Die Medien überschlagen sich mit Meldungen, wie „Tempo 30 kann schneller eingerichtet werden“ – aber was steht wirklich in der novellierten Straßenverkehrsordnung (StVO)? Wird die Autozentrierung des Straßenverkehrs aufgehoben? Können Städte und Gemeinden freier entscheiden? Wir haben uns das angeschaut.

Die Meldungen beziehen sich auf die Novelle der Straßenverkehrsordnung, hauptsächlich aber auf die Pressemitteilung der Bundesregierung vom 11. Oktober 2023.

Vor der StVO kommt das StVG

Das Straßenverkehrsgesetz (StVG) ist die Grundlage, auf der die StVO beruht, das steht auch eindeutig in der Pressemitteilung „Entwurf zur Novellierung des Straßenverkehrsgesetz überwiesen“ des Deutschen Bundestages:

„Mit der Novelle des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) will die Regierung den Rechtsrahmen schaffen, um sodann in der Straßenverkehrsordnung (StVO) den Behörden neue Befugnisse einzuräumen.“

Im StVG wurde der § 6 (4) geändert, es wurde der Punkt 4a eingefügt. Der Absatz lautet jetzt so:
§ 6 (4) Rechtsverordnungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 2, 5 und 8 oder Absatz 2, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 3, können auch erlassen werden
1. zur Abwehr von Gefahren, die vom Verkehr auf öffentlichen Straßen ausgehen,
2. zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen, die von Fahrzeugen ausgehen, oder
3. zum Schutz der Verbraucher.

Neu (4a) Rechtsverordnungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, 8, 15 Buchstabe b oder c, Nummer 16 oder 18 können auch erlassen werden zur Verbesserung des Schutzes der Umwelt, darunter des Klimaschutzes, zum Schutz der Gesundheit oder zur Unterstützung der städtebaulichen Entwicklung, soweit sie nicht bereits nach Absatz 4 erlassen werden können.

Diese Rechtsverordnungen sollen insbesondere vorsehen, dass Gemeinden bei den nach Landesrecht für die Ausführung der Rechtsverordnungen bestimmten Behörden den Erlass von Anordnungen zur Gewährleistung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, zur Verbesserung des Schutzes der Umwelt, zum Schutz der Gesundheit oder zur Unterstützung der städtebaulichen Entwicklung beantragen können.

Die nach Satz 1 erlassenen Rechtsverordnungen und auf ihnen beruhenden Anordnungen müssen neben der Verbesserung des Schutzes der Umwelt, des Schutzes der Gesundheit oder der Unterstützung der städtebaulichen Entwicklung die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs berücksichtigen.

Den Teil des letzten Satzes, „… die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs berücksichtigen“ kann man mit „Leichtigkeit des (Auto-)Verkehrs“ lesen, muss man aber nicht.

Die Änderungen im Detail

Die genannten Nummern 2, 8 und 15 aus § 1 (1) sind:

2. das Verhalten im Verkehr, auch im ruhenden Verkehr,

8. die zur Verhütung von Belästigungen anderer, zur Verhütung von schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes oder zur Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung erforderlichen Maßnahmen,

15. die Beschränkung des Straßenverkehrs einschließlich des ruhenden Verkehrs

a) zugunsten schwerbehinderter Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung, mit beidseitiger Amelie oder Phokomelie oder vergleichbaren Funktionseinschränkungen sowie zugunsten blinder Menschen,

b) zugunsten der Bewohner städtischer Quartiere mit erheblichem Parkraummangel,

c) zur Erforschung des Unfallgeschehens, des Verkehrsverhaltens, der Verkehrsabläufe oder zur Erprobung geplanter verkehrssichernder oder verkehrsregelnder Maßnahmen,

Vergleich der Änderungen nach Novellierung StVG und StVO

Tempo 30: Es bleibt bei den jeweiligen Zuständigkeiten, also für Gemeindestraßen die örtliche Straßenverkehrsbehörde, für Bundesstraßen die Länder, die „Leichtigkeit der (Auto)Verkehrs“ darf nicht beeinflusst werden.

In der Novelle zur StVO ist immerhin zum Tempo 30 (§ 45 (9) 6) der Punkt „an hochfrequentierten Schulwegen“ aufgenommen.

Bewohnerparken: Künftig darf bereits aufgrund von Prognosen zur Parkraumentwicklung gehandelt werden. Die Einschränkung „Leichtigkeit des (Auto-)Verkehrs muss berücksichtigt werden“ behindert eventuell die Schaffung von „Superblocks“ und anderer verkehrsberuhigter Zonen.

Bussonderfahrstreifen: Hier gibt es keine Veränderungen im StVG. Die Änderung in der StVO besteht darin, dass Sonderfahrstreifen und für den fließenden und ruhenden Fahrradverkehr sowie für den Fußverkehr jetzt auch mit der Begründung eingerichtet werden können: „Zur Verbesserung des Schutzes der Umwelt, darunter des Klimaschutzes, zum Schutz der Gesundheit oder zur Unterstützung der geordneten städtebaulichen Entwicklung, sofern die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs berücksichtigt sind“. Auch hier der Satz mit der „Leichtigkeit des (Auto-)Verkehrs.

Flächen für Rad- und Fußverkehr: Siehe Bussonderstreifen

Fußgängerüberwege: Die Einrichtung von Fußgängerüberwegen ist in § 26 StVO geregelt, es gibt in der Novelle keine Änderung am Paragrafen. Die Richtlinie für die Anlage und Ausstattung von Fußgängerüberwegen (R-FGÜ 2001) ist nach wie vor unverändert, was die kommunalen Möglichkeiten beschränkt.

Einheitliches Verkehrszeichen „Ladezone“: In Anlage 2 zur StVO wird das Verkehrszeichen Ladezone, unter 15.1 als Zeichen 230, aufgenommen.

Abschaltverbot von Notbremsassistenten: In § 23 wird Absatz 1d eingefügt, der regelt, dass das für ein Kraftfahrzeug vorgeschriebene Notbremsassistenzsystem eingeschaltet ist, bei Geschwindigkeit von über 30 km/h.

Fazit

Die Pressemitteilung der Bundesregierung verspricht in Teilen mehr, als die Novelle zum StVG und zur StVO hergeben. Es gibt für die Straßenverkehrsbehörden zu viel Ermessensspielraum.

Es ist zu befürchten, dass die Autozentrierung bestehen bleibt, die Änderungen sind teils kosmetischer Natur. Die Zuständigkeiten entziehen sich teilweise dem Einfluss der Gemeinden.

Allein der Satz „… inwieweit andere Verkehrsteilnehmer – und damit der motorisierte Individualverkehr, aber auch der öffentliche Personennahverkehr – nicht unangemessen beschränkt werden“ verspricht nichts Gutes.

Anmerkung: Wenn hier bei der „Leichtigkeit des Verkehrs“ immer (Auto) davor gesetzt wurde, bezieht sich das darauf, dass diese Formulierung bedeutet „Leichtigkeit des aktuell existierenden Verkehrs“. Das ist nun mal der Autoverkehr.

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Es bleibt zu hoffen, dass der Bundesrat bei der StVO so wie bereits bei der Novelle 2020 deutlich nachschärft (damals u.a. Schrittgeschwindigkeit beim LKW-Abbiegen, Verhinderung Fahrradparkverbot auf Fahrbahnen, Verbesserungen beim Carsharing, Fahrradmitnahme auch über 7J., Vereinfachung für Fahrradzonen, Erhöhung wichtiger Bußgelder) . Die Stellungnahme des Bundesrates zu § 6 Absatz 4 Satz 3 – neu – StVG lässt zumindest hoffen, dass sich der Bundesrat nicht mit den minimalen Änderungen am § 45 der StVO zufrieden gibt.

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