Jahrzehntelang galt es als selbstverständlich, dass die Demokratie in Deutschland auf sicheren Fundamenten steht. Dass es zwar extremistische Parteien geben kann, die aber, wenn es um Regierungsverantwortung geht, keine Rolle spielen. Doch das hat sich in den letzten Jahren geändert. In immer mehr Ländern greifen rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien zur Macht und gehen, wo sie können, auch schon systematisch daran, die demokratischen Institutionen auszuhöhlen und zu zerstören. Und dazu nutzen sie alle Freiheiten, die die Demokratie bietet.

Der Journalist Richard C. Schneider (ARD, Spiegel, Neue Zürcher Zeitung) und der Professor für Sicherheitsstudien am King’s College London Peter N. Neumann haben das Phänomen einmal umfassender in den Blick genommen. Angefangen mit der Frage, wie eigentlich die Leute, die unsere Demokratie mit allen Mitteln angreifen, eigentlich auf die Demokratie und ihr Institutionen schauen.

Schon das ein lehrreiches Kapitel, denn es zeigt, wie die Wirklichkeit in der Propaganda dieser Parteien verdreht wird, wie nicht nur alle demokratischen Parteien von den Propagandaerzählungen der rechtsextremen Parteien zu „Altparteien“ erklärt werden, als wenn sie aus dem finsteren Mittelalter stammten.

Während sich die aggressiven Parteien des heutigen Populismus als einzige wahre Opposition und „Stimme des Volkes“ verkaufen. Als „einzig wahre Stimme des Volkes“. Und das zieht bei viele Wählern, die sich über die Frage, warum eine Demokratie so viele Kontrollinstanzen hat, noch nie Gedanken gemacht haben.

Sie denken auch nicht darüber nach, wer hier eigentlich „das Volk“ ist, wie es sich eine einzige aggressive Partei anmaßen kann, für das ganze Volk zu sprechen. Aber auch diese Konstellation wirkt, weil sie so simple Bilder erzeugt vom „wahren Volk“ hier unten und den „abgehobenen Eliten“ da oben, die sich – auch das ja eine Dauerbehauptung aus den rechten Kanälen – am Staat bereichern.

Der schleichende Griff zur Macht

Neumann und Schneider beschreiben die wichtigsten Instrumente, mit denen rechtsextremistische und populistische Parteien ihre „Wahrheit“ in die Köpfe der Wähler hämmern, wie sie davon profitieren, dass sie Minderheiten zu Feindbildern aufblasen und vor allem die Kanäle der „Social Media“ nutzen, um ihre oft genug hanebüchenen Verschwörungstheorien unters leichtgläubige Volk zu bringen.

Diese Plattformen sind nicht nur disruptiv, was die Entmachtung klassischer Medien betrifft. Sie zerstören auch systematisch den demokratischen Diskurs, ersetzen ihn durch Hass, Lüge und Geschrei. Was den Rechtsradikalen nur zu leicht in die Hände spielt.

Der Schulterschluss der großen Plattformbetreiber mit einem Extremisten wie Trump ist nur zu folgerichtig.

Das Erstaunliche ist: Die Rezepte ähneln sich. Die rechtsextremistischen Parteien nutzen überall ganz ähnliche Strategien. Diese Strategien ähneln teilweise den Strategien, mit denen einst der italienische und der deutsche Faschismus an die Macht kamen. Teilweise sind sie „modernisiert“, setzen die Akteure dieser Bewegungen auf den scheinbar friedlichen Weg der Machtübernahme und nutzen dazu alle Möglichkeiten, welche die Demokratie bietet.

Sodass wir etwas erleben, was sich doch wieder von dem unterscheidet, was den Faschismus der 1920er und 1930er Jahr ausmachte: Der Faschismus von heute greift nicht mit einem großen Knall zur Macht, sondern setzt sich schleichend fest und zerstört überall dort, wo er die Möglichkeiten dazu bekommt, die demokratischen Institutionen von innen.

Genau so, wie es derzeit Donald Trump in den USA macht, wie es Giorgia Meloni in Italien gerade – fast unbeobachtet – versucht, wie es in Polen eine Zeit lang die PiS getan hat und wohl auch wieder tun wird, wenn sie wieder an die Macht kommt. Und so, wie es Viktor Orbán in Ungarn getan hat, dem Land in Europa, das auf dem Weg in die Autokratie schon am weitesten gediehen ist – Vorbild für fast alle rechtsradikalen Bewegungen in Europa.

Sechs Länder im Fokus

Und damit man sich ein Bild davon machen kann, wie diese Prozesse vonstattengehen und ganz konkret ablaufen, widmen die beiden Autoren sechs Ländern jeweils ein besonderes Kapitel – von Ungarn über Italien, die Niederlande bis zu Frankreich, den USA und Deutschland. Der Überblick macht deutlicher, wie systematisch die Feinde der Demokratie vorgehen und wie sie sich – durch die Aushöhlung demokratischer Institutionen – nach und nach die Macht sichern, die es dann fast unmöglich macht, dass es jemals wieder zu einem Machtwechsel kommt.

Wie die Republikaner unter Donald Trump vorgehen, hat ja Annika Brokschmidt schon 2024 in ihrem Buch „Die Brandstifter“ geschildert. Es hat nur nichts genützt. Dazu lesen ausgerechnet die Menschen, die die Autokraten wählen, zu wenige Bücher. Und schon gar keine Bücher, die die wilden Weltbilder der radikalen Parteien hinterfragen. Am Ende kommt dann freilich stets das eisige Erwachen.

Denn dass die Wähler über simple und schlagkräftige Bilder eingefangen werden, wird deutlich, wenn man über den Aufstieg von Meloni, Wilders, Trump und Le Pen liest. Sie profitieren davon, dass Demokratien auch ihre Krisen haben. Und es ist auch kein Zufall, dass der Aufstieg der rechtsextremen Parteien mit den zunehmenden Krisen des Westens begann. Krisen, für die man zumindest auf der rechten Seite des Spektrums ganz schnell Feinde und Schuldige gefunden hat.

Denn im Feindbilder-Malen ist man dort geübt. Schuld sind immer die Ausländer, die Linken, die Juden … Logisch, dass es auch ein ganzes Kapitel zum Antisemitismus gibt, der bis heute verkappt in den Verschwörungserzählungen der Rechten steckt, auch wenn sie Kreide gefressen haben und öffentlich behaupten, sie hätten dem Antisemitismus abgeschworen.

Nachzügler Deutschland

Zuletzt rückt natürlich auch Deutschland ins Bild, der „Nachzügler“, weil sich mit der AfD hier tatsächlich erst recht spät eine erfolgreiche rechtspopulistische Partei etablieren konnte, als ihre „Schwesterparteien“ in anderen Ländern schon längst erfolgreich den Parlamenten saßen und die demokratischen Institutionen beschossen. Waren es wirklich die Erinnerungen der Deutschen an ihre eigene Geschichte, die so lange keine rechtspopulistische Partei aufkommen ließ?

Eine Frage, sie so vielleicht falsch gestellt ist, denn schon Thilo Sarrazin mit seinem Machwerk „Deutschland schafft sich ab“ zeigte ja, wie bereit Millionen Deutsche waren, jetzt wieder ihren ganzen Frust an Minderheiten auszulassen und billige Erklärungen dafür zu akzeptieren, dass im Land vieles nicht mehr so lief, wie gewünscht.

Das war noch mehr als zwei Jahre vor Gründung der AfD, die auch nicht als rechtsextremistische Partei startete, sich aber ab 2015, als Deutschland fast eine Million Flüchtlinge aus Syrien aufnahm, zusehends radikalisierte. Beziehungsweise radikalisiert wurde von Leuten wie Björn Höcke, die endlich die Chance sahen, mit einem radikalen Programm in die Mitte der Gesellschaft vorzustoßen.

Dass es ausgerechnet der Osten war, wo die AfD schnell und auffallend erstarkte, hat natürlich mit einem Gefühl zu tun, von dem populistische Parteien überall im Westen profitieren – dem Gefühl abgehängt zu sein, benachteiligt und nicht mehr gehört „von denen da oben“. Hier fiel das Bild von den „abgehobenen Eliten“ auf fruchtbaren Boden.

Und man bekommt zumindest eine Ahnung, warum die Rechtspopulisten ausgerechnet jetzt überall Erfolge feiern und die Legitimität der demokratischen Institutionen mit aller Macht infrage stellen. Denn die Ungerechtigkeiten sind ja keine Einbildung. Ganze Bevölkerungsschichten fühlen sich abgehängt, mit Billigjobs abgespeist. Die neoliberale Raffgier-Politik der letzten 30 Jahre hat überall Folgen gezeitigt, die die Akzeptanz der Demokratie untergraben haben.

Das benennen die beiden Autoren zwar nicht. Aber es klingt an, wenn man nach den Gründen sucht, warum so viele Menschen bereit sind, autoritäre Parteien zu wählen und damit alles noch viel schlimmer zu machen und ihre eigenen Rechte, die ein demokratischer Staat gewährleistet, einfach aufgeben. Das wäre dann vielleicht Thema für ein weiteres Buch, in dem der Blick sich dann auch einmal auf die Wähler richtet und die Gemengelage, die sie für radikalisierte Politik empfänglich macht.

Erst recht, wenn etablierte Parteien dann auch noch die Behauptungen und „Lösungsansätze“ der rechtsextremen Parteien übernehmen. So wie beim Thema Migration, wo reihenweise konservative Parteien Sprachgebrauch und Forderungen der Rechtsextremen übernehmen und damit das Bild verstärken, das den Rechten so in den Kram passt. Auch wenn das alles mit der Realität nur wenig zu tun hat.

Wann wird aus Rechtspopulismus Faschismus?

Logisch, dass Neumann und Schneider am Ende auch konstatieren, dass den etablierten Parteien fast durch die Bank eine funktionierende Zukunftserzählung fehlt. Fast scheint man dort nur noch damit beschäftigt zu sein, ständig auf die Attacken und Märchen der Rechtsradikalen zu reagieren und damit irgendwie noch Wähler einzufangen. Obwohl ganz offensichtlich ist, dass Millionen Wähler eigentlich etwas völlig anderes erwarten: Dass ihre bevorzugten Parteien wieder Profil zeigen und echte Zukunftsideen auf den Tisch packen.

Immer wieder nur den rechten Krawallos hinterherzuhecheln, ist ganz bestimmt kein attraktives Politikangebot. Es ist eher der beste Weg, das Sterben der Demokratie zu beschleunigen. Einer Demokratie, die nun einmal davon lebt, dass unterschiedliche Politikangebote miteinander konkurrieren. Wenn diese Profile nicht mehr erkennbar sind, haben Rechtspopulisten leichtes Spiel. „Wo sie es an die Macht geschafft haben, verfolgen Rechtspopulisten stets einen ähnlichen Plan“, schreiben Neumann und Schneider.

„Sie sprechen zwar gerne von direkter Demokratie und mehr Bürgerbeteiligung. Vor allen geht es ihnen darum, die Exekutive zu stärken und ‚liberale Institutionen‘ , insbesondere die Justiz, das Parlament, die Verwaltung und die Medien, in manchen Fällen auch Sicherheitsbehörden, die Wissenschaft und Teile der Zivilgesellschaft, zu neutralisieren.“

So werde der „Wille des Volkes“ gestärkt, behaupten sie, obwohl es ihnen nur um ihre eigene Macht geht, die Errichtung autoritärer Strukturen, die niemand mehr hinterfragen oder ausbremsen kann. Und so steht genau hier die Frage, die die beiden Autoren am Ende dezidiert stellen: „Ist der Ansatz der Rechtspopulisten lediglich polarisierend, oder delegitimieren sie das ganze System?“

Sind sie also nur eine – sehr aggressive – Stimme im demokratischen Pluralismus, die wir aushalten müssen (Stichwort: Meinungsfreiheit), oder gehen sie, wenn sie den Zugriff auf die Macht bekommen, tatsächlich systematisch daran, die demokratischen Institutionen auszuhöhlen und auch das Wahlrecht so zu verändern, dass sie praktisch nicht mehr abgewählt werden können?

Und die im Buch untersuchten Beispiele zeigen, wie systematisch diese rechtspopulistischen Parteien längst arbeiten. Und es wundert dabei auch nicht, dass ihre Vertreter fast alle auch Autokraten wie Wladimir Putin in Russland bewundern.

Was tun?

Und natürlich fragen sich beide Autoren am Ende, wie man dem entgegenarbeiten kann. Denn: „Anders als die jeweiligen Parteien haben ihre Wähler mehrheitlich keine starre, völkisch geprägte Vorstellung von nationaler Identität, und viele akzeptieren auch die Notwendigkeit von Migration.“

Und der nächste Satz gehört eigentlich ins Arbeitsheft jedes demokratischen Politikers: „Es ist für demokratische Parteien deshalb weder notwendig noch ratsam, die extreme Rhetorik – oder gar die Forderungen – der Rechtspopulisten zu übernehmen.“

Wobei beide Autoren auch nicht negieren, dass es reale Probleme, ein Gefühl von Kontrollverlust, Verteilungskonflikte und Identitätsfragen sind, die die Rechtspopulisten bislang erfolgreich für sich selbst ummünzen konnten, weil die etablierten Parteien diese entweder negiert haben oder keine zukunftsfähigen Lösungen dafür vorgeschlagen haben.

Auch hier muss gearbeitet werden, stellen Neumann und Schneider fest. Es brauche „positive Zukunftserzählungen, die besser und attraktiver sind als die rechtspopulistische Dystopie eines ‚Zurück in die Zukunft‘.“ Dazu müssten liberale Demokraten auch ihre geliebten Filterblasen verlassen. „Das Sterben der Demokratie ist weder Zufall noch unabwendbares Schicksal“, stellen die beiden am Ende fest.

Aber einfache und schnelle Lösungen gibt es ebenso wenig. Der Kampf um die Bewahrung der Demokratie fordert Kraft und Ausdauer. Und einen Blick für die tatsächlichen Sorgen und Befindlichkeiten der Wähler, die in allen untersuchten Ländern berechtigte Ängste haben, durchs Netz zu fallen und für all ihre Anstrengungen nicht belohnt zu werden.

Peter R. Neumann, Richard C. Schneider „Das Sterben der Demokratie“ Rowohlt Berlin, Berlin 2025, 24 Euro.

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“Der Plan der Rechtspopulisten in Europa und den USA” + “unsere Demokratie” (wer ist eigentlich dieser “unsere”) – liest sich wie eine dieser Verschwörungserzählungen 😉 Dem Prof mit CDU Parteibuch kommt dabei gar nicht in den Sinn, dass maßgeblich CDU / CSU (auch durch die EU) die Demokratie schleichend abbaut, aber das ist wohl systemimmanent. CDU/SPD/FDP/KPD (bzw. deren Vorläufer) stammen aus dem Kaiserreich – für die Gen Z ist das wohl das Mittelalter. Die Olivgrünen noch dazu und schon sind wir bei “etablierte Parteien”. Natürlich dürfen auch die “Gefühle der Ostdeutschen” nicht fehlen, die Zahlen (z.B. Eigentumsverhältnisse) sind gefühlt jedoch eindeutig. Die stolze demokratische Opposition konnte man jüngst u.a. bei der Zeitenwende (Militarisierung + Sozialabbau) oder der Kanzlerwahl schön beobachten. Warum haben die selbsternannten Demokraten nicht “Kontrollverlust, Verteilungskonflikte und Identitätsfragen” zufriedenstellend bearbeitet? Zurück in die Blase mit einer Welt von “gedankenlosen Wählern”. Cheers

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