„Wir blicken auf ein turbulentes und außerordentlich herausforderndes Jahr 2022 zurück, welches VNG in eine beispiellose unternehmerische Situation brachte“, eröffnete Ulf Heitmüller, Vorstandsvorsitzender der VNG AG, das diesjährige Bilanzpressegespräch 2023 am Dienstag, dem 4. April, in Leipzig. „Der russische Angriffskrieg war ein Wendepunkt für die gesamte Energiewirtschaft und damit auch für den VNG-Konzern.“

Gleichzeitig aber hat das Ende der russischen Gaslieferungen auch eine Entwicklung beschleunigt, die längst überfällig ist: das Ende des Erdgaszeitalters.

Zusätzlich hat es die Gasmärkte regelrecht umgekrempelt.

„Das Jahr 2022 hat bewährte Marktmechanismen verändert. Zugleich war das Marktgeschehen extrem volatil. Durch den Wegfall russischer Gasmengen stand die Versorgungssicherheit mit Gas wie noch nie im politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fokus. Dennoch ist es uns gelungen, russisches Erdgas – wenn auch zu hohen Kosten – schnell und verlässlich zu ersetzen“, so Heitmüller.

Extrem hohe Ersatzbeschaffungskosten

Mit großen Herausforderungen sah sich VNG insbesondere im Geschäftsbereich Handel & Vertrieb konfrontiert, um als systemrelevantes Unternehmen der Gaswirtschaft weiterhin die Versorgungssicherheit zu garantieren, ordnet Heitmüller ein: „Wettbewerbsfähige Marktpreise waren nicht mehr selbstverständlich. Wir mussten durch die Substitution der weggefallenen russischen Gasmengen extrem hohe Ersatzbeschaffungskosten stemmen, um unsere Kunden weiter zu den vertraglich vereinbarten, deutlich niedrigeren Preisen verlässlich beliefern zu können.“

Was dann den Umsatz des Leipziger Unternehmens in ungeahnte Höhen schießen ließ, am Ende aber auch ein Minus in der Bilanz bescherte.

VNG hat das Geschäftsjahr 2022 mit einem adjusted EBIT, also das um außerordentliche und um einmalige Effekte bereinigte EBIT, von minus 205 Millionen Euro abgeschlossen (2021: 225 Mio. Euro). Das operative Konzernergebnis liegt mit minus 337 Millionen Euro ebenfalls deutlich unter dem Vorjahr (2021: 141 Millionen Euro).

VNG erzielte im Geschäftsjahr 2022 einen abgerechneten Umsatz in Höhe von 36,2 Milliarden Euro (2021: 18,5 Milliarden Euro). Die Verdopplung des Umsatzes ist auf die außerordentlich hohen Marktpreise für Erdgas zurückzuführen.

Trotz der großen wirtschaftlichen Herausforderungen investierte VNG im vergangenen Jahr 128 Millionen Euro über alle Geschäftsbereiche hinweg. Dabei lag der Investitionsfokus auf der Infrastruktur und Grüngasprojekten, um die Strategie „VNG 2030+“ konsequent umzusetzen.

„Wir haben dieses schwierige Jahr vergleichsweise gut gemeistert. Die finanziellen Mehrbelastungen im Zuge der Ersatzbeschaffung zehrten massiv am Eigenkapital und hinterließen schlussendlich tiefe Spuren in unserer Bilanz. Nichtsdestotrotz ist es in einer gemeinsamen Kraftanstrengung gelungen, sich in drei Schritten kapitalseitig wieder solide aufzustellen“, resümiert Bodo Rodestock, Vorstandsmitglied für Finanzen und Personal der VNG AG.

„Die ersten beiden Bausteine waren die Vergleichsvereinbarung mit einem Tochterunternehmen der SEFE Securing Energy for Europe GmbH und die vergleichsweise Einigung mit der Bundesregierung im Zusammenhang mit den Ersatzbeschaffungskosten aus dem direkten Liefervertrag mit Gazprom. Der dritte und letztendlich entscheidende Schritt war die Eigenkapitalerhöhung durch unsere Aktionäre.

So konnten wir eine Verstaatlichung von VNG abwenden. Diese Stabilisierung ist auf die Unterstützung von Bund, unseren Aktionären sowie auf unsere exzellente operative Performance zurückzuführen. Zugleich möchte ich mich für den unermüdlichen Einsatz unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bedanken“.

Deutlicher Rückgang der verkauften Gasmengen

Besonders herausfordernd gestaltete sich das abgelaufene Geschäftsjahr für den Geschäftsbereich Handel und Vertrieb, in dem das ergebnistreibende Großkunden- und Handelsgeschäft der VNG verortet ist. Der Gasabsatz hat sich u. a. aufgrund preisbedingter Nachfragereduktion um 23 % auf rund 588 Milliarden Kilowattstunden (kWh) verringert (2021: rund 762 Milliarden kWh). Im Jahr 2022 dominierten die Ersatzbeschaffungskosten für ausgefallene russische Importmengen das Ergebnis, wodurch die VNG Handel & Vertrieb GmbH (VNG H&V) insgesamt mit einem negativen Ergebnisbeitrag in mittlerer dreistelliger Millionenhöhe zum Gesamtergebnis von VNG beitrug.

Die Zukunft gehört den grünen Gasen

„VNG versteht sich als aktiver Gestalter der Energiewende. Die Transformation der VNG hin zu grünen Gasen wurde noch stärker beschleunigt“, sagt Hans-Joachim Polk, Vorstandsmitglied für Infrastruktur und Technik der VNG AG.

„Moleküle werden auch über Erdgas hinaus mit Biogas und Wasserstoff für eine sichere und wettbewerbsfähige Energieversorgung von Wirtschaft und Privathaushalten notwendig bleiben. Im Biogasbereich gelang es uns, im letzten Jahr neben dem Ausbau des Anlagenportfolios durch eine strategische Kooperation zur Produktion und Distribution von Bio-LNG mit der EnviTec Biogas AG, den Grundstein für weiteres Wachstum legen.“

Und auch bei Wasserstoff entstehen die zukunftsfähigen Strukturen.

„Auch bei unseren klimafreundlichen Wasserstoffprojekten konnten wir an Dynamik gewinnen. Es ist wichtig, die vorhandene Infrastruktur wie LNG-Terminals, Fernleitungs- und Verteilnetze oder die Speicherinfrastruktur für den Hochlauf grüner Gase zu nutzen. Beispielsweise bereitet sich ONTRAS auf den Transport von Wasserstoff vor. Kernbestandteile mit ONTRAS-Beteiligung sind zum Beispiel das Wasserstoff-Startnetz in Ostdeutschland oder der European H2-Backbone“, so Polk weiter.

Und dabei wolle die VNG ihre starke Position im Gasmarkt nutzen, um die Energiewende zu beschleunigen.

„Dafür investieren wir in Ostdeutschland in Projekte mit erneuerbaren und dekarbonisierten Gasen“, so Polk. Neben dem Leuchtturmprojekt „Energiepark Bad Lauchstädt“ in Sachsen-Anhalt, in dem in einem Reallabor der Energiewende die gesamte Wertschöpfungskette von grünem Wasserstoff abgebildet werden soll, engagiert sich VNG in einem weiteren Konsortium für die Produktion von Wasserstoff aus Rohbiogas.

In einem durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderten Projekt ist die Errichtung einer entsprechenden Versuchsanlage auf dem Gelände einer Biogasanlage der BALANCE im sächsischen Gordemitz geplant, um grünen Wasserstoff für die lokale Anwendung im Transportsektor herzustellen.

„Neben dem beträchtlichen Potenzial zur Wasserstoffproduktion in Ostdeutschland müssen wir die Importinfrastruktur mitdenken: Nur durch neue internationale Kooperationen und zusätzliche Importe von Wasserstoff und dessen Derivaten können wir die Nachfrage für einen erfolgreichen Strukturwandel decken. Aus unserer Sicht kann die Hansestadt Rostock mit ihrem Überseehafen und einem bereits existierenden Ammoniak-Terminal als eine Drehscheibe für internationale Wasserstoffimporte nach Ostdeutschland fungieren“, erläutert Polk.

Gemeinsam mit dem norwegischen Energieunternehmen Equinor plant VNG, Wasserstoff CO₂-arm in Rostock herzustellen. Das Projekt soll zur lokalen und regionalen Wertschöpfung beitragen und 20 % des prognostizierten Wasserstoffbedarfs in Ostdeutschland in 2030 abdecken. Zudem arbeite VNG mit dem französischen Energieunternehmen Total Eren am Aufbau einer grünen Wasserstofflieferpartnerschaft mit Chile.

Ziel sei es, grünes Gas, d. h. erneuerbares bzw. dekarbonisiertes Gas, in Form von Ammoniak nach Rostock zu transportieren und als Wasserstoff in Ostdeutschland zu verteilen. Ebenso kooperiere VNG mit dem algerischen Energieunternehmen Sonatrach im Bereich langfristiger Wasserstoff- und Ammoniakprojekte, um perspektivisch den Import von grünem Wasserstoff aus Algerien nach Deutschland zu realisieren.

Abschied vom Erdgas ist absehbar

Mit Blick auf 2023 betont Heitmüller: „Auch wenn wir kurz- und mittelfristig noch Erdgas brauchen, gilt es, CO₂-neutral zu werden und das wird deutlich schneller kommen als erwartet. Wir sehen uns in der Verantwortung, eine zunehmend klimaneutrale Gesellschaft aktiv mitzugestalten und als Teil der Gaswirtschaft mit Molekülen einen Beitrag zu leisten, unser Energiesystem sicher zu transformieren. Insbesondere ein rascher Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft trägt zur Versorgungssicherheit bei.

Im Zuge richtiger politischer Weichenstellungen, wie etwa Rechtssicherheit bei Investitionen in die Wasserstoffinfrastruktur oder Technologieoffenheit auf dem Weg in die Dekarbonisierung, kann sich VNG mit ihren Kernkompetenzen erfolgreich in den Hochlauf grüner Gase einbringen: Handel & Vertrieb, Transport und Speicherung. Wichtige Bestandteile unseres gesamten Engagements werden auch künftig die Wertschöpfung in Ostdeutschland und die Transformation der regionalen Energieversorgung sein.“

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