2017 soll das große Reformationsjubiläum auch ein großes Fest der Ökumene werden. Was sich 1517 so streng geteilt hat, versucht wieder zueinanderzufinden. Stehen die großen christlichen Kirchen wieder vor einer Vereinigung? Wäre die Gemeinschaft von Taizé dafür nicht das richtige Vorbild? Siegfried Eckert jedenfalls ist happy, dass die Edition Chrismon sein Buch mit ins Programm genommen hat.

Denn der Pfarrer aus Bonn hat eine Mission, die er sich schon in zwei Büchern von der Seele geschrieben hat, wie er betont. „2017. Reformation statt Reförmchen“ und „Demut. Was uns gelassener leben lässt“. Mit diesem Gespräch hier, das er mit Frère Alois Löser, dem Prior der ökumenischen Bruderschaft von Taizé und Nachfolger des Gründers Frère Roger geführt hat, legt er nun das dritte Buch vor, mit dem er für etwas plädiert, was weit über das hinausgeht, was die Kirchen derzeit als Ökumene wagen.

Was nicht ganz leicht zu verstehen ist für Menschen, die mit Kirche nun gar nichts am Hut haben. Was wollen die denn? Warum empfinden die es als solche Not, wenn die evangelische und die katholische Kirche nun seit 500 Jahren ihre eigenen Wege gehen, ihre eigenen Riten und Hierarchien pflegen? Aber das berührt schon die Rolle der Glaubensgemeinschaft von Taizé, die nun schon seit Jahrzehnten vorlebt, wie unwichtig all die theologischen Streitereien sind, wenn man sich auf das Gemeinsame und Verbindende besinnt, die anderen einfach respektiert in ihrem Anderssein und niemanden vom gemeinsamen Gebet ausschließt. Sondern vielmehr Formen sucht (und findet), in denen sich alle geborgen fühlen.

Tatsächlich lebt die Bruderschaft von Taizé ja vor, wie leicht auf all die eifersüchtig gepflegten Grenzziehungen verzichtet werden kann. Und das hat längst auch Wirkung in die großen christlichen Kirchen hinein. Was auch mit dem Wirken von Frère Roger zu tun hat, der früh das Gespräch auch mit den reformfreudigeren Päpsten gesucht hat. Denn irgendwie ist die Zeit reif nach 500 Jahren Trennung, weniger über Formalien, liturgische Formen oder Hierarchien zu diskutieren, Grenzen zu ziehen und die schwindende Gemeinschaft zu beklagen. Denn beiden großen Kirchen kommen die Mitglieder abhanden. Das hat auch mit etwas zu tun, was über Kirche hinausweist.

Und da geht es um ein Schwinden von Vertrauen, die abnehmende Fähigkeit zu Mitgefühl, zur Solidarität.

Noch schimpfen allerlei Grenzwächter über die ach so säkulare Welt.

Aber ehrlich?

Dieser Tanz in schillernden Kostümen wirkt auch ein Jahr vorm Reformationsjubiläum lächerlich. Sehr introvertiert. Was man auch den beiden Männern nicht ganz absprechen kann, die sich hier unterhalten, aber eben aus der eigenen religiösen Position heraus. Als wäre das Schisma der Kirche nur ein innerreligiöser Klärungsakt, bei dem man am Ende nur zur gemeinsamen Kommunion kommen muss und dem Gefühl, dass Gemeinschaft auch für junge Menschen wieder erlebbar wird – wie in Taizé. Siegfried Eckert sieht Taizé als Vorbild für gelebte Ökumene. Gerade in diesem ganz christlichen Verzicht darauf, die Gäste aus aller Welt und unterschiedlicher Glaubensrichtungen auf eine einzige gültige Liturgie einzuschwören.

Womit sich beide übrigens den großen Reformern Martin Luther und Dietrich Bonhoeffer sehr nahefühlen. Insofern ist es gar nicht so falsch, das Reformationsfest auch (wieder) als Lutherfest zu feiern. Wenn man denn bereit ist, diesen Luther als Einen zu sehen, der mit seinem Thesenanschlag die ganze Glaubensgemeinschaft anmahnte, sich wieder auf das Wesentliche zu besinnen – nicht mehr den Ablass zu suchen in der Welt, sondern selbst beizutragen, dass Menschsein wieder auf der Botschaft des Friedens und der Gnade beruht.

Das gilt tatsächlich über alle Kirchen hinaus. Denn wer sich umschaut, sieht, dass wir in einer friedlosen und ungnädigen Welt leben. Aber nicht, weil die Welt so sein muss, sondern weil gnadenlose Menschen sie dazu machen. Logisch, dass die beiden auch immer wieder auf die Frage zu sprechen kommen, wo denn eigentlich die Kirchen sind mit ihrem mahnenden Wort und warum gerade die deutschen Kirchen so introvertiert wirken, so kraftlos. Kann es sein, dass sie viel zu sehr reiche Kirchen sind, die ihren Besitzstand wahren und vor allem den Staat nicht kränken wollen, der sie mit Geld versorgt? Anders als die armen Kirchen in Frankreich oder Lateinamerika? Kann es sein, dass reiche Kirchen die Not nicht sehen, von der selbst die vielen Gäste in Taizé erzählen? Die seelischen Nöte, die die Menschen wieder ruhelos machen, ratlos auf der Suche nach einem Gefühl des Geborgenseins?

Erzählt die große Spaltung der Kirche nicht gerade davon, dass Menschen eitel sind? Dass sie stolz sind und ihre Reichtümer und Eigenheiten für wichtiger halten als die selbstverständliche hilfsbereite Geste? Immer wieder kommen die beiden auch auf diese Themen, auch wenn sie sie immer wieder nur im interreligiösen Dialog verorten, als Problem, das die beiden Kirchen nun miteinander lösen müssen. Vielleicht aber nicht können, denn das Aufeinander-zu-Gehen fällt ihnen noch immer schwer, die Hierarchien kleckern mal wieder hinterher. Weshalb gerade Eckert ja bezweifelt, dass das Reformationsfest tatsächlich schon den großen Schritt hin zu einer echten Ökumene bedeutet, den man eigentlich erwartet. Eine Versöhnung, die die Vielfalt akzeptiert.

Mehr Herzenswärme wünscht sich Eckert. Spitzt es dann im Nachwort auch noch zu auf die Frage: „Wessen Geistes Kinder sind wir? Wollen wir weiter den Geist der Furcht kultivieren? Oder glauben wir daran, dass Gott uns den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit geschenkt hat?“

Er bezieht es ganz auf die Ökumene der Kirchen. Und gerade das gegenseitige Nachfragen und Nachdenken der Beiden im Dialog hat deutlich gemacht, wie sehr Institutionen und Hierarchien eigentlich Produkte der Angst sind und Ängste geradezu als Legitimation ihrer Existenz produzieren. Das hat Luther ja schon erlebt in aller Heftigkeit. Hinter Hierarchien stecken immer Pöstchen, Macht und Reichtum. Da gibt es etwas zu verteilen, geraten Argumentationen schief, wenn sich auf einmal ein zur Armut und Demut verpflichteter Bischoff als Verschwender erweist. Dabei erreicht man das Gemeinsame und Menschliche, wie Taizé ja vormacht, mit wenigen Mitteln aber großem Engagement.

Und da schaut man sich dieses vielgepriesene christliche Abendland an mit seiner demolierten Demokratie (auf die die beiden eben doch beiläufig zu sprechen kommen, auch wenn sie eigentlich unpolitisch bleiben wollen), und man sieht: Da gibt es nichts zu verschenken. Mit dieser auf Austerität getrimmten Nicht-Solidarität kann man niemanden begeistern, weder Araber noch Chinesen.

Wir rühmen uns unserer Werte – aber die wichtigsten haben wir selbst abgeschafft, in die Nische gedrängt, lächerlich gemacht, weil sie sich nicht versilbern lassen.

Im Zustand der großen Kirchen spiegelt sich der unsolidarische und von Ängsten besessene Zustand unserer Gesellschaften. Taizé wirkt da wie eine Insel im aufgewühlten Meer.

In drei große Kapitel hat Eckert das lange und immer wieder abwägende Gespräch mit Frère Alois gegliedert. Und eins davon, das auf Frère Rogers „Kampf und Kontemplation“ Bezug nimmt, spricht recht intensiv davon, wie notwendig gesellschaftliche Transformationen heute wieder sind. Zu groß ist die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Verlierern und Gewinnern. Aber das kann die Bruderschaft von Taizé allein nicht leisten. Auch wenn die Gemeinschaft zeigt, wie es gehen könnte und wie die Kirchen sich ändern könnten, wenn sie wieder eine stärkere Relevanz im gesellschaftlichen Diskurs einnehmen wollten. Was sie nicht tun. Da regieren andere „Werte“ und Heilsversprechen. Friedliche ganz bestimmt nicht. Und eine „gelebte Gemeinschaft“, wie sie Eckert in der Bruderschaft von Taizé sieht, sind unsere westlichen Alles-muss-raus-Gesellschaften wirklich nicht.

Aber vielleicht sind ja wirklich die Kirchen die ersten, die wieder lernen, was Toleranz und Respekt vorm Anderssein aller Anderen bedeuten. Die Brüder von Taizé leben es. Ein hoher Anspruch an das Ökumene-Jahr 2017, den Siegfried Eckert da stellt.

Frère Alois, Siegfried Eckert Mehr Ökumene wagen, Edition Chrismon, Leipzig 2016, 17 Euro.

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