Wenn die „Mitte“-Studien aus Leipzig die Einstellungen der Befragten nach Ost und West vergleichen, dann wird schnell deutlich, dass da im Osten etwas am Kochen ist. Nicht erst seit 2012, als viele rechtsradikale Einstellungen auf Gipfelwerte schossen. Natürlich hat das auch mit der Frage zu tun, warum PEGIDA in Dresden so viele Anhänger gefunden hat.

Dabei nähern sich West und Ost in ihren Einstellungen seit 2002 immer weiter an. Manchmal im Zickzack, manchmal im Gleichschritt. Was auch damit zu tun hat, dass die „Mitte“-Studien in Leipzig 2002 aus wichtigen Gründen gestartet wurden. Rostock, Hoyerswerda und Solingen waren zwar schon lange her. Aber die Reihe rechtsradikaler Straftaten nahm nicht wirklich ab. Immer wieder kam es zu Angriffen auf Asylunterkünfte, Moscheen, Abgeordnetenbüros. Und zum ersten Mal reagierte eine deutsche Bundesregierung aktiv darauf und begann, Programme gegen den Rechtsextremismus im Land aufzulegen.

Die Leipziger Forscher um Elmar Brähler wollten in dem Zusammenhang genauer wissen, wie groß das mögliche rechtsradikale Potenzial in Deutschland wirklich ist. Die Ergebnisse waren dann erst einmal ein Schock – aber sie zwangen auch zur Analyse. Denn rechtsradikale Einstellungen sind ja keine Fertigprodukte. Sie entstehen als Reaktion auf gesellschaftliche Missstände, auf soziale und mentale Ausgrenzung, aber auch aus falschen Erwartungshaltungen und fehlender gesellschaftlicher Einbindung.

Wie eng solche Einstellungen mit Ängsten verknüpft sind, machte der steile Anstieg der Kurve zur Ausländerfeindlichkeit von 2004 bis 2014 deutlich. Und zwar ganz und allein im Osten, wo der Wert von 24,4 Prozent hinaufschoss auf 38,7 Prozent im Jahr 2012. Das hängt nicht nur mit dem eigentlich schon chauvinistischen Buch „Deutschland schafft sich ab“ von Tilo Sarrazin zusammen, das 2010 für Furore sorgte, sondern auch mit dem zunehmenden Druck auf viele Beschäftigte. Gerade Ostdeutschland wurde zum Testfeld der drakonischen Instrumente aus dem „Hartz IV“-Paket. Die Zahl der prekären Beschäftigungen schoss in die Höhe und logischerweise nahm die Angst zu, dass man auf dem Lohnniveau direkt mit ausländischen Arbeitskräften konkurrierte. Aber noch einen anderen Grund gibt es. Darauf kommen wir noch.

Das änderte sich schon 2014 rapide – die Werte fielen fast auf das westdeutsche Niveau. Die NPD flog aus dem sächsischen Landtag. Dafür kam die AfD rein, die die alten rechtsradikalen Ressentiments wesentlich gedimmter ansprach und damit deutlich mehr der Abgehängten und Frustrierten für sich gewinnen konnte.

Welche Demokratie ist eigentlich gemeint?

Aber das Spiel hat Grenzen. Auch das macht die 2016er Studie jetzt deutlich. Denn dass ein gewisser Anteil der Wählerschaft ihre Ängste in massiven Vorurteilen kanalisiert, heißt noch nicht, dass sie die Demokratie für unfähig halten, die Probleme zu lösen. Im Gegenteil: Die Zustimmung zur Demokratie ist in Ost wie West hoch. Im Osten stieg die Zustimmung sogar seit 2010 massiv an von 88,4 auf 94,2 Prozent. Schwer tun sich einige Zeitgenossen freilich mit der Demokratie, wie sie in der Verfassung festgelegt ist. Hier liegt die Zustimmung im Osten bei 72,5 Prozent. Aber auch das muss man erwähnen: Der Wert ist von 57,2 Prozent im Jahr 2006 kontinuierlich angestiegen.

Die eigentliche Diskrepanz tritt auf, wenn die Forscher nach der Demokratie fragen, wie sie augenblicklich in der Bundesrepublik funktioniert. Da steigt der ostdeutsche Zustimmungswert zwar auch von 27,3 auf 44,3 Prozent. Aber hinter dieser kritischen Einstellung (auch im Westen werden nur 54,1 Prozent erreicht) steckt natürlich das Gefühl fehlender Teilhabe, fehlender Möglichkeiten, Politik zu beeinflussen.

Und das steht in der Auswertung von Oliver Decker, Johannes Kiess, Eva Eggers und Elmar Brähler, die diesen Aspekt beleuchtet haben, auch genau so da: „Diese hohe Frustration weist auf ein massives Teilhabedefizit hin.“

Die Stichworte sind Partizipation und Transparenz

Was dann eben auch zu hohen Raten von Nichtwählern führt. Einige – nicht alle – haben zwar bei der AfD ein neues Zuhause gefunden. Aber dass die AfD und PEGIDA so viel Zulauf erhalten haben, hat eher mit dem „Legitimationsverlust der etablierten Parteien“ zu tun, schreiben die Autoren. Wo die Etablierten die Beschäftigung mit einigen wichtigen Themen der Zeit verweigern, entsteht natürlich ein Freiraum für Populismus und Verschwörungstheorien. Wobei 50,3 Prozent der Bundesbürger die Ziele von PEGIDA komplett ablehnen, 9,5 Prozent haben sich mit dieser islamophoben Bewegung noch nie beschäftigt. Immerhin 22,7 Prozent der Befragten finden die Anti-Islam-Bewegung gut. Wobei man sich durchaus fragen darf, ob sie die Ziele und Akteure von PEGIDA tatsächlich kennen. Aber die Zahlen sprechen natürlich für die latenten rechtsradikalen Einstellungen in weiten Teilen der Gesellschaft und für die – auch durch Politiker – geschürte Angst vor Migranten aus dem Nahen Osten.

Was eben noch nicht heißt, dass die Leute, die diese Ängste teilen, auch zu PEGIDA- und LEGIDA-Demonstrationen gehen. Denn da hat sich längst die Spreu vom Weizen getrennt. Dort dominieren längst die Teilnehmer, die körperliche Gewalt nicht nur akzeptieren, sondern auch selbst bereit sind, sie auszuüben, knallharte Rechtsextremisten, kann man sagen. In der Umfrage wurde das deutlich in der Parallelität von zunehmender Gewaltbereitschaft und zunehmender Akzeptanz von PEGIDA, wie Alexander Yendell, Oliver Decker und Elmar Brähler feststellen.

Neurechte Bewegungen und Demokratieakzeptanz

Und damit kommt auch ein anderer Aspekt ins Spiel: Je mehr die Befragten PEGIDA zustimmten, umso höher war der Anteil derer, die die Demokratie ablehnen und die sich eine einzige starke Partei wünschen. Was natürlich zum Ergebnis führt, dass PEGIDA mittlerweile vor allem mit den Themenfeldern Islamfeindlichkeit und Rechtsextremismus korrespondiert. Die Studie bestätigt also die Beobachtungen auf der Straße.

Dass sich das mittlerweile passend ergänzt mit der zunehmenden Rechtsdrift der AfD,  beschreibt in diesem Buch Alexander Häusler unter dem Titel „Die AfD als rechtspopulistischer Profiteur der Flüchtlingsdebatte“.

Und Thorsten Mense, Frank Schubert und Gregor Wiedemann beschreiben den nächsten Aspekt, der in dieser Neuorganisation der deutschen Rechten eine Rolle spielt: „Von ‚besorgten Bürgern‘ zu Widerstandskämpfern? – PEGIDA und die Neue Rechte“. Denn unübersehbar versuchen die Theoretiker der „rechten“ Revolution nun schon seit Monaten mit aller Macht, sich auch zu den Vordenkern und Stichwortgebern von PEGIDA und AfD zu machen und damit ein Rollback in Gang zu bringen, das ihnen seit 50 Jahren nicht geglückt ist.

Sie glauben in der Wiederherstellung der abgeschlossenen und homogenen Nation eine Antwort auf die Krisen der Moderne gefunden zu haben, greifen damit natürlich gerade die Ängste all jener auf, die sich als Modernisierungs-Verlierer begreifen. Und da ist man schnell in der sächsischen Provinz und dem, was man so landläufig „demografische Entwicklung“ nennt. Kaum ein Bundesland erlebt derzeit so eine dramatische Neuorientierung, die nun einmal auch eine Modernisierung ist – für die ländlichen Räume aber eine Katastrophe. Wenn dann auch noch Flüchtlinge aus aller Welt in Asylunterkünften in diesen ländlichen Kommunen auftauchen, dann wird für die Betroffenen natürlich auch erstmals sichtbar, wie sehr sich die Welt verändert hat.

Sachsen ist nun natürlich ein Beispiel dafür, dass auch die regierende Politik die Ängste und Vorurteile der grimmigen Spaziergänger verstärkt hat – und bis heute verstärkt. Das wäre ein eigenes Forschungsfeld. Aber die Autoren werden ziemlich deutlich, wenn sie feststellen, dass PEGIDA ganz bestimmt keine Bewegung ist, mit der man den politischen Dialog suchen muss.

Der ist woanders fällig. Und es wird ja auch sichtbar, wo dieser Dialog komplett fehlt – nicht nur in Sachsen: Das sind die großen Themen Modernisierung, Globalisierung und Europa. Denn man kann nicht immer so tun, als könnte man die fatalen Entwicklungen in Afrika und anderswo einfach raushalten, irgendwie am Rande der EU abschotten. Die Probleme der Welt sind auch unsere Probleme.

Oliver Decker, Johannes Kiess, Elmar Brähler (Hrsg.) Die enthemmte Mitte, Psychosozial-Verlag, Gießen 2016, 19,90 Euro.

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