Natürlich kann man sich streiten darüber, ob von Grün bewachsene Baumscheiben in Leipzig nun zur Hundetoilette verkommen oder doch eher jene Artenvielfalt wieder ermöglichen, die auch in einer Großstadt wie Leipzig ihren Platz finden muss. Aber wo sollen Grüninseln eigentlich sonst entstehen, wenn auch noch die letzte Brache zugebaut wird? Das Thema Baumscheibe jedenfalls wird jetzt gleich mal durch zwei Anträge im Stadtrat befeuert.

Und man kann sich gut vorstellen, dass sich beide Fraktionen hinterher erst mal hinsetzen und ausbaldowern, welcher Antrag nun der bessere ist und gemeinsam unterstützt wird, denn wahrscheinlich hat sich die Antragsstellung mal wieder überschnitten. Wohl coronabedingt. Man trifft sich ja nicht mehr so oft auf den Fluren des Neuen Rathauses.

Die Grünen jedenfalls beantragen:

„Die Stadtverwaltung verzichtet künftig bei der Pflege von Baumscheiben auf Maßnahmen der Entfernung von nicht baumschädigenden Wildkräutern.

Die Stadtverwaltung fördert aktiv die nicht baumschädigende Begrünung von Baumscheiben.“

Und die Linksfraktion:

„Die Vegetation in den Baumscheiben wird unabhängig davon, ob es sich dabei um Spontanvegetation, Anpflanzungen der Leipziger Mischung oder sonstige Anpflanzungen handelt, nicht mehr entfernt.

Insektenhotels, Begrenzungshölzer und sonstige biodiversitätsfördernde Gegenstände werden nur im Fall einer Verkehrsgefährdung entfernt.

Die Vegetation in den Baumscheiben wird nur dann einer Pflege unterzogen, wenn die Verkehrssicherheit gefährdet ist. Vor der Entfernung der Vegetation oder einer kurzen Mahd sind Alternativen wie das Kürzen der Vegetation auf eine unbedenkliche Höhe zu bevorzugen.“

Wenn das nicht beinah dasselbe Ansinnen ist …

Wobei die Linksfraktion eine ausführlichere Erläuterung mitgeliefert hat, denn mit Michael Neuhaus hat sie ja auch einen Stadtrat in ihren Reihen, der sich wissenschaftlich mit dem Thema Artenvielfalt beschäftigt hat.

„Baumscheiben können als kleine ökologische Vorgärten im Straßenraum dienen. Dies haben viele Bürger/-innen der Stadt Leipzig erkannt. Sie bepflanzen und pflegen das Grün, das die Straßenbäume umgibt. Doch immer wieder werden diese Bepflanzungen von den von der Stadtreinigung beauftragten Fremdfirmen entfernt. Das Engagement der Bürger/-innen wird damit zunichtegemacht und die Ökologie ohne jede Notwendigkeit beeinträchtigt“, heißt es in der Begründung des Linke-Antrags.

„Die Stadtverwaltung beruft sich dabei auf § 51 des Sächsische Straßengesetzes, welcher die Straßenreinigung regelt, sowie § 2, in dem die öffentliche Straße definiert wird. Ziel der Straßenreinigung ist die Herstellung der Verkehrssicherheit. Eine Beseitigung der Vegetation ist hier aber nicht aufgeführt.“

Stattdessen werden die Baumscheiben regelmäßig mit roten Pellets aufgefüllt, die dann von den nachfolgenden Kehrmaschinen über den ganzen Bürgersteig verteilt und nach und nach wieder weggeputzt werden. Wirklich Sinn ist in der sturen Reinigung der Baumscheiben nicht zu erkennen.

„Außerdem verweist die Stadt auf die Leipziger Straßenreinigungssatzung. Diese besagt, dass die Straßenreinigungspflicht auch für die Baumscheiben gilt. Sie besagt aber nicht, dass die Baumscheiben vegetationsfrei zu halten sind“, kritisiert die Fraktion Die Linke.

„Ohnehin finden sich in Leipzig längst begrünte Baumscheiben. Zulässig sind aktuell Bepflanzungen mit der sogenannten Leipziger Mischung. Jedoch fällt es vielen schwer, die ,Leipziger Mischung‘ von der Spontanvegetation zu unterscheiden, wodurch es immer wieder zu erwähnten Beseitigungen kommt. – Warum nun allerdings eine komplett bereinigte, karge Grünscheibe besser ist als eine Baumscheibe mit ,Spontanvegetation‘, bleibt offen.

Und auch der ökologische Unterschied zwischen einem wildwachsenden Klatschmohn und einem Klatschmohn aus der Leipziger Mischung ist den Menschen nur schwer zu erklären. Insgesamt gilt: Jede Vegetation auf den Baumscheiben ist besser als blanke Erde. Gut ist außerdem jede Vegetation, die die biologische Vielfalt fördert. Dies kann die Spontanvegetation mindestens genauso gut wie die Leipziger Mischung.“

Der Fokus liegt hier also vor allem auf den durchaus fleißigen Anwohner/-innen, die die Baumscheiben vor ihrem Haus versuchen, in ein kleines buntes Biotop zu verwandeln.

Die Grünen gehen dafür mehr auf Boden- und Artenschutz ein: „Ein Baumbeet dient als schützende Pflanzdecke, welches den Boden vor Erosion und Austrocknung schützt. Wildkräuter in den Baumscheiben stehen nur bei Jungbäumen mit diesen in Konkurrenz, sodass bei Altbäumen bzw. Bäumen, die älter als 3 Jahre am Standort stehen, das Argument nicht mehr durchgreift.

Auch Verkehrssicherungspflichten abgeleitet aus dem Straßengesetz greifen nicht durch. Denn weder im Sächsischen Straßengesetz noch in der Satzung der Straßenreinigung ist das Entfernen von Wildkräutern und Baumbeeten aufgeführt! So kann sich die Pflege von Baumscheiben maximal auf den Rückschnitt von Gewächsen beschränken, die eine Wuchshöhe von mehr als 70 Zentimetern aufweisen, dornig oder rankend sind.“

Man merkt: Da muss es einen großen Erklärversuch der Verwaltung im zuständigen Umweltausschuss am 11. Mai gegeben haben, bei dem Grüne wie Linke hinterher nur das Gefühl hatten, dass sich hier ein paar unwillige Verwaltungsmitarbeiter wieder hinter lauter Paragraphen verstecken, die mit der Sache überhaupt nichts zu tun haben.

Und die Grünen gehen auch noch auf die Dimension des Ganzen ein, die man gar nicht sieht, wenn man nur einzelne Baumscheiben betrachtet: „Bei 60.000 Straßenbäumen existieren 180.000 Quadratmeter Baumscheiben, die für Wildkräuter nutzbar sind. Gerade in Zeiten massiven Artensterbens gilt es auch dieses Potenzial zu nutzen und auch damit den Boden vor Austrocknung zu schützen.“

Der NABU hatte noch weitere Punkte vorgebracht, die die Rolle von begrünten Baumscheiben in den Leipziger Straßen hervorheben: „Sie filtern unsere Luft und binden Feinstaub, sie kommen mit sehr wenig Wasser und Nährstoffen aus, sie kühlen auf natürliche Weise und völlig kostenlos, wenn man sie denn lassen würde. Heimische Pflanzenarten siedeln sich sehr schnell von allein an, damit kann ohne Zutun oder Kosten ein Beitrag zur Biodiversitätsförderung und auch zum Klimaschutz geleistet werden.“

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