Versuchter Mord, gefährliche Körperverletzung, Nachstellung und Weiteres – diese schwerwiegenden Vorwürfe treffen einen Rentner, der sich seit Donnerstag vor dem Landgericht verantworten muss. Er soll im Sommer 2021 eine jüngere Nachbarin in Schleußig vor ihrer Wohnung gezielt mit einem Küchenmesser attackiert haben, weil sie ihn kurz zuvor bei den Behörden angezeigt hatte. Die Frau konnte sich retten und überlebte den Angriff.

Mordversuch aus Rache?

Seinen 66. Geburtstag in einigen Wochen wird Manfred F. wohl hinter Gittern verbringen – und wahrscheinlich auch noch viele weitere. Die Vorwürfe gegen den 65-Jährigen klingen geradezu gruslig: Nach Überzeugung der Ermittlungsbehörden lauerte der Rentner seiner heute 42-jährigen Nachbarin Kathleen B. (Name geändert) am 28. Juli 2021 in einem Mehrfamilienhaus in der Könneritzstraße auf. Als Kathleen B. nichtsahnend ihre Wohnungstür von außen öffnete, soll der Angeklagte mit der 14 cm langen Klinge eines Küchenmessers auf den Oberkörper der Frau eingestochen haben.Auch habe er ihr den Weg nach unten versperrt – doch die Angegriffene konnte sich durch Flucht in ein oberes Stockwerk retten, wohin ihr Manfred F. wegen seiner schlechten Konstitution nicht folgen konnte, so die Anklageschrift.

Das Motiv der Tat: Manfred F. habe die Nachbarin bestrafen wollen, weil sie gegen ihn eine Verfügung nach dem Gewaltschutzgesetz erwirkt und angeblich schlecht über ihn geredet habe, sagte Oberstaatsanwalt Ulrich Jakob. Aus „niederen Beweggründen“ habe er Kathleen B. töten wollen. Diese musste nach dem Angriff für mehr als eine Woche in die Klinik. Körperlich und mental leidet sie bis heute unter den Folgen des Verbrechens.

Opfer hatte Verfügung nach Gewaltschutzgesetz erwirkt

Schon vorab habe es Probleme gegeben – so soll Manfred F. bereits Wochen vor der Gewalttat wiederholt am Türschloss der Nachbarin manipuliert und damit einen Schaden von über 200 Euro angerichtet haben. Zudem klebten mehrfach Zettel an ihrer Wohnungstür, wonach sie aufhören solle, ihn im Umfeld schlechtzumachen. Mit seiner Aussage, er habe schon einmal einen Menschen getötet, habe Manfred F. der Frau Angst eingejagt.

Am 29. Juni 2021 war sie schließlich zur Polizei gegangen und hatte eine einstweilige Verfügung nach dem Gewaltschutzgesetz erwirkt, die es Manfred F. untersagte, sich der Nachbarin anzunähern.

Angeklagter: „Es tut mir aufrichtig leid”

Dabei pflegten beide einst ein freundliches Verhältnis zueinander. Kathleen B., eine Krankenschwester, die erst im Frühjahr 2021 die Wohnung in der Könneritzstraße bezogen hatte, leistete dem Angeklagten demnach immer wieder kleinere Hilfestellungen im Alltag.

Doch irgendwann kippte das Vertrauen offenbar. Ihr Mandant habe zunehmend den Eindruck gehabt, die Nachbarin würde negativ über ihn reden, er sei sogar auf der Straße angesprochen worden, sagte Verteidigerin Henrike Wittner in einer verlesenen Erklärung des Angeklagten.

Der Fall wird vor der 16. Strafkammer unter dem Vorsitzenden Richter Hans Weiß (M.) verhandelt. Foto: Lucas Böhme
Der Fall wird vor der 16. Strafkammer unter dem Vorsitzenden Richter Hans Weiß (M.) verhandelt. Foto: Lucas Böhme

Am Tattag habe Manfred F., der seit seiner Jugend alkoholabhängig ist, bereits früh getrunken. Im Hausflur sei er Kathleen B. begegnet, von ihr angegangen und beschimpft worden. Daraufhin habe er auf sie eingestochen – das Messer will er nur bei sich gehabt haben, weil er damit zuvor an Kabelbindern gearbeitet hatte. Die Manipulationen am Türschloss stritt Manfred F. in der von seiner Anwältin abgegebenen Erklärung ab. Und stammelte danach: „Ich habe das wirklich nicht gewollt. Es tut mir aufrichtig leid.“

Angst und Suizidversuch

Zu seinen persönlichen Verhältnissen gab der ehemalige Gießereiarbeiter an, seit der Jugend sehr viel Alkohol zu konsumieren. Nach dem Tod seiner letzten Ehefrau, die er über elf Jahre lang pflegte, lebte der Vater dreier Töchter allein in der Schleußiger Wohnung – dort habe er jedoch immer wieder Angst verspürt, sich sogar Axt und Messer zurechtgelegt.

Bereits im Dezember 2020 habe er einen Suizidversuch unternehmen wollen – doch es war die später angegriffene Kathleen B., die einschritt und den Rettungsdienst alarmierte. Danach soll Manfred F. vor den Sanitätern mit einem Messer herumgefuchtelt haben, auch gegenüber seiner Betreuerin habe er geäußert, er würde wieder jemanden umbringen, wenn er die Gelegenheit habe.

1999 wegen Totschlags verurteilt

Und das hat Manfred F. tatsächlich schon einmal getan: Am 6. August 1998 erstach der damals 42-Jährige unter Alkoholeinfluss einen Bekannten in Leipzig nach einem Trinkgelage. Der Tat waren offenbar banale Streitigkeiten vorausgegangen. 1999 wurde Manfred F. wegen Totschlags zu zwölf Jahren Haft und einem Alkoholentzug verurteilt.

Daneben war er bereits seit den siebziger Jahren immer wieder Dauergast an Leipziger Gerichten, vor allem wegen Körperverletzungsdelikten. Frühere Urteile bescheinigten Manfred F. eine Aggressionstendenz bei Alkoholkonsum und intellektuelle Einschränkungen. Gleichwohl sei der seit langer Zeit Arbeitslose durchaus fähig, seinen Alltag zu bewältigen.

Für den Prozess dürften derlei Fragen eine zentrale Rolle spielen. Bei einem Schuldspruch wegen versuchten Mordes könnte auf lebenslange Haft erkannt werden. Daneben stehe auch der Vorbehalt einer Sicherungsverwahrung im Raum, sagte der Vorsitzende Richter Hans Weiß am Donnerstag.

Videovernehmung: Opfer ist bis heute traumatisiert

Die Vernehmung der Geschädigten soll mittels Video aus einem Nachbarraum erfolgen, damit sie dem früheren Nachbarn nicht persönlich gegenübertreten muss. Die 42-jährige Kathleen B. ist Nebenklägerin im Prozess. Wie ihre Anwältin Ina Alexandra Tust sagte, ist die Krankenschwester nach wie vor von der Gewalttat traumatisiert und will nach Abschluss des Verfahrens aus Leipzig wegziehen.

Voraussichtlich verhandelt das Landgericht den Fall bis Anfang Februar.

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