Nur nicht aufgeben, auch wenn die Welt augenscheinlich mal wieder in Dummheit zu ersaufen droht. Da geht es dem Zeichner Schwarwel nicht anders als all jenen, die nun seit mehr als einem Jahr dem zunehmenden Panikgetrommel der Herzlosen zuschauen, die Europa wieder in einen Kontinent der Mauern, Zäune und Stacheldrähte verwandeln wollen. Gegen die aufschäumende Dummheit hilft nur eins: scharfe Federstriche.

Das kennen die Freunde des Leipziger Karikaturisten nun schon seit Längerem. Mit „Das Maximum der Menschlichkeit“ hat er jetzt seinen fĂĽnften Band mit politischen Karikaturen vorgelegt. Die entstehen bei ihm eigentlich jeden Tag. Jeden Abend setzt er sich hin und verdichtet den Wahnsinn einer aus dem Lot geratenen Welt in bissigen, eindeutigen und zielgenauen Bildern. Als er den ersten – „Die Bändigung des Kapitalismus“ vorlegte, konnte man ja noch die Hoffnung haben, der Wahnsinn wĂĽrde sich legen oder zumindest wieder beherrschbare Formen annehmen. Aber alle wesentlichen Akteure, die sich schon damals blamiert haben (und trotzdem den Beifall der schweigenden Mehrheit bekamen), haben sich redlich bemĂĽht, auf ihre eh schon wilden Taten noch viel wildere und irrere draufzupacken.

Nur wenn man sich mal kurz herausnimmt aus dem Schaum der Lächerlichkeiten, merkt man: Es geht auch in der Politik nur um eines – um Quote.

Und Quote macht man in der modernen Medienpolitik mit Provokation, Zündelei, Panikmache, Orakelei und wüstesten Verschwörungstheorien. Das ist kein Alleinstellungsmerkmal der AfD. Das betrifft so ziemlich alle auf Macht Versessenen, die allabendlich und alltäglich um die Stimmen und Grunzlaute der Mehrheit buhlen. Und das, was nun in Schwarwels drittem Band mit politischen Karikaturen steht, kommt raus dabei: Ein Überbietungswettkampf in Hartherzigkeit, Menschenverachtung, Arroganz und bürokratischer Rücksichtslosigkeit.

NatĂĽrlich dominiert die sogenannte FlĂĽchtlingspolitik das vergangene Jahr 2015 und das angebrochene 2016.

Es geht ja in diesem Band mitten im Jahr 2015 los, wo man die Glatzen in Tröglitz schon mal das Warnschild aufhämmern sieht: „Achtung! Sie verlassen den Raum der rechtsstaatlichen Demokratie.“ Tröglitz? Fast schon vergessen. Seitdem haben ganz andere Freudentänze der Menschenfeinde die Schlagzeilen gefĂĽllt, haben Dutzende AsylunterkĂĽnfte gebrannt (in Sachsen gab es allein 18 Anschläge auf AsylunterkĂĽnfte), hat die deutsche Aber-Partei bei Landtagswahlen richtig abgeräumt. Es ist ja so einfach, sich dumm zu stellen und zu fordern, die Welt möge bitte sofort wieder den RĂĽckwärtsgang einlegen und – aber dalli, dalli! – zurĂĽckfahren in die verklärte Vergangenheit. Vielleicht so 1950 rum, können auch fĂĽnf oder zehn  Jahre mehr sein. Hauptsache: Wir sind wieder wer!

Denn irgendwie mĂĽssen ja eine Menge Leute das GefĂĽhl haben, mal wieder niemand zu sein. Nicht mehr geliebt und gehätschelt zu werden wie frĂĽher mal. Da verwechselt man schon mal gern die Ursachen, macht Mutti fĂĽr alles verantwortlich. Wie frĂĽher. Auch wenn Mutti eigentlich gar nichts tut – jedenfalls nicht das, was ihr selbst von Parteifreunden aller Art gern unterstellt wird. Die Schizophrenie scheint mittlerweile nicht mal mehr den amtlichen Quotenjägern aufzufallen. Schwarwel bringt das immer wieder auf den Punkt. Denn eigentlich verhält sich Mutti ja nicht anders als in der Griechenlandkrise, die nun noch viel länger schwelt und völlig ungeklärt ist – auch weil Mutti und ihr Finanzminister so einiges falsch gemacht haben. Denn eigentlich wollten sie ja immer nur, was auch die ach so besorgten BĂĽrger wollen: Dass in Muttiland alles beim Alten bleibt, dass sich nichts ändert, dass niemand sich ernsthaft engagieren muss und dass Ganze möglichst auch nichts kostet. Ach ja: Die Geschäfte der Lieblingskonzerne sollen möglichst ungestört weitergehen. Mehr wollen sie ja alle nicht.

Nur nicht drĂĽber nachdenken, wie man in einer humanitären Katastrophe wie in Griechenland- ach nee, das war ja der vorletzte Band – also in einer humanitären Katastrophe wie in Syrien schnell und organisiert hilft. Dann hätten sich – nur als Beispiel – ein paar Millionen Syrer und Iraker die lebensgefährliche Tour ĂĽbers Mittelmeer gespart. Dann hätten die Europäer selbst FlĂĽchtlingstransporte organisiert, Unterbringungen geschaffen und sich tatsächlich so gezeigt, wie sie immer behaupten, eigentlich sein zu wollen. Rational nämlich.

Rational? Vergiss es.

Das Durchblättern des Buches ist ernüchternd. Wüsste man nicht zu genau, dass Schwarwel die Zeichnungen stets mitten im Getümmel anfertigt, genau an dem Tag, an dem ihn die wilden Nachrichten aus dem Hühnerstall der Quotenjäger treffen, dann könnte man glatt vermuten, hier arbeite einer die Geschehnisse der jüngeren Vergangenheit mit dem Wissen dessen auf, der gesehen hat, was dabei herausgekommen ist.

Aber so lange muss ein Schwarwel nicht warten. Er gehört zu den klugen, aufmerksamen Zeitgenossen, die schon dann, wenn die irre Nachricht durch die Medien schäumt, weiĂź, was dabei rauskommt und wie die Verursacher der neuen Schleife medientauglicher Lageverschärfung inwendig ticken. Das braucht nur ein bisschen Menschenkenntnis und Beobachtungsgabe – zwei Eigenschaften, die heuer augenscheinlich vielen Aufmerksamkeitsgierigen völlig fehlen. Ganz abgesehen von der Verantwortung fĂĽrs eigene Handeln. Beim Geld hört augenscheinlich nicht nur die Freundschaft auf, sondern jedes Verständnis fĂĽr gesellschaftliche Verantwortung. Ja, auch das Herumgehampel von Facebook und Herrn Zuckerberg in Bezug auf die anschwellende Flut von Hasskommentaren (ja, das ist wirklich eine Flut) auf Facebook fällt in diese Zeit. Da verbĂĽnden sich Hass und Dummheit („Freunde fĂĽrs Leben“) auf der einen Seite und Quotenjagd und Gier auf der anderen zu einer explosiven Mischung. Nicht nur in Deutschland, wo die von Dummheit Besoffenen nun felsenfest glauben, alles auĂźerhalb ihrer Filterbubble sei LĂĽge, auch in den USA und anderswo sieht es nicht besser aus.

Eigentlich nicht vorstellbar, dass diese Leute das nicht merken. Aber sie tun zumindest so. Und auch das wohlgefĂĽtterte German Fernsehen hat kräftig mit angeheizt beim Thema German Angst. Während die Schizophrenie – etwa in der heillosen Diskussion um „Obergrenzen fĂĽr FlĂĽchtlinge“ – nicht mal mehr thematisiert wird. NatĂĽrlich rutscht Politik, die sich mit realistischen Lösungen nicht mehr beschäftigt, immer wieder in die Nähe von Scheinlösungen, manchmal auch in einen Ăśberbietungswettkampf der sinnlosen Optionen.

Was in der RĂĽckschau noch viel deutlicher wird.

Man sieht regelrecht, wie sich die Akteure verrenken, um einerseits den gehätschelten (Rüstungs-)Konzernen nicht weh zu tun, dem „Volk“ Zucker zu geben, die Unarten raffgieriger Konzerne möglichst klein zu reden und dann irgendwie Probleme zu lösen, die es mit einer ehrlicheren Politik so nie gegeben hätte. Da werden Menschen in Not zur Verhandlungsmasse „einer Politik, die alle Mitmenschlichkeit dem Machtkalkül geopfert hat. Nicht nur in Bayern oder Ungarn. Und dann sind „Volkes Stimme“ und auf Zustimmung versessene Politik natürlich wie kommunizierende Röhren, vermengen sich die Themen und die Argumente.

Und der aufmerksame Beobachter sitzt nur noch mit zunehmender VerblĂĽffung vor seinem Bildschirm und versucht den irrsinnigen Tanz der Dummen festzuhalten mit sauberem Strich und bitterem Humor.

Aber es gilt auch heute noch, was Kurt Tucholsky 1919 im „Berliner Tageblatt“ formulierte: „Übertreibt die Satire? Die Satire muĂź ĂĽbertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten.“ Was ja in der Pointe gipfelte: „Was darf die Satire? – Alles.“

Was Schwarwel lieber mit dem 2006 gestorbenen Satiriker und Aphoristiker Wolfgang J. Reus zuspitzt: „Die Satire darf alles, bloß eines nicht: Die Schnauze halten!“

Das Ausrufezeichen ist wichtig. Auch als Aufforderung, dass man sich die Dummheiten der Gegenwart nicht gefallen lassen darf und mit spitzer Feder aufspießen muss, was falsch läuft und dringend einer Korrektur bedarf. Und sei es nur ein klein bisschen Mitmenschlichkeit in einer brodelnden Suppe der Ignoranz. Es darf ruhig auch mehr sein. Denn wer ein Maximum an (Mit-)Menschlichkeit definiert, hat schon alle Werte über Bord geworfen.

Schwarwel „Das Maximum der Menschlichkeit“, Glücklicher Montag, Leipzig 2016, 12,90 Euro.

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Es gibt 3 Kommentare

Die Ilse können wir doch bestimmt mit nem Eierlikör überreden. Aber womit bestechen wir den Pinselkünstler?

Ich liebe diese Karikaturen, der Herr Schwarwel ist auch mit Abstand mein Lieblingszeichner. Aber könnte man nicht mal über ein gemeinsames Buch mit der Frau Schnickenfittich nachdenken? Das ist einfach die perfekte Kombi.
Falls ja darf das hier gern als Vorbestellung gesehen werden. ;0)

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