Die Schwarz-Weiß-Fotografien von Bernd Heyden aus dem Prenzlauer Berg der 1960er und 1970er Jahre wirken heute vertraut - wie die Ikonen einer Zeit, die es mittlerweile in die Geschichtsbücher geschafft hat. Aus und vorbei. Weggepackt und ad acta gelegt. Wenn da nicht diese komischen Menschen wären.

Denn auch wenn es so in der Rückschau seltsam anmutet: Eine Stadt verändert sich viel deutlicher und sichtbarer als ihre Bewohner. All die Eisesser, Liebespärchen im Friedrichshain, Würstchenesser, spielenden Kinder könnte man auch heute so finden – genauso emsig beschäftigt mit den Dingen, die sie gerade tun, wie die Menschen in Heydens Bildern, die der Berliner Fotograf damals noch mit klassischer Filmkamera in seinem Kiez, im Prenzlauer Berg fotografiert hat. Neugierig, voller Liebe zum Detail.

Heyden gehört heute zu den bekanntesten Dokumentarfotografen der DDR. Daran hat die Publikationsarbeit des Lehmstedt-Verlages gehörigen Anteil. Fakt ist auch: Ohne den Zeitenumbruch von 1989 würde er zu den Vergessenen gehören, vielleicht noch als Geheimtipp unter Fotokennern gehandelt werden. Als er zwischen 1969 und 1980 loszog, das Leben auf den Straßen und in den Hinterhöfen seines unmittelbaren Lebensumfeldes zu fotografieren, stand ja bekanntlich die Zeit still. Nicht nur im Prenzlauer Berg, wo die Häuser so langsam vor sich hinbröckelten, sondern im ganzen Land. Viele Menschen hatten sich eingerichtet in ihrer Nische, versuchten mit dem auszukommen, was sie hatten.

Das Leben ging seinen Gang, manchmal sogar noch im Tempo von Pferdewagen oder im Trott der Weltkriegsversehrten, die man damals noch auf den Straßen sah. Heyden hat diese Welt festgehalten, weitab von den offiziellen Siegerbildern der Pressefotografie, quasi im Alleinauftrag, wie es so viele seiner Kollegen taten, die sich als Dokumentaristen der Zeit begriffen. Und die verinnerlicht hatten, dass das eigentliche Leben nicht bei Paraden, Demonstrationen und Festempfängen stattfindet, sondern in der Nachbarschaft der eigenen Wohnung. Nicht nur Künstler und Unangepasste wie Bernd Heyden hatten im Prenzlauer Berg ihre Heimat gefunden und eine Welt, in der sich leben ließ. Auch die alten Bewohner waren noch da. Denn im großen Bombardement Berlins im 2. Weltkrieg war der Prenzlauer Berg weitgehend heile geblieben.

In etlichen Hauswänden, die auf Heydens Bildern zu sehen sind, sind sogar noch die Einschusslöcher zu sehen. Doch viele der kleinen Läden sind verrammelt. Die Inhaber haben aufgegeben oder mussten aufgeben. Irgendwie wurden die Kneipen zum letzten lebendigen Mittelpunkt des Quartiers. Der Fatalismus in Heydens Bildern ist unübersehbar. Unübersehbar auch, wie er die Lust der Menschen am Improvisieren einfängt. Hätten sie nicht die typischen Kleider der 1960er Jahre an, man hielte sie für Zeitgenossen. Ein befremdliches Gefühl: Hat man dieselben Menschen nicht gerade erst bei McDonald’s oder in der Straßenbahn gesehen? Dieselben Kinder und stolzen Mütter?

Doch die Straßen wirken seltsam leer, oft genug stehen die liebevoll gepflegten Autos der Vorkriegszeit noch am Straßenrand neben dem blankgewienerten Wartburg und dem demolierten Trabant. Hätte sich Bernd Heyden nicht 1984 – gerade 44 Jahre alt – zu Tode getrunken, er würde heute seine Bilder von damals vorzeigen als Beleg einer tiefen, menschlichen Neugier, mit der er das Leben einfing im Osten Berlins – so wie es war. Nicht geschönt, nicht gestellt. Man spürt nur, wie der Fotograf sich in die Szene geschoben hat, manchmal Kontakt aufgenommen hat, manchmal einfach gewartet hat auf den Moment, in dem alles zusammenfließt – besonders geliebt hat er die (zumeist triste) Witterung mit den kleinen Inszenierungen auf der Straße. Spielende Kinder, Gäste im Café, alte Menschen, die in ihrer noch viel älter wirkenden Kostümierung gar nicht erst versuchen, so sportlich und jung auszusehen, wie es heute viele Alte machen.

Jedes Stück Sperrmüll auf den fast unbefahrenen Straßen wird zum Tobeplatz der Kinder. Und selbst die Arbeit des Plakatanklebers wird zum Ereignis. Denn auf diesen Straßen ist eindeutig nichts los, wenn man sie mit heutigen Straßen vergleicht. Aber gerade dadurch wird alles, was passiert, zum wahrnehmbaren Moment. Selbst der Polizist, der mit seiner Tochter auf dem Kindersitz des Fahrrads vorüberfährt. Sozusagen die Staatsmacht mal in der Freizeit – und trotzdem noch uniformiert.

Der große Bildband “Berlin – Ecke Prenzlauer” mit den Fotos des früh verstorbenen Berliner Fotografen erschien im Lehmstedt Verlag 2008. Mit diesem Band legt der Verlag noch einmal eine kleine Auswahl dieser Fotografien für schmale Regale vor. Der Titel ist entsprechend zwiespältig, denn die Stille des damaligen Prenzlauer Bergs kann man nur aus der Rückschau vielleicht als Idylle begreifen. Idyllisch wirkt keines von Heydens Bildern. Dafür ist das trostlose Grau überall präsent, quasi als allgegenwärtige Kulisse für Menschen, die sich um die festgefahrene Situation ringsum nicht weiter zu scheren scheinen. Sie leben ihr Leben mit der selben Erwartung und Emsigkeit, wie es ihre Kinder und Enkel heute noch tun. Verändert hat sich eindeutig die Kulisse. Das ist schon faszinierend zu sehen.

Und wäre nicht Konopke’s Imbiss mittendrin, man müsste die Stadt erst mal suchen, in der das vor Urzeiten so fotografiert wurde.

Bernd Heyden “Idylle in Grau, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2015, 9,95 Euro

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