Eine Straße, wie man sie klassischerweise aus der deutschen Tourismusvermarktung kennt, ist die "Straße der Monumente" nicht. Man muss schon durch die ganze Republik fahren, um diese sieben Prachtstücke zu besichtigen. Und hunderttausende Touristen tun das auch jedes Jahr, klettern aufs Völkerschlachtdenkmal, die Wartburg, das Herrmannsdenkmal, genießen die Aussicht und den Mächtig-gewaltig-Effekt.

Es gibt noch ein paar Dutzend solcher Prachtwerke mehr in Deutschland, Nationaldenkmale im ureigensten Wortsinn. Aber 2008 taten sich die Betreiber dieser sieben hier versammelten Denkmale zu einer Arbeitsgruppe zusammen, wohl wissend, dass der jeweils betreute Bau ein durchaus heiß diskutiertes Gemäuer ist. Was vor allem mit der Zeitepoche zu tun hat, in der sie entstanden. “Meilensteine der Nation” nennt sie Etiènne Francois in seiner Einleitung. Und damit sind es auch Stolpersteine. Denn man war ja spät dran in Deutschland mit der Herstellung der nationalen Einheit, ein paar Jahrhunderte zu spät, wenn man die Entwicklung im benachbarten Frankreich bedenkt. Selbst die wichtigen Wegmarken 1813 und 1849 hatte man verpasst. Und statt der großen Lösung, um die auch in der Revolution von 1848/1849 gerungen worden war, gab es nach drei Kriegen, in denen die Preußen siegreich waren, 1871 die kleindeutsche Lösung mit den Hohenzollern als Kaiser.

Statt einer vom ganzen Volk getragenen Staatsgründung gab es eine Inthronisation der Fürsten mit einer geradezu übermächtigen Legendenbildung, die die Hohenzollern mit den Hohenstaufen in eine Linie setzte, quasi die Auferstehung des alten mächtigen Kaisers Barbarossa im mächtigen Kaiser Weißbart Wilhelm I. zelebrierte – und zwar in hunderten Wilhelm-Denkmälern in ganz Deutschland. Das neue Reich zog sich einen ganz alten Kaisermantel an. Und es stampfte schon ab 1864, als die Preußen noch mit den Österreichern gemeinsam gegen die Dänen siegten, das erste Zeichen für diesen neuen Mythos aus dem Boden: die Siegessäule in Berlin, von den Hohenzollern selbst in Auftrag gegeben und noch zwei Mal aufgemotzt, weil man ja auch noch 1866 die Österreicher schlug und 1870 die Franzosen.

Der Beitrag zur Siegessäule, den Herausgeber Dieter Vorsteher-Seiler selbst geschrieben hat, bringt dem Leser, der die Säule mit der goldenen Else noch nicht bestiegen haben sollte, den Bilderkanon am Fuß der Säule näher, der die spezielle preußische Geschichtsumschreibung für das neu gegründete Kaiserreich sichtbar macht. Aber nicht nur Dieter Vorsteher-Seiler wundert sich, dass die Säule 1945 nicht einfach gesprengt wurde. Bei anderen dieser Kolosse stand es genauso Knopf bei Faden, waren es in der Regel die Besatzungsmächte, die sich quer stellten und den Überlebenden der Geschichte klar machten, dass sie doch bitteschön endlich lernen sollten, mit ihrer Geschichte zu leben.

Das fällt Manchen bis heute schwer. Spätestens dann, wenn die Frage aufkommt, wo man die Wurzeln der heute errungenen deutschen Einheit sieht. Einige sind da immer noch bei Bismarck und der von oben vollzogenen Schaffung eines Staates, in dem es mit der Demokratie nicht wirklich weit her war, auch wenn es erste demokratische Institutionen gab.

Die wirklichen Demokraten in Deutschland knüpfen nicht bei Bismarck an. Wirklich nicht. Sie sehen ihre Vorbilder in der Revolution von 1848 oder gehen noch weiter zurück – bis 1813, als die Befreiung von Napoleon auch von dem Versprechen der meisten Fürsten getrieben war, dem Volke eine Verfassung zu geben. Das die meisten Fürsten nicht einlösten. Weswegen ja diese Forderungen – gekoppelt mit der Forderung nach der deutschen Einheit – dann 1817 auf dem Burschentag auf der Wartburg wiederholt wurden. Was dann die Wartburg fortan nicht nur für Liebhaber der deutschen Minnekunst (Stichwort: Sängerkrieg auf der Wartburg) und Verehrer Luthers (Lutherstube) zum Pilgerort machte, sondern auch für allerlei Menschen, die die Wartburg nun als ein nationales Symbol betrachteten.

Sie ist trotzdem in die Reihe der sieben Monumente aus der Kaiserzeit gerutscht, weil sie just zur Reichsgründung 1871 fertig war. Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach hatte die alte Burg rekonstruieren und historistisch aufhübschen lassen, so dass sie zum Zeitpunkt der Fertigstellung fast als Neubau gelten konnte – und gleichzeitig als Vorbild für Dutzende weiterer solcher Burg-Rekonstruktionen in ganz Deutschland, mit denen die jeweils regierenden Fürsten ihre Verankerung ganz, ganz tief in der ritterlichen deutschen Geschichte demonstrierten. Man könnte auch eine “Straße der Historistischen Burgen” entwerfen. Da würde so mancher Burgenwanderer staunen, was eigentlich noch Burg und was moderne historische Verkitschung ist.

Die Wartburg konnte also im neu gebastelten Reich sofort auch eine Aufgabe als Monument für geschichtliche Kontinuität finden, auch wenn die so auch in der alten Landgrafschaft Thüringen nicht gegeben war. Jedes der hier vorgestellten Monumente ist der Versuch, solche Kontinuitäten bildhaft herzustellen. Beim Herrmannsdenkmal bei Detmold ist es der ganze weite Angelwurf in die germanische Geschichte, der den Cherusker Arminius quasi zum Vorboten des neuen deutschen Reiches macht. Der aus Kupferplatten genietete Herrmann in seiner pseudohistorischen Tracht bietet bei näherem Betrachten durchaus ästhetische Momente. Die Fotos, die Kai Zimmermann von den gigantischen Monumenten angefertigt hat, haben ihren ganz besonderen, sehr stimmungsvollen Reiz.

Beim Kyffhäuserdenkmal steht Wilhelm I. auf seinem Pferd oberhalb des gerade aus seinem Schlaf erwachenden Barbarossa. Aus heutiger Perspektive tut es richtig weh zu lesen, dass für das Denkmal zwei Drittel der alten Burg Kyffhausen einfach planiert wurden, um das Denkmal hinzusetzen, über das sich ein Heinrich Heine – hätte er das noch erlebt – mit ganz bösem Spott lustig gemacht hätte. Was er zum Barbarosa-Mythos zu sagen hatte, steht in seinem “Deutschland. Ein Wintermärchen”.

Und das Kaiser-Wilhelm-Denkmal bei Porta-Westfalica wäre bei ihm nicht besser weggekommen. Die Franzosenfresser hat er schon zu seiner Zeit verachtet, denn dahinter steckte eben nicht nur die propagierte “Erbfeindschaft” gegen Frankreich, sondern auch der ganz feudale Hass auf die französische Revolution von 1789. Die haben gerade die ledernen Preußen den Franzosen nie verziehen.

Im Völkerschlachtdenkmal wirkt dieser Preußenmythos stark zurückgenommen, auch wenn es sich nahtlos einreiht in die Reihe der Nationalmonumente. Missbraucht wurde es trotzdem gern und häufig von allerlei Mächtigen, die ihren eigenen Staatsmythos feiern wollten. Die Diskussion um Rolle und Sinn des Monuments dauert bis in die Gegenwart an. Aber gleichzeitig ist auch dem Völkerschlachtdenkmal mit seinem martialischen Namen passiert, was auch den anderen Monumenten passiert ist: Es wurde zu einer touristischen Attraktion. Irgendwie. Ein bisschen. Denn 200.000 Besucher sehen im Leipziger Kontext nach mächtig viel aus – sind aber mit 500.000 Besuchern, wie sie andere Monumente in dieser Reihe anziehen, eher mickrig.

Darüber könnte man ein wenig nachdenken, so beim Blättern, genauso wie über Sinn und Unsinn dieser ganz speziellen im Deutschen Kaiserreich gepflegten Versuche, sich eine Geschichte zurechtzubasteln, die bis heute seltsam abgehoben, kostümiert und großmäulig wirkt. Gerade vor dem Hintergrund der immer wieder neuen Machtpose, die auch zeigt, dass die meisten Denkmale in der Reihe auch reine Machtsymbolik sind, Kraftmeierei, die ihre Identitätsstiftung vor allem über das Kriegerische herzustellen versuchten. Wer die sieben Monumente besucht, kommt durchaus mit dem Anspruch einer deutschen Geschichtsepoche in Berührung, der sich mit zwei großen Kriegen als geradezu fatal herausgestellt hat. Und der auch das Thema Nation in Verruf gebracht hat. Die Umdeutung dieser Monumente war also zwingend, auch wenn das nicht immer wirklich gelungen ist. Oft genug braucht es geradezu einen Schilderwald, um die Geschichte der pompösen Bauten überhaupt begreifbar zu machen.

Aber gerade das Marine-Ehrenmal in Laboe am Ostufer der Kieler Förde zeigt auch, dass man eine enge, militaristische Botschaft auch öffnen und aus dem Denkmal für die ersoffenen deutschen Matrosen aus dem 1. Weltkrieg eines für alle ertrunkenen Matrosen auf den Weltmeeren machen kann.

In gewisser Weise halten die trutzigen Male auch die Erinnerung wach an ein Kapitel der deutschen Geschichte, das seine Widersprüche gern mit Gold und patriotischer Pose überspielte und dabei auf einen ganz martialischen Kurs geriet. Klötzer des Anstoßes, könnte man sagen. Und in der Regel beschäftigen sich vor Ort auch Ausstellungen mit der dissonanten Geschichte des Baus. Und meist auch mit der Frage, warum das Ding nun so unheimlich groß, schwer und teuer werden musste. Die Berliner machen sich über ihre “Goldelse” lustig, die Leipziger verniedlichen ihren Klotz als “Völki”, als hätten sie es eigentlich gern und würden es mit der Bezeichnung auf eine handliche Größe schrumpfen.

Die opulenten Lebendgewichte von Herrmann, Else und Willi gibt es auf informativen Extraseiten im Buch genauso wie Öffnungszeiten und Anreisemöglichkeiten. Wer die Sieben besucht, hat schon mal ein ausgiebiges Reiseprogramm in ein Stück deutscher Geschichte, zu dem auch das schöne Wort Eklektizismus passen würde.

Dieter Vorsteher-Seiler (Hrsg.) “Straße der Monumente, Sandstein Verlag, Dresden 2015, 7,95 Euro

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