Die Bundesregierung unter Bundeskanzler Friedrich Merz, insbesondere seiner Parteifreundin und Wirtschaftsministerin Katherina Reiche, schreiben scheinbar gern aus den Analysen von Interessenverbänden ab. So geschehen beim 10-Punkte-Plan von Reiche, der auffällige Ähnlichkeiten zu einem Papier von RWE und Eon aufweist.

Auch das Positionspapier der CDU „Positionssammlung zur IAA 2025“ enthält Passagen, die als „LILA – Änderung vom VDA“ gekennzeichnet sind. Wer es nicht weiß, der Verband der Automobilindustrie (VDA), von dem diese Intentionen stammen, ist eine Lobby-Truppe derselben. Man stelle sich den Aufschrei bei Bild & Co. vor, wenn Habeck nachweislich bei Greenpeace abgeschrieben hätte.

Geht es nach der Wirtschaftsministerin, dann muss die Energiewende, also der Ausbau erneuerbaren Energien, gebremst werden. Der Grund: Energie ist in Deutschland zu teuer, die Stabilität der Energieversorgung ist gefährdet und der Monitoring-Berichts zur Energiewende, ginge ja von einem geringeren, als prognostizierten Energiebedarf aus.

Die Bundeswirtschaftsministerin hat dazu zehn Schlüsselmaßnahmen, darin stehen die oben genannten Auffälligkeiten, unter anderem den Ausbau von CCS/CCU als Klimaschutzmaßnahmen, vorgestellt. Das wird vom Bundeskanzler unterstützt, aber auch beispielsweise vom Verband der Chemischen Industrie (VCI) und dem Industrieverband BDI.

Abgesehen von CCS (Carbon Capture and Storage), also Kohlendioxid-Abscheidung und -Speicherung, die von Experten kritisiert wird, geht es selbstverständlich auch um die viel beschworene Technologieoffenheit. Diese beinhaltet, obwohl nicht explizit benannt, wohl Gaskraftwerke, die Frau Reich für unverzichtbar hält.

Katherina Reiche sagt dazu: „Die Energiewende steht an einem Scheideweg, damit sie gelingt, müssen Verlässlichkeit, Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Kostentragfähigkeit des Energiesystems für unseren Wirtschaftsstandort ins Zentrum rücken.“

Eine neue Studie

Führende Unternehmen aus dem Bereich der dezentralen Energie, ja die New Energy Alliance ist auch ein Interessenverband, haben eine Studie bei der Unternehmensberatung Roland Berger beauftragt und am 30. September 2025 vorgestellt.

Diese Studie mit dem Titel „Die Rolle der Dezentralen Lösungen im gesamtkosteneffizienten Energiesystem“ kommt zu einem anderen Ergebnis, nachfolgend zwei Punkte.

  • Für ein zukunftsfähiges, versorgungssicheres und kosteneffizientes Energiesystem in Deutschland ist ein Zusammenspiel zentraler und dezentraler Lösungen erforderlich, um eine Gesamtkosteneffizienz zu erreichen.
  • Der Mehrwert dezentraler Energielösungen wird wie folgt beziffert: bis zu 50 % Energiekostenersparnis für Privathaushalte und KMU, 100.000 neue Arbeitsplätze und bis zu 40 % Reduzierung des Verteilnetzausbaus bis 2045.
Grafik: Mehrwert der Dezentralen Lösungen 2025 – 2045, Screenshot LZ
Grafik: Mehrwert der Dezentralen Lösungen 2025 – 2045, Screenshot LZ

Auch der Schluss auf Seite 19: „Private Haushalte profitieren im Durchschnitt mit ca. 900 – 1.200 Euro Einsparung pro Jahr durch die Nutzung Dezentraler Systeme wie Photovoltaikanlagen und Batteriespeicher“, scheint zumindest einer näheren Untersuchung wert.

Die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit der, von Frau Reiche geliebten Gaskraftwerke, wird nicht bestritten, aber auf Seite 11 ist zu lesen:

„In der Abwesenheit ausreichender Speicherkapazitäten für Erneuerbare Energien, stellt die Konventionelle Energieerzeugung – auch in Kombination mit CCS – eine Übergangstechnologie dar.“

Es wird auch ausgeführt, dass die steigenden CO₂-Preise und die Volatilität der Brennstoffpreise zu steigenden Preisen der konventionellen Energieerzeugung beitragen.

Das Schlusswort ist eindeutig: „Die dezentralen Lösungen finden nicht ausreichend Gehör im aktuellen politischen und privatwirtschaftlichen Diskurs zu Energiebedarfen und Versorgungssicherheit.“ Ja, Katherina Reiche & Co. wollen lieber auf altbewährte, wenn auch nicht zukunftsfähige Technologien setzen. Der Einfluss der fossilen Industrie führt im Energiebereich, ebenso wie im Automobilsektor, geradewegs in ein Industriemuseum.

Wir baten Markus Meyer, Politikchef bei Enpal, um ein Statement, schließlich ist Enpal der Auftraggeber für die Studie. Wir haben selbstverständlich darauf hingewiesen, unter welchem Titel wir das Thema veröffentlichen.

„Ministerin Reiche will vor allem mehr Realismus in die Energiewende bringen und die richtigen Prioritäten setzen. Bei beiden Punkten fühlen wir uns sehr angesprochen. Bei kleinen Unternehmen und Privathaushalten gibt es dazu bereits viele Technologien, die zu diesen Zielen einen wesentlichen Beitrag leisten. Die Ministerin darf dieses Potenzial nicht ignorieren.“

Dem kann ich mich nur anschließen, sie muss ja nicht gleich abschreiben.

Fazit: Obwohl, wie einführend geschrieben, auch die New Energy Alliance eine Interessenvertretung der Industrie ist, lohnt es sich doch der Studie Aufmerksamkeit zu schenken. Auf jeden Fall scheinen die Forderungen zukunftsfähiger zu sein, als das ständige „Drill Baby, drill“ der Öl- und Gasbefürworter.

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