Nirgendwo wird so viel getrickst wie beim Geld. Davon können auch Menschen ein Lied singen, die nicht mit Dispokrediten und Schuldenfallen zu tun bekommen haben. Doch überzogene Dispokredite spielen immer eine Rolle, wenn Menschen mit Schuldenproblemen in den Beratungseinrichtungen auftauchen. Ein brandheißes Thema für die Marktwächter. Marktwächter? Gibt es tatsächlich, auch wenn die Arbeit erst ganz am Anfang steht.

Der Marktwächter Finanzen ist ein Projekt, mit dem der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) und die Verbraucherzentralen in den Bundesländern den Finanzmarkt aus Perspektive der Verbraucher beobachten. Sie hat fünf Schwerpunkt-Arbeitsgruppen im ganzen Bundesgebiet. Eine ist bei der Verbraucherzentrale Sachsen im Aufbau. Diese analysiert im Rahmen des Projekts den Finanzmarkt für Bankdienstleistungen und Konsumentenkredite.

Hierfür werden Beschwerden und Beratungen von Verbrauchern aus allen 16 deutschen Verbraucherzentralen über ein Frühwarnnetzwerk systematisch ausgewertet. Zudem werden empirische Untersuchungen durchgeführt.

Alle Befürchtungen bestätigt

Die zu Dispokrediten war jetzt die erste, über die eine umfassende Studie vorgelegt werden konnte. Eine Studie, die im Grunde alle Befürchtungen bestätigte, die die Verbraucherschützer vorher hatten. Dazu gleich mehr.

Neben der Verbraucherzentrale Sachsen untersuchen vier weitere Schwerpunkt-Verbraucherzentralen den Finanzmarkt: Baden-Württemberg (Geldanlage und Altersvorsorge), Bremen (Immobilienfinanzierung), Hamburg (Versicherungen) und Hessen (Grauer Kapitalmarkt). Der Marktwächter Finanzen wird bis Ende 2017 mit rund 12,4 Millionen Euro durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) gefördert. Das bedeutet rund 5 Millionen Euro im Jahr, auch wenn die Verbraucherschützer davon ausgehen, dass mindestens 7 Millionen Euro gebraucht würden, um sich durch das Dickicht der Anlagen, Kredite, Geschäftsbedingungen zu arbeiten.

Das wurde auch beim Thema Dispokredit sichtbar. Wo der normale Verbraucher glaubt, der Dispo müsste doch eigentlich bei allen Banken und Instituten nach denselben Modalitäten funktionieren, zeigte die Marktanalyse der Verbraucherschützer, dass man es tatsächlich mit einem Dschungel von hunderten Regeln und Eigendefinitionen zu tun hat.

Und das geht schon mit den simpelsten Informationen über den Dispositionskredit los, der ja eigentlich nichts anderes ist als ein Kreditrahmen, den Banken gewähren, wenn ein Kunde doch einmal kurzfristig sein Guthaben überzieht und das Konto ins Minus fällt. Mit Betonung auf kurzfristig. Entsprechend hoch sind die Zinsen, die die Banken dann in Rechnung stellen – weit entfernt von normalen Zinsen für Verbraucherkredite. Zinssätze von 7 bis 11 Prozent sind das Normale. Und man kann sich gut vorstellen, wie schnell das für Verbraucher zur Schuldenfalle wird, wenn sie dauerhaft mit dem Konto im Minus sind und das monatliche Einkommen nicht ausreicht, um aus dem Dispo herauszukommen. Dann wird jeder Tag, an dem die Banken den Zinssatz fällig stellen, zu einer weiteren Belastung des Kontos.

Mit erwartbarem Ende, wie es die vielen Schuldnerberatungen der Republik immer wieder erleben.

Jeder zwölfte Deutsche hängt dauerhaft im Dispo fest

Nach einer Umfrage der Ing Diba (Studie 2015, Werte von 2013) nutzen 10 Prozent der deutschen Verbraucher ihren Dispositionskredit monatlich, 8 Prozent sogar permanent, zahlen also ihrer Bank jeden Monat deftige Zinsen dafür, dass sie (zumindest der Bank gegenüber) auf Pump leben.

Ein Dilemma, das längst auch Bundesregierung und Bundestag beschäftigt, auch wenn die Verbraucherschützer nicht damit rechnen, dass es dafür in nächster Zeit eine vernünftige Regelung gibt. Ein Vorschlag im derzeit diskutierten Gesetzespaket zu Verbraucherkrediten geht dahin, die Banken künftig in die Beratungspflicht zu nehmen, wenn ihre Kunden in die Schulden geraten.

Aber das Thema, dessen ist sich auch Dorothea Mohn, Teamleiterin Finanzen beim Verbraucherzentrale Bundesverband, sicher, ist bei Schuldnerberatungsstellen eindeutig besser aufgehoben. Da hat man schlicht schon Erfahrung damit, mit den Betroffenen gemeinsam echte Entschuldungspläne zu schnüren. Bei den Banken, so befürchtet nicht nur sie, wäre die Bereitschaft, den Betroffenen zu verträglicheren Kreditkonditionen zu verhelfen, wohl denkbar gering. Denn sie verdienen ja an den Dispo-Zinsen richtig Geld. Und das nicht immer auf transparente Weise, wie nun im Sommer eine Stichprobe der in Leipzig ansässigen Marktwächter um Dr. Carmen Friedrich ergab.

Man hat sich einfach mal tief in die Webseiten 251 Genossenschaftsbanken, 100 Sparkassen und 20 Privatbanken eingelesen. Das sind etwa ein Viertel der in Deutschland ansässigen Institute (dazu kommt ja bekanntlich noch eine erkleckliche Anzahl international agierender Institute). Aber da viele Banken für unterschiedliche Kontenangebote auch unterschiedliche Dispo-Modelle haben, musste also bis auf Konto-Ebene untersucht werden. Insgesamt wurden 1.346 verschiedene Kontomodelle untersucht.

Transparente Information? Fehlanzeige

Das Ergebnis: Kreditinstitute informieren Verbraucher auf ihren Internetseiten nur unbefriedigend zu ihren Dispositionskrediten.

In der repräsentativen Studie wurde geprüft, welche Angaben die Unternehmen zu diesen Krediten im Netz veröffentlichen, wie leicht Verbraucher diese finden und wie verständlich die Informationen für sie sind.

Die meisten Kreditinstitute veröffentlichen zwar die Höhe des Sollzinssatzes im Internet. Wo genau diese Informationen im Netz zu finden sind, variiert aber zwischen den Unternehmen stark.

„Verbraucher müssen auf den Internetseiten von Anbietern intensiv suchen, um elementare Informationen zu Dispositionskrediten zu finden“, erklärt Carmen Friedrich.

Im Detail wird’s aber schon beim Soll-Zinssatz schwierig: Für sämtliche Konten der Privatbanken und fast alle Konten der Sparkassen lagen Angaben zur Höhe des Sollzinssatzes vor. Die Genossenschaftsbanken gaben diese Information hingegen nur für knapp 60 Prozent der Konten an. Angaben über die Höhe des Sollzinssatzes hinaus werden selten veröffentlicht. Ein Referenzzinssatz, an den der Sollzinssatz gebunden ist, wurde nur für etwa ein Viertel der geprüften Konten benannt. Außerdem werden oft Referenzzinssätze verwendet, die wenig oder gar nicht schwanken. In der Folge werden Verbraucher kaum an den Marktentwicklungen beteiligt.

Niedrige Referenzzinssätze werden mit Verzögerung weitergegeben

Referenzzinssätze spiegeln normalerweise die Entwicklungen der aktuellen Zinssätze an den Märkten wieder, die ja bekanntlich seit der Finanzkrise europaweit im Keller sind. Das hätte eigentlich auch so an die Verbraucher weitergegeben werden müssen. Doch mit der Anpassung der Sollzinssätze an die Referenzzinssätze tun sich deutsche Kreditinstitute schwer. Je später sie diese Zinsschwankungen weitergeben, umso mehr Geld verdienen sie ja mit den Dispo-Zinsen.

Und so ziehen denn die Marktwächter eine ernüchternde Bilanz: “Genaue Termine, wann Zinsanpassungen vorgenommen werden, wurden lediglich für rund 10 Prozent der Konten veröffentlicht. Konkrete Regeln, unter welchen Umständen der Sollzinssatz angepasst wird, wurden für ein Fünftel der Konten benannt. Die Zinsanpassungsregeln sind zudem oft unverständlich, ungenau oder sichern dem Kreditinstitut eine beliebige Anpassung zu.”

Die meisten Verbraucher erfahren also gar nicht, wann, wie und in welcher Weise ihre Bank den Sollzinssatz anpasst. Oder ob sie es überhaupt tut. Einige Bankinstitute, die besonders negativ auffielen, hatten den Zinssatz über zwei oder gar drei Jahre nicht angepasst.

„Verbraucher müssen aber die Höhe des Sollzinssatzes und seine Veränderungen nachvollziehen können“, erklärt Dorothea Mohn, Teamleiterin Finanzmarkt beim Verbraucherzentrale Bundesverband. Nur dann können sie den Dispositionsrahmen bewusst nutzen und nur dann können die Konditionen für den Dispositionskredit zum Entscheidungskriterium für die Produktauswahl werden. „Von einer Preistransparenz beim Dispositionskredit sind wir aktuell weit entfernt, deshalb brauchen wir hierzu konkrete gesetzliche Regelungen.”

Die Höhe des Sollzinssatzes sowie dessen Anpassung müssen sich an einem Referenzzinssatz orientieren, der die Zinsentwicklung am Markt ausreichend gut wiedergibt. Die Zinsanpassungsregel muss auf der Website der Bank in unmittelbarer Nähe zur Erklärung des Sollzinssatzes sichtbar sein, findet Friedrich. Geregelt ist das nicht. Bei vielen Banken ist weder das Regelwerk um den Sollzinssatz leicht zu finden, noch ist dort für den Laien verständlich erklärt, worum es geht. Stattdessen haben einige Banken von sich aus sogar Spannen festgelegt, ab denen sie überhaupt erst bereit sind, die Zinssätze anzupassen. Das steht dann als Prozentsatz oft im Kleingedruckten. Die eine Bank passt den Zinssatz an, wenn der gewählte Referenzzinssatz sich um mindestens 0,25 Prozent verändert, andere machen es erst bei 0,50 Prozent. Heraus kommen regelrechte Anpassungsstufen, bei denen die Banken selbst dann höhere Sollzinsen verlangen, wenn der Referenzzinssatz schon lange gefallen ist. Die Spanne ist ihr Gewinn.

Solche Zinsanpassungsklauseln sollten schlicht unwirksam sein, sagt Mohn.

Langer Atem bis zu einer verbraucherfreundlichen Regelung

Aber kommt das Ergebnis der Studie jetzt einfach auf den Tisch von Bundesjustizminister Heiko Maas, dessen Ministerium das Projekt Marktwächter unterstützt?

“Kann man so sagen”, sagt Andrea Heyer, Geschäftsführerin der Verbraucherzentrale Sachsen, betont aber auch, dass das Projekt Finanzmarktwächter ja gerade angelaufen sei. Solche Ergebnisse, wie sie jetzt die Leipziger Arbeitsgruppe vorgelegt habe, seien ja zum ersten Mal überhaupt belastbare Aussagen zu einem komplexen Thema. Die Verbraucherschützer kennen es und wussten schon seit Jahren, dass sich die Verbraucher im Dickicht der tausend Regeln regelrecht verloren fühlen müssen. “Wir fordern schon lange transparente und einheitliche Regeln”, sagt Heyer. Doch mit einem ersten Vorstoß auf ein wirklich verbraucherfreundliches Gesetz sei man ja gerade gescheitert. Für viele Abgeordnete ist so eine Regelung schon ein Eingriff in den so viel geliebten Markt und die Freiheit der Unternehmen.

“Aber ich hoffe”, sagt Heyer, “dass dieses Ergebnis ein neues Nachdenken anstoßen und vielleicht mal die Grundlage für einen neuen Gesetzesvorstoß wird.” Vorerst werde man sammeln und die Ergebnisse auf der Marktwächter-Website der Öffentlichkeit und auch den Abgeordneten zur Verfügung stellen.

“Die Website ist gerade in Arbeit”, tröstet Dorothea Mohn. Aber in Kürze wolle man online gehen.

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