Für FreikäuferSeine Leser kennen es schon. Für sie ist der Nikolaustag am 30. November. Da steckt nämlich das neue Büchlein mit Advents-Rätselnüssen in ihrem Stiefel. Der natürlich ordentlich blankgeputzt ist. Denn jetzt geht’s wieder los: 24 Mal darf ein kleiner Kriminalfall gelöst werden. Na gut, ein paar Tote kommen auch vor.

Aber eher so am Rande. Beim Leipziger Krimi-Autor Steffen Mohr geht es nicht so um das blutige Ausmalen der finsteren Seite des Menschen. Das überlässt er anderen. Auch ein paar Kollegen und Kolleginnen der schwarzen Zunft, die dann als mutmaßliche Täter in seinen Geschichten wieder auftauchen. Wer in Leipzig ein wenig aufmerksam durchs Leben spaziert, wird den einen oder anderen Bekannten zumindest bei der Namensähnlichkeit wiedererkennen. Auch wenn die geschilderten Personen dann so gar nicht zum Namen passen wollen. Aber auch das gehört zum Spiel. In der Welt von Kommissar Gustav Merks geht es nicht so schrecklich ernst zu wie in der Welt, die wir für die wirkliche halten.

Es gibt ja genug Leute, die die Wirklichkeit mit einem güldenen Schein zuklatschen und das dann für die Realität ausgeben. Bilder dominieren unsere Weltsicht – besonders all jene Bilder, die in photoshop-bearbeiteter Brillanz etwas vortäuschen, was so überhaupt nicht existiert.

Deswegen sind die kleinen Rätselgeschichten, die Steffen Mohr schreibt, auch immer wie ein kleiner, erleichternder Besuch in der richtigen, ungehübschten Wirklichkeit. Hier haben sichtlich Menschen aus einem ganz und gar nicht glänzenden Alltag mit allerlei Unbilden zu tun – mal wird eingebrochen und die Frage steht, wer so dumm war, so dreist auf Kosten der Nächsten seine Schatulle aufbessern zu wollen. Die beruhigende Antwort: Nein, diesmal waren es keine reisenden Nikoläuse aus südländischen Gefilden. Auch wenn Mohr ganz unübersehbar den Leipziger kriminellen Alltag zur Grundlage seiner Geschichten macht, hält er ganz übersehbar nichts von den modernen Wirklichkeits-Klittierungen, mit denen für alle Unbill immer nur andere zuständig sein sollen.

Er liest auch das Kleingedruckte in den polizeilichen Verlautbarungen. Und da steht, dass das Kriminelle auch in Eingeborenenseelen steckt. Sie sind allesamt keinen Deut besser als andere Leute, auch wenn sie sich oft genug dafür halten und dann losziehen als Meute, um mal ein bisschen zu wüten. Was die eigentlich braven Bewohner eines sächsischen Dorfes auch in einer Geschichte tun – mit so zumindest nicht erwartetem Ausgang. Woran Merks natürlich seinen Anteil hat. Ihm glückt, was augenscheinlich der realen Polizei und den real wütenden Politikern nicht mehr glücken will: Er redet mit den Leuten und bringt sie zum Besinnen.

Wer sich besinnt und sich aus der Wut des Moments herausnimmt, zündet keine Häuser mehr an, sondern überlässt lieber dem kleinen rundlichen Kommissar, den Verursacher zu finden. Oder die Verursacherin. Denn viele Dinge, die uns wie ein hundsgemeiner Kriminalfall erscheinen, sind nichts anderes als eine dilettantisch vertuschte Dummheit. Was jedem mal passiert. Nur leben wir auch in einer scheinheiligen Gesellschaft, in der sich die Wölfe gern unter die Schafe mischen und blöken. Schuld sind immer die Anderen.

Man kommt sich vor wie im Kindergarten. Wo die Erzieherin fehlt, die den Knirpsen beibringt, dass man nicht mit dem Finger auf andere zeigt – sondern versucht, das Malheur gemeinsam zu bereinigen.

Das kriegen augenscheinlich viele alt und stur gewordene Leute nicht mehr hin.

Aber Mohr erzählt es halt nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit leichtem Zwinkern. Es ist so ein: Schau nur hin, das ist nur allzu menschlich …

Manchmal geht es nur um Kleinigkeiten, verschwundene Weißwürste zum Beispiel oder ein gemopstes Sparschwein. Da kommt dann auch der pfiffige Neffe des Kommissars zum Zug, der sich den Onkel zum Vorbild genommen hat, um selbst verzwickte Fälle zu lösen. Motto: Beobachten, kombinieren, Täter einkreisen. Oder auch mal der Theologielehrerin zu zeigen, dass man aus Bibelstoff auch einen aufregend blutigen Fasching mit „Mordsweibern“ machen kann.

Aber viel häufiger gibt es die ganz normalen Fälle, die jeden Tag im Polizei-Ticker auftauchen: Wer ist eigentlich der Kopf der Diebesbande im Kaufhaus? Und wer stiehlt Schoko-Nikoläuse, um sie auf dem Markt gleich hinter der Grenze zu vertickern? Und wer braucht eigentlich die paar Kröten aus der Kasse im Blumenladen und riskiert dafür ein paar Jährchen hinter Gittern?

Denn – es fällt wirklich langsam auf – Mohrs Geschichten passieren nicht in der gutbetuchten Welt der Reichen und Geschönten, die im Heimat-TV ständig zu sehen sind, als wenn die Sachsen allesamt Porsche fahren und eine Villa bewohnen würden. Auch das erzeugt falsche Welt-Bilder (siehe oben), nur scheint das den Herrschaften vom Bildfunk herzlich egal: Hauptsache Neid erzeugen und den Menschen ein Märchen erzählen.

Auch wenn es mit der Welt, die die meisten erleben, nichts zu tun hat. Da geht es manchmal nur um ein paar Heller, ein kleines Glück, eine kleine Chance wie bei Liane, der „Kleinen Heldin an Kasse 2“. Es sind Menschen, für die schon ein kleiner Diebstahl zur Katastrophe werden kann, die nicht viel zu verlieren haben und darum besonders verletzlich sind.

Dieser Mohr schaut sich wirklich noch um in seiner Stadt und versucht nicht, den Überbezahlten irgendwo in den Wolken des deutschen TV eine neue Story mit gelackten Erfolgreichen anzudrehen, die – ach, diese Unschuldslämmer – dummerweise in einen Mordfall verwickelt werden.

Er hat sich die Tür zu den Menschen ganz unten offengehalten, die nicht schreien, wenn ihnen ein Unglück passiert, sondern nur dankbar sind, wenn ihnen trotzdem geholfen wird von einem freundlichen einzelgängerischen Kommissar, der selbst seine augenblicklichen Liebschaften lieber auf Distanz hält. Ist ja auch nicht so einfach mit den Frauen. Da ist er dafür immer gleich einsatzbereit – auch wenn es in der Nachbarschaft mal Probleme gibt, zum Beispiel mit einem schleimigen Stalker.

Die meisten der 24 Rätsel-Nüsse sind mit ein bisschen Logik leicht zu lösen. Und wem dann der Einfall des Autors doch ein wenig zu mutig war (Wer beherrscht schon Rumänisch oder Ungarisch oder so?), der kann hinten im Buch nachschauen, wer’s nun gewesen ist. Zumindest ist eins wieder garantiert: Es kommt zwar ein Gespenst vor, aber es sind keine Geschichten, die einen vor Angst unters Bett kriechen lassen. Denn der eigentliche Horror ist nicht das, was da draußen Schlagzeilen produziert. Das ist die zunehmende Entfremdung und Kälte in dieser Gesellschaft, die vor allem all jene im Stich lässt, die jeden Tag strampeln müssen für ihre paar Kröten.

Und die froh sind, wenn sie mal eben bei Merks klingeln können. Denn der hilft tatsächlich gleich, wo andere nur davon reden.

Steffen Mohr 24 Rätselnüsse, St. Benno Verlag, Leipzig 2017, 7,95 Euro.

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