV führt hierzu in Abstimmung mit den Akteuren des ÖPNV in den einzelnen Bundesländern qualifizierte Schätzungen durch und aktualisiert entsprechende Prognosedaten laufend.

Nach derzeitigem Stand der Schätzungen des VDV vom 12. Oktober 2020 heißt das für Sachsen Folgendes:

– Von den eingegangenen Regionalisierungsmitteln in Höhe von knapp 167 Millionen € muss Sachsen ca. 100 Millionen € wieder abgeben (und davon 75 % bereits in einem ersten Abschlag) und kann knapp 67 Millionen € behalten.

– Der derzeit in der RL Corona-Billigkeitsleistungen ÖPNV vorgesehene 70-prozentige Ausgleich würde bei einer Schadenshöhe von geschätzt etwas mehr als 83 Millionen € ca. 58 Mio. € kosten und wäre durch die 67 Mio. € abgedeckt.

– Zum 100-prozentigen Ausgleich fehlen ca. 17 Millionen € (83,3 Millionen € – 66,7 Millionen € = 16,6 Millionen €).“

Auch 2021 rechnet der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) mit Einnahmeausfällen von rund 3 Milliarden Euro bei den Nahverkehrsunternehmen.

Henning Homann: ÖPNV-Rettungsschirm endlich vollständig aufgespannt

„Die coronabedingten Ausfälle beim ÖPNV werden, wie zuvor schon in fast allen anderen Bundesländern, nun auch in Sachsen zu 100 Prozent ausgeglichen“, erklärte am Freitag Henning Homann, stellvertretender Vorsitzende der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag und Sprecher für Verkehrspolitik.

„Man fragt sich: Warum nicht gleich so? Das hätte allen Beteiligten viel Frust und Unsicherheit erspart. Die Verkehrsunternehmen haben völlig zu Recht auf den vollständigen Ausgleich bestanden. Und sie hatten von Anfang an Verkehrsminister Martin Dulig und die SPD an ihrer Seite“, begrüßt Homann die Einigung.

„Unser Ziel ist es, dass deutlich mehr Menschen auf Bus und Bahn umsteigen. Den ÖPNV in dieser schwierigen Zeit hängenzulassen, hätte zu höheren Preisen und weniger Angeboten geführt. Das können wir uns angesichts der Herausforderungen bei Verkehrswende und Klimaschutz nicht leisten. Wir erwarten, dass die anstehenden und vereinbarten Vorhaben, wie z. B. das Bildungsticket ordentlich finanziert werden.“

Gerhard Liebscher: Der bisherige Mittelansatz von 70 Prozent war nicht ausreichend, um den kommunalen Trägern durch die Krise zu helfen

Zur Einigung des sächsischen Verkehrsministeriums mit dem Finanzministerium, die coronabedingten Ausfälle im ÖPNV zu 100 Prozent auszugleichen, erklärt Gerhard Liebscher, verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen im Sächsischen Landtag: „Wir sind froh, dass das Finanzministerium den mehrfachen Aufforderungen der Koalitionsfraktionen nun endlich nachgekommen ist und mit dem Verkehrsministerium eine 100-prozentige Weitergabe der Mittel aus dem ÖPNV-Rettungsschirm vereinbaren konnte. Die Einigung ist ein wichtiges und richtiges Zeichen an die kommunale Familie.“

Wir Bündnisgrüne haben in den vergangenen Wochen mehrfach für die komplette Weitergabe der Mittel aus dem ÖPNV-Rettungsschirm geworben. Das Geld ist vom Bund für die Ausfälle im ÖPNV bereitgestellt worden – es nicht komplett an die kommunalen ÖPNV-Träger weiterzugeben, wäre ein falsches Signal gewesen.

Im Koalitionsvertrag haben wir gemeinsam mit unseren Koalitionspartnerinnen vereinbart, dass wir die Voraussetzungen dafür schaffen wollen, dass in den kommenden Jahren mehr Menschen auf Bus und Bahn umsteigen. Es ist deshalb richtig, die kommunalen Träger des ÖPNV in Zeiten der Krise umfänglich zu unterstützen, damit sie in Zukunft ihren wichtigen Beitrag zu mehr nachhaltiger Mobilität und Klimaschutz leisten können. Der bisherige Mittelansatz von 70 Prozent war dafür nicht ausreichend.“

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