Laut der Antwort des Staatsministeriums für Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung auf eine Kleine Anfrage der Linke-Abgeordneten Juliane Nagel (Drucksache 7/5930) ist die Zahl der Aufträge für Zwangsräumungen in Sachsen 2020 um fünf Prozent gegenüber dem Vorjahresniveau gewachsen. 2019 hatte es 3.418 Räumungsaufträge für Wohnraum gegeben, 2020 waren es 3.598. Corona-Pardon für die Betroffenen gab es also kaum.

In 2.613 Fällen wurde 2020 Wohnraum geräumt. Für 2019 und davorliegende Zeiträume kann die Staatsregierung keine Vergleichszahl angeben.„2020 war nicht irgendein Jahr, sondern das Jahr, in dem die Corona-Pandemie begann. Mit gesundheitlichen Risiken gingen und gehen auch soziale Risiken einher, vor allem für Mieterinnen und Mieter“, stellt Juliane Nagel zu diesem doch ziemlich ernüchternden Ergebnis fest.

„Coronabedingte Einkommenseinbußen bedeuten auch, dass das Geld für die Miete knapp werden kann. In Sachsen wohnen zwei Drittel der Menschen zur Miete! Von März bis Juni 2020 war es noch möglich, Mietzahlungsrückstände zu stunden. Seitdem fehlen Schutzmechanismen für Mieterinnen und Mieter mit Zahlungsschwierigkeiten. Es ist ein Skandal, dass die Zahl der Zwangsräumungen trotz des viermonatigen faktischen Räumungsverbotes 2020 so hoch war. Das Menschenrecht auf Wohnen darf nicht grundsätzlich hinter dem Recht auf Eigentum zurückstehen.“

Von den 2.615 Wohnungsräumungen entfielen immerhin 706 Fälle auf Leipzig, wie eine Anfrage der Linksfraktion im Leipziger Stadtrat ergab. Wobei gerade Leipzig dadurch auffiel, dass die Zahl der Wohnungsräumungen gegenüber dem Vorjahr sank. Da waren es noch 771 gewesen. Was möglicherweise damit zu tun hatte, dass gerade die stadteigene Wohnungsgesellschaft LWB sich bei den angesetzten Räumungen deutlich zurückhielt. Mussten 2019 noch 134 LWB-Wohnungen beräumt werden, waren es 2020 noch 96.

Aber das löst nun einmal das Grunddilemma nicht, das ja aufs Engste verknüpft ist mit dem sächsischen Niedriglohndilemma, der wachsenden Schuldenproblematik und den steigenden Mieten, die oft nichts mehr mit dem durchschnittlichen Lohnniveau vor Ort zu tun haben. Und die zaghaften Versuche der Regierung in den letzten Jahren, wieder mehr geförderten Wohnraum zu schaffen, genügen ganz eindeutig nicht, um die aufklaffende Lücke zu schließen.

„Wir nehmen zustimmend zur Kenntnis, dass sich das Justizministerium im Bund für die Aussetzung von Zwangsräumungen in der Pandemie eingesetzt hat“, sagt Juliane Nagel.

„Wir erwarten aber, dass mehr geschieht. Mit unserem Änderungsantrag zum Antrag der Koalition ,Wohnungslosen in Sachsen helfen‘ haben wir zahlreiche Vorschläge gemacht, um präventiv gegen den Verlust der eigenen Wohnung vorzugehen. Wir fordern unter anderem, unverzüglich Schutzmechanismen für Mieterinnen und Mieter in der Pandemie zu schaffen, aber auch Zwangsräumungen grundsätzlich zu verbieten. Dies schließt auch die tatkräftige Unterstützung der Kommunen ein, mit allen Mitteln gegen Wohnungsverlust und Wohnungslosigkeit vorzugehen.“

Es reiche nun einmal nicht, mal einen Brief an die Bundesregierung zu schreiben.

„Das Recht auf ein Zuhause muss verteidigt werden, vor allem in der Pandemie“, sagt Nagel. „Dabei freue ich mich auch über kleine Schritte. Wir hatten in der Debatte zum Landeshaushalt beantragt, 450.000 Euro zusätzlich für Wohnungslosenhilfe und Modelle wie Housing first einzustellen, die Staatsregierung hatte nur 50.000 Euro vorgesehen. Die Koalition hat das Thema und wortgleich sogar die Begründung unseres Antrages übernommen, um mittels eines eigenen Antrages immerhin 100.000 Euro draufzupacken. Wir freuen uns darüber, dass im Bereich der Prävention und Hilfe für Wohnungslose endlich etwas passiert. Das fordern wir schon lange.“

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