Die Sachsen sind ein Volk der Illusionisten. Sie malen sich ihre Vergangenheit goldig und geben viel Geld aus für Mythen. Und besonders lebendig sind die Mythen in Dresden. Die Verklärung des Augusteischen Zeitalters begann schon zu Lebzeiten von August dem Starken. Und ein wesentlicher Teil der Legende ist Anna Constantia Reichsgräfin von Cosel. Was Jens Gaitzsch hier anstellt, ist mehr als eine Ehrenrettung.

Gaitzsch ist stellvertretender Leiter der Burg Stolpen, auf der die Gräfin Cosel von 1716 bis 1765 arretiert war. Tatsächlich war es aber eher das, was man im Titel lesen kann: “Lebenslang verbannt”. Denn eine Anklage gegen sie wurde nie erhoben, es gab keinen Prozess und kein Urteil. Und sie landete auch nicht auf der Festung Königsstein, wo auch Friedrich August I. von Sachsen seine Staatsgefangenen unterbringen ließ. Dass ihre Arretierung in Stolpen ungewöhnlich war, war durchaus auch den Zeitgenossen bewusst. Aber da sie wie eine Geheimsache behandelt wurde, war den Legenden Tür und Tor geöffnet. Bis heute.

Was auch Gaitzsch beschäftigt. Eigentlich ärgert er sich sogar maßlos über die ganze Coselei besonders in Dresden, wo es eigentlich nichts gibt, was nicht den Namen der Reichsgräfin gebraucht, um diverse Produkte an leichtgläubige Touristen zu bringen. Seitenweise zählt Gaitzsch diese ganzen Cosel-Pralinen und Cosel-Küchlein am Ende des Buches auf, als er eigentlich schon fertig ist mit der eigentlichen Geschichte. Er lässt auch all die Lustspiele, Hörspiele, Fernsehspiele nicht weg, die das überlieferte (zumeist falsche) Bild der Frau zeichnen, die acht Jahre lang an der Seite Friedrich Augusts die Rolle der Mätresse ausfüllte – und zwar nach Gaitzschs Einschätzung so perfekt wie keine ihrer Vorgängerinnen und Nachfolgerinnen, von denen heute kaum ein Sachse irgendetwas weiß. Selbst die eigentliche Fürstin an Augusts Seite, Christiane Eberhardine, ist vergessen. Und auf der Elbe schippert als Pärchen “August der Starke” neben “Gräfin Cosel”.

Dabei steckt genau in dieser Nähe der Konflikt, der 1716 für die 36-Jährige zum Drama ihres Lebens wurde.

Oft genug vergessen auch die diversen Nacherzähler der alten Legenden, welche Rolle Mätressen eigentlich im absolutistischen Staatsgefüge spielten und wie sehr alles, was sie taten, auch Staatsakt war. Und dennoch hatten sie sich einzufügen in das absolutistische Staatsverständnis der Zeit. Die Rollenverteilung war eindeutig. Und nicht nur Bürgermeister (wie Conrad Romanus in Leipzig) oder Minister erlebten die königliche Ungnade, wenn jemand gegen die zugewiesene Rolle verstieß. Auch Mätressen erlebten das. Der Sturz der Cosel war kein Einzelfall. Doch während andere gestürzte Mätressen meist schon zu Lebzeiten vergessen waren, wurde die lebenslange Arretierung der Cosel auf Burg Stolpen zu einem Stoff, aus dem die Legenden gestrickt wurden. Und das Schöne, was Gaitzsch auch erwähnt: Es war nicht das Volk, das die Legenden erfand, es war die Highsociety selbst. Den Anfang machte im Grunde 1735 Carl Ludwig Wilhelm von Pöllnitz mit seinem Bestseller “Das galante Sachsen”.

Es ist nicht wirklich das Volk, das die Mythen und Legenden erfindet. Eine erhellende Erkenntnis. Auch aus 300 Jahren Entfernung. Dass Gaitzsch das Buch ausgerechnet jetzt vorlegt, hat natürlich mit ihrem Tod im Jahr 1765 zu tun. Einen kleinen Führer für die Burg Stolpen, in dem er Vieles zum Leben der Cosel gerade gerückt hat, hat Gaitzsch ja schon vorgelegt. Aber auch so etwas geht ja in der Regel unter im Meer der immer neuen Inszenierungen der alten, falschen Legenden.

Doch ein Fakt half Gaitzsch, der eigentlich das Drama der Cosel so richtig deutlich macht: Sämtliche Akten und Schriftwechsel der fürstlichen Verwaltung zum Fall Cosel sind erhalten. Über keine Staatsperson wurde seinerzeit so gründlich und akribisch Buch geführt. Tatsächlich hörte die Cosel auch nach ihrer Verhaftung 1715 in Halle und ihrer Einquartierung auf der Feste Stolpen nie auf, ein Staatsakt zu sein. Ein Staatsakt, der nicht nur mit Augusts schriftlichem Eheversprechen zu tun hat und mit der Flucht der Cosel justament zum Hauptfeind nach Preußen, sondern auch mit dem Charakter der beiden Hauptakteure – auch wenn Friedrich August nach der ersten Festsetzung der Cosel auf Schloss Pillnitz (das sie natürlich vom König geschenkt bekommen hatte) nie wieder mit ihr sprach.

Gaitzsch versucht das Drama der Cosel aus ihrem Charakter zu erklären

Hochmut, Geltungsbedürfnis, Jähzorn attestierten ihr die Zeitgenossen, die mit ihr zu tun hatten. Gaitzsch legt noch eins drauf und diagnostiziert ihr eine Unfähigkeit, die eigene Lage analysieren und sich in die Weisungen des Königs fügen zu können. Manchmal schlüpft er zu sehr in die Denkweisen der Zeit, scheint es. Sicher hätte sich auch die Cosel anders verhalten müssen, wenn sie die Gnade des Königs hätte erlangen wollen. Aber was Gaitzsch ausblendet, ist die Tatsache, dass der wütende König auch deshalb so hart reagierte, weil er die Cosel in ihrem ungebrochenen Selbstbewusstsein als (Staats-)Gefahr betrachtete. Da waren tatsächlich zwei aufeinander getroffen, die nicht anders konnten, die mit aller Macht aufeinanderprallen mussten.

Und auf Ewigkeit war die Unterbringung der Cosel auf Burg Stolpen ja anfangs nicht gedacht gewesen. Die Festsetzung war als Provisorium gedacht und als Zwangsmittel, die widerspenstige Gräfin dazu zu bringen, dem König alle Papiere auszuhändigen, die ihn hätten kompromittieren können. Doch Anna Constantia rückte nichts heraus. Und sorgte so selbst dafür, dass aus einem Provisorium eine lebenslange Verbannung wurde.

Das Wort “Verbannung” diskutiert Gaitzsch leider in seinem Buch nicht. Dabei trifft es die Sache wohl am besten, denn im Ausland schien die Cosel dem König viel zu gefährlich, wirklich in Festungshaft nehmen wollte er sie auch nicht – so war ihre Festsetzung in Stolpen so eine Art Verwaltungsakt, mit dem er die Unbeugsame nicht nur unter Kontrolle hatte (und die war rund um die Uhr gewährleistet), sondern auch zum Stillschweigen verdammte. Denn korrespondieren durfte sie nur über einen streng geregelten Dienstweg.

So sammelten sich im Lauf der Zeit die Protokolle und Rechnungen an, wurde jeder aufgewendete Thaler strengstens abgerechnet, denn auch die Verwaltung über ihr Vermögen wurde der Gräfin entzogen. Das betreuten fortan – bis zu ihrem Lebensende – die Finanzbeamten des Königs. Und zwar treu und sorgsam. Die Cosel blieb zeitlebens eine reiche Frau, auch wenn sie ihren Haushalt in Stolpen komplett selbst finanzieren musste.

Gaitzsch hat sich durch diese Berge von Aktenordnern und Briefen gearbeitet

Tatsächlich baut der Stoff seines Buches, in dem er die 48 Jahre der Stolpener Gefangenschaft nachzeichnet, fast ausschließlich auf diesen Briefen, Memoranden, Anweisungen, Verhörprotokollen, Bestandsaufnahmen, Beschwerden und königlichen Anweisungen auf. Die Dokumente verblüffen natürlich durch ihre Detailgenauigkeit. Hier sind die Ankäufe der Cosel auf der Leipziger Messe registriert, ihre Kümmernisse mit den Dienstboten, die Ärgernisse mit dem alten Gebäude, das schon zu ihren Lebzeiten hätte saniert werden müssen – was immer nur reparaturweise erfolgte. Im Grunde ist auch jedes Unwetter und jeder Blitz erfasst, der in die Burg einschlug. Denn immer wieder erwischte es auch die Burgteile, in denen die Cosel lebte, geriet die ganze Festung in Gefahr, weil auch die eingelagerten Schießpulvervorräte von Blitz oder Feuer hätten erfasst werden können.

Zu Hunderten sind die Rechtfertigungsbriefe der Cosel erhalten. Doch nicht der König antwortete ihr mehr, der hatte sich gleich zu Beginn einen Schutzpanzer aus getreuen Verwaltungsbeamten geschaffen, die ihm die selbstbewusste Gräfin vom Leib hielten. Er ließ sich zwar berichten, gab auch seine Anweisungen, wenn es nötig war. Aber den Zwiespalt, eine Person gefangen halten zu müssen, der kein sträfliches Vergehen vorgeworfen werden konnte, den mussten die diversen Festungskommandanten, Kuratoren und Staatskanzler aushalten. Die meisten gingen aus Eigeninteresse schnellstens dazu über, das angewiesene Reglement bis zur bürokratischen Sturheit einzuhalten.

Wer dennoch menschliche Regungen zeigte und der eingesperrten Gräfin gar Briefverkehr außerhalb der Zensur verschaffte, der musste mit strengster Bestrafung rechnen. Und das hieß etwa für die Soldaten, die dabei erwischt wurden, nicht nur Gefängnis oder Spießrutenlauf, sondern auch den völligen Verlust ihres Einkommens und jeglicher Anstellung in Sachsen.

Es gibt ein paar Kapitel, die Gaitzsch extra eingebaut hat, um die Lebensverhältnisse der so genannten einfachen Menschen rund um die Cosel zu zeichnen – und da bleibt von “Glanz und Gloria” wenig übrig. Wer sich als Soldat des Königs verdingte, verdingte sich mit Haut und Haar. Die Festungskommandanten, die die Cosel zu bewachen hatten, starben im Dienst – zumeist aber auch im hohen Alter wie die Cosel selbst.

Die Briefe der Cosel sind zwar gespickt mit Nachrichten über all ihre Leiden. Aber worüber hätte die stolze Frau mit ihren Verwaltern eigentlich korrespondieren sollen, wo ihr jegliche persönliche Korrespondenz in die Welt untersagt war? Tatsächlich fehlt die Stimme der Cosel in all diesen Papieren. Und so ist auch die Interpretation von Gaitzsch nicht wirklich nachvollziehbar, dass die selbstbewusste Frau Zeit ihres Lebens immer nur versuchte, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen und mit den höchsten Staatsbeamten zu korrespondieren.

Tatsächlich versteht man die Frau darin sehr gut

Wenn schon der König jede Auseinandersetzung vermeidet, dann sollte doch zumindest sein wichtigster Minister mit ihr reden.  Sie wollte genau das, was Friedrich August um jeden Preis vermeiden wollte. Auch deshalb hat er ja das strenge Protokoll mit all seinen abschottenden Instanzen geschaffen, an das sich auch sein Sohn und dessen Nachfolger hielten.

Tatsächlich mutet diese widerborstige Cosel sehr modern an in ihrem Anspruch. Ein Anspruch, in dem auch das Wort Gleichberechtigung steckt, die sie auf eine Art und Weise einforderte, wie es sich damals selbst die meisten Fürstinnen und Königinnen nicht trauten.

Dass “August” und “Cosel” auf der Elbe liebevoll nebeneinander schippern, das ist das eigentliche Trugbild, das die Cosel zu einer Gespielin verklärt, die sie nicht sein wollte.

Das Buch liest sich nicht immer kurzweilig, denn 48 Jahre als Verbannte auf Burg Stolpen haben Anna Constantia von Cosel natürlich auch den Zugang zur sich verändernden Welt genommen. Ihr Lebenskreis beschränkte sich auf wenige Menschen, die entweder auf der Burg ihren Dienst versahen oder Zugangsberechtigung zu ihr hatten. Friedrich August I. wagte zeitlebens nicht, die Regeln zu lockern, auch wenn er ihre gemeinsamen Kinder sichtlich protegierte. Doch in seinem Staat gab es nicht viele Menschen, die es gewagt hätten, dem Souverän zu widersprechen. Wer sich einfügte, konnte dann freilich durchaus Teil haben an der barocken Prachtentfaltung, die das augusteische Zeitalter noch heute glänzen lässt – man denke nur an die prachtvollen Palais’, die sich ihre Tochter Friederike Alexandrine, verwitwete Gräfin Moszyńska, oder ihr Sohn Friedrich August von Cosel (Cosel-Palais) in Dresden errichten ließen. Die Kinder und Enkel lebten durchaus standesgemäß und gut versorgt.

Und wie ist es am Ende mit dem “falschen” Selbstbild der Cosel?

Hat sie einfach nicht wahrnehmen können und wollen, wie die Verhältnisse waren? Oder kommt da tatsächlich ein sehr moderner Zug zum Vorschein, der Eigensinn einer Frau, die nicht bereit ist, so zu funktionieren, wie es sich der Macho an der Spitze der Hierarchie gedacht hat? Dass sie damit zum Störfall in der sächsischen Politik wurde, war wohl geradezu zwangsläufig.

Und dann spielt man im Kopf das Experiment durch, was heute passieren würde, wenn so eine eigensinnige Frau im Dunstkreis der Macht auftauchen würde: Sie würde wohl dieselbe Zurückweisung erfahren und durch ein Höllenfeuer der öffentlichen Häme gehen.

Die Sachsen wissen nicht wirklich, was sie an der Cosel hatten. Und in Dresden wird auf jeden Fall die falsche Frau inszeniert, die, die auch Friedrich August I. gern gehabt hätte. Und das war schon immer eine Illusion.

Jens Gaitzsch “Lebenslang verbannt. Die Gefangenschaft der Gräfin Cosel 1716 – 1765, Sax Verlag, Beucha und Markkleeberg 2015, 19,90 Euro

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