Im Endeffekt war es wohl die vorläufig klarste Entscheidung, die das Tiefbauamt an der Inneren Jahnallee im Sinne der Straßenverkehrsordnung an einem Unfallschwerpunkt treffen konnte. Denn über den ganzen bisherigen Debatten um Radwege, Händlerinteressen, Anwohnerparken bis hin zur Luftreinheit und Lärmbelastung wurde der Ausgangspunkt der fast zweijährigen Debatte immer mehr in den Hintergrund gedrängt. Am 1. Mai 2017, kurz nach 10 Uhr am Morgen geriet eine 23-jährige Radfahrerin stadtauswärts unter eine Straßenbahn und überlebte nur sehr knapp.

Schuld daran; vor allem die parkenden Autos, wegen denen sie versucht hatte auf die mittlere Fahrbahn zu wechseln. Und sie war davor und danach nicht allein mit dem Problem. Vollkommen richtig stellt die Verwaltung in ihrer Entscheidung, nun die Jahnallee vierspurig ohne Parkplätze zu gestalten, fest, dass „in den Jahren 2015-2017 von den 20 Unfällen mit Radfahrerbeteiligung und Personenschäden 11 Unfälle mit hoher Wahrscheinlichkeit vermeidbar gewesen wären, wenn der ruhende Verkehr dort nicht zugelassen gewesen wäre.“

Auch danach krachte es weiter regelmäßig und es wurden Menschen ärztlich versorgt oder gleich in die nächstliegende Klinik gefahren.

Immer war die unübersichtliche Lage schuld, immer ging es um fehlende Abstände im fließenden Straßenverkehr. Mal traf es eine Mopedfahrerin, mal eine Frau, die sich schreiend vor Schmerz im Krankenwagen wiederfand, dann wurde ein älterer Mann beim Zurücksetzen eines Lkw getötet.

Auch, weil die parkenden Autos die Sicht und den Platz nahmen, aber dennoch immer wenigstens eine Ampel mehr für die Fußgänger fehlt und der schiere Verkehrsdruck in der Hauptstraße eines eng bewohnten Viertels seit Jahren steigt.

Und dieser Zustand wird nun in einem ersten Schritt behoben, wenn die Straßenränder freigemacht und der Verkehr auf die maximal zwei Spuren pro Fahrtrichtung gelenkt werden. Auch ohne einen Radweg bereits ein erster Schritt für mehr Sicherheit für Radfahrer auf der Inneren Jahnallee. Oder besser ein Schrittchen.

Denn die wirklichen Debatten, wie es im Rahmen des Konzeptes „Erweiterte Innenstadt“, zu der auch die Innere Jahnallee gehört, weitergehen soll, haben gerade erst begonnen. Und genau um die wird es gehen.

So merkte die Leipziger Verwaltung bereits am 12. September 2018 aufgrund der bevorstehenden Entscheidungen an: „Es ist geplant, mit der Erstellung eines Verkehrskonzeptes, das die Belange der Radfahrer in der Relation Lindenau – Innenstadt berücksichtigt, 2019 zu beginnen. Eine Umsetzung dieses Konzepts mit baulichen und verkehrsorganisatorischen Maßnahmen wäre ab 2021 möglich.“

Es wird also weitergehen mit der Frage, wie man öffentlichen Verkehrsraum für Auto, Rad, Bahn und Fußwege hier an der Jahnallee, aber auch an der (noch engeren) Georg-Schwarz-Straße oder an der Harkortstraße gestalten möchte. Und welche Belange dabei welches reale Gewicht haben. Gleichzeitig hat mit dem 365-Euro-Jahres-Ticket eine deutlich klarere Debatte um die Stärkung des Leipziger ÖPNV begonnen, denn auch da kann es ebenso wenig einfach weiterlaufen, wie beim massiv überbordenden privaten Autoverkehr.

Was man bis hier lernen kann …

… ist zuerst wohl, dass alle Beteiligten mehr darüber nachdenken müssen, was sie so fordern, wenn es um den gemeinsamen öffentlichen Raum geht. Und dabei auch die Fragen des Gegenübers mit einbeziehen. Beim Thema Verkehr müsste das eigentlich leicht sein: mal ist man Autofahrer, mal Bahnnutzer, dann wieder mit dem Rad unterwegs oder auf dem Sprung zum Bäcker. Alles zusammen spielt eine Rolle, wenn man die beste Lösung in jeder der wechselnden Lebenslagen will.

Denn derzeit haben alle Seiten an der Inneren Jahnallee verloren. Nur nicht die StVO, nach deren Regeln die Stadtverwaltung den Minimalkonsens bilden musste; ab dem 8. März 2019 wird es wieder möglich sein, auch in der Inneren Jahnallee mit dem vorgeschriebenen Mindestabstand von 1,5 Metern zu überholen – mit 30 Kmh. Weshalb letztlich die Radfahrer das Tempo für alle vorgeben werden und gleichzeitig zu den Gejagten werden könnten.

Und das, obwohl der Viertageversuch im Sommer 2018 gezeigt hat: es geht schon mal besser, wenn man die Radfahrenden auf einer eigenen Spur, einem eigenen Radweg rollen lässt.

Dennoch bekommen die Radfahrenden vorerst keine eigentlich machbare Lösung (also markierter Radweg, keine Protected Bikelane) mit einem Radweg in jede Richtung. Auch und vor allem, weil sich die Gewerbetreibenden der Straße partout nicht über alternative Liefer- und Anfahrtsmöglichkeiten unterhalten wollten. Denn es ist nicht richtig, dass eine Anlieferung aller Ladengeschäfte generell nur frontseitig möglich ist. So stehen Innenhofzufahrten zur Verfügung, teils sind Lösungen über Nebenstraßen möglich. Und ja, manchmal werden die Wege, über die man Bierkästen und andere Waren tragen muss, dabei tatsächlich etwas länger.

Doch da die „Protected Bikelane“ nicht alternativlos war, hätte die Chance bestanden, zudem über (leichte) Anlieferungen via Fußweg auch über den Frontbereich zu reden. Da man das in Runde eins nicht wollte, gehen die Debatten über eine bessere Lösung nun wohl in Runde zwei.

Denn Unternehmertum bedeutet auch, täglich über Neues nachzudenken

Das Kundenparkplatzargument der Gewerbetreibenden hingegen ist nun gleich mehrfach makaber und nicht aufrechtzuerhalten. Als die Gewerbetreibenden dachten, sich mit Arbeitsplätzen gegen die StVO stellen zu wollen, haben sie die Rechnung ohne eine 23-jährige Schwerverletzte vom 1. Mai 2017 und alle anderen gemacht, die bereits auf der Jahnallee verunglückt sind. Und auch ohne die Radfahrenden als Kunden, die nun ohne Radweg weniger entspannt und abgelenkt durch den Verkehr um sich auf der Jahnallee ihre Geschäfte passieren werden.

Ich ahne ja längst folgendes: keines der Ladengeschäfte, die mit Stand heute auf der Jahnallee existieren, werden wegen einer Parkraumfrage pleitegehen. Ihr Angebot wird angesichts der Kundenströme schon an normalen Tagen aus dem Viertel heraus und dem Publikum an RB Leipzig-Spieltagen allein entscheiden, ob sie die richtige Idee, das richtige Angebot haben.

Das Parkplatzargument ist demnach letztlich auch eine Maximalforderung derjenigen Unternehmer, die übersehen, wie viele Menschen zu Fuß aus dem eigenen Viertel, per Bahn und Rad in ihre Läden kommen. Zahlen, wie viele Kunden angesichts der vorüberlaufenden Fußballfans und Dauergästen aus den umliegenden Häusern bei ihnen wirklich mit dem Auto anhalten und einkaufen, haben sie nie geliefert. Und so mancher von ihnen parkt (wohl noch) bis zum 8. März Seit an Seit mit Anwohnern vor dem eigenen Laden und nennt es „Kundenparkplatz“.

Eine Forderung nach teils selbstgenutztem Parkraum, die letztlich bedeutete: Der Tote auf der Straße interessiert mich nicht, solang nur genug Lebende in meinem Laden stehen.

Innere Jahnallee wird vierspurig, Parkplätze verschwinden: Ein Kompromiss ist, wenn es allen wehtut

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Im Mai 2017  – Am Meer: Ein Versuchsaufbau an der Jahnallee + Bildergalerie

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