Fรผr FreikรคuferDas Buch ist รผber 1.000 Seiten dick und so etwas wie die Gesamtรผbersicht รผber das, was Historiker so leichthin den DreiรŸigjรคhrigen Krieg nennen. Geschrieben von einem Militรคrhistoriker, der die Sicht von drauรŸen hat und auf lokale Ressentiments keine Rรผcksicht nehmen muss. Denn Peter H. Wilson lehrt an der Oxford University. Und das Buch bietet mehr, als in einer Rezension (die wir am 24. November in der โ€žLeipziger Zeitungโ€œ verรถffentlichen) Platz finden kann.

Das beginnt schon mit der Frage: Wie lange hat dieser Krieg tatsรคchlich gedauert? Oder: Aus wie vielen Kriegen bestand er eigentlich? Und wie viele Kriege gehรถren noch dazu, wenn man das, was zwischen 1618 und 1648 im Heiligen Rรถmischen Reich passierte, รผberhaupt verstehen will? Eine ganze Menge, erfรคhrt man. Den ganzen ersten Teil des Buches widmet Wilson der Vorgeschichte, zu der der lange Tรผrkenkrieg genauso gehรถrt wie das kriegerische Ringen Dรคnemarks, Schwedens und Polens um die Vormacht an der Ostsee und der Aufstand der Niederlande, der in einen ersten 41-jรคhrigen Krieg gegen Spanien fรผhrte, der mit dem DreiรŸigjรคhrigen Krieg wieder aufloderte.

Spรคter wird Wilson noch ganz andere Kriege erwรคhnen, die praktisch alle gleichzeitig mit dem DreiรŸigjรคhrigen Krieg in Deutschland stattfanden. Einige davon gehรถren genauso zur groรŸen europรคischen Erzรคhlung โ€“ von der englischen Revolution รผber die Hugenottenkriege Richelieus bis hin zu den Kรคmpfen um das spanische und portugiesische Kolonialreich in Ost- und Westindien. Und einige dieser Auseinandersetzungen gehรถren eindeutig in das Kapitel โ€žHerausbildung der jungen Nationalstaaten in Europaโ€œ (oder deren Vorlรคufer) โ€“ neben den Niederlanden betrifft das die Schweiz und die Loslรถsung Portugals von Spanien. Aber was 1618 in Prag passierte und zeitgleich in Ungarn, gehรถrt heute ebenso zu den Nationalerzรคhlungen der dortigen Staaten.

Gerade weil Wilson ein groรŸes Panorama zeigt, wird sichtbar, dass dieses frรผhe 17. Jahrhundert tatsรคchlich wie ein Brutofen fรผr die spรคteren europรคischen Staaten war. Und mit Bรถhmen, der Schweiz und den Niederlanden lagen drei dieser Staaten auf dem Gebiet des Heiligen Rรถmischen Reiches, รผber das die Habsburger herrschten. Oder zu herrschen versuchen. Denn anders als Frankreich oder England, die sich in den vorhergehenden Jahrhunderten eine starke Zentralgewalt geschaffen hatten, war dieses Reich ein Flickenteppich hunderter mehr oder weniger souverรคner Fรผrstentรผmer, in dem der gemeinsame deutsche Kรถnig bzw. rรถmische Kaiser immer erst durch die Kurfรผrsten gewรคhlt wurde.

Er verfรผgte zwar โ€“ wie die Habsburger โ€“ รผber die stรคrkste Hausmacht. Aber seine Stellung fuรŸte nur auf der Wahl durch die Kurfรผrsten des Reiches, die ihrerseits eifersรผchtig auf die eigene Souverรคnitรคt bedacht waren, die durch den Augsburger Religionsfrieden ein halbes Jahrhundert zuvor sogar gestรคrkt worden war.

Womit wir bei Luther wรคren. Der war wirklich nicht ganz unschuldig.

Deswegen gehรถrt dieses Buch nicht nur ins Jahr 2018, wenn sich der Prager Fenstersturz zum 400. Mal jรคhrt, sondern auch ins โ€žLuther-Jahrโ€œ 2017. Denn seit Luthers Reformation war auch etwas gelรถst worden, was seit Karl dem GroรŸen als unauflรถsbar gegolten hatte: Die Einheit von Kirche und Fรผrstentum. Bis zu Luther galt, dass deutsche Fรผrsten die geistige Vormacht von Papst und Kirche nicht infrage stellten. Der Kaiser wurde vom Papst gekrรถnt. Weltliche und geistige Macht waren eins. Und Luther, dieser Schlaukopf aus Wittenberg, nahm genau diese Symbiose in seiner Zwei-Reiche-Lehre auseinander โ€“ sehr zur Freude der europรคischen Fรผrsten, die allesamt begriffen, dass ihnen so eine Interpretation der Bibel ungewohnte Freiheit gab โ€“ nรคmlich die Freiheit, im eigenen Land selbst zu bestimmen, was die herrschende Religion war.

Man kennt ja Luthers Lust daran, denn โ€žTeufel in Romโ€œ zu รคrgern und mit wรผtenden Kampfschriften zu attackieren. Hat er tatsรคchlich nicht geahnt, was er damit anrichtete und auslรถste? Denn jede dieser Kampfschriften war eine offizielle Entmachtung des Papstes, dessen Macht die europรคischen Kรถnige und Fรผrsten ein halbes Jahrtausend lang nicht infrage zu stellen wagten. Nach 1517 nahmen sich die Herrscher reihenweise das Recht, ihrem Land eine eigene Religion und Kirche zu verordnen โ€“ der englische Kรถnig genauso wie der dรคnische und der schwedische. Aus katholischer Sicht musste der Wechsel dutzender deutscher Fรผrsten ins evangelische Lager wie eine ansteckende Krankheit gewirkt haben, die auch die habsburgischen Erblande in Bรถhmen, Ungarn, Ober- und Niederรถsterreich erfasste.

Was 1618 in Prag geschah, war kein Volksaufstand. Das darf man nicht รผbersehen. Es waren die bรถhmischen Stรคnde, die die kaiserlichen Statthalter aus dem Fenster der Prager Burg warfen. Und die den Habsburgern kurzerhand die bรถhmische Kรถnigskrone aberkannten und offiziell auf die Suche nach einem protestantischen Fรผrsten gingen, der die Krone fortan tragen sollte. Und der Auslรถser fรผr den Aufstand war der Versuch der Habsburger, den Protestantismus in ihren Kernlanden systematisch zurรผckzudrรคngen. Nicht einmal, weil sie sich dadurch bedroht fรผhlten. Viele protestantische Aufstรคnde im Habsburgerreich scheiterten, weil die meisten Protestanten kaisertreu waren und blieben.

Aber aus Sicht der Habsburger โ€“ bei Ferdinand II. ganz exemplarisch โ€“ war das Bekenntnis zur katholischen Kirche die Grundlage fรผr eine Treuebezeugung. Und da liest sich die ganze Geschichte sehr fatal modern. Denn gerade in dieser Handhabung wird sichtbar, dass auch die scheinbar so christlichen Herrscher die Religion nicht als persรถnliches Glaubensbekenntnis betrachteten, sondern als eine Staatsbรผrgerideologie. Wer die falsche Ideologie hatte, also der falschen Partei angehรถrte, verwirkte seine Rechte, im ungรผnstigsten Fall auch Besitz, Heimat und Leben.

In vielem war dieser DreiรŸigjรคhrige Krieg schon ein sehr moderner Krieg. Auch deshalb, weil er uralte Selbstverstรคndlichkeiten aus den Angeln hob. Wo fรผhrt das hin, wenn die Vรถlker beginnen, nicht nur ihre Religion selbst auszusuchen, sondern auch noch ihre Herrscher? Wobei immer zu bedenken ist: Die Initiative ging stets von den Stรคnden aus, also den privilegierten Schichten, deren grรถรŸter Teil adelig war und sich zum Teil auf alte, angestammte Rechte bezog. Was einem nicht wirklich als Widerspruch erscheint. Denn wer sich die spรคteren europรคischen Nationalbewegungen anschaut, sieht dort ein รคhnliches Muster. Fast immer ist es eine kleine Elite mit Zugriff auf finanzielle und militรคrische Ressourcen, die solche Umstรผrze anzettelt. Das Volk selbst hat eher die liebe Not, dabei zu รผberleben. Auch wenn es in Scharen zu den Milizen beordert wird oder gleich fรผr die Armeen geworben wird, die dann die blutigen Schlachten schlagen, an deren Ende dann die Legenden und Heldengeschichten erzรคhlt werden.

Aber eines wird frรผh klar: In diesen 30 Jahren ging es nicht wirklich um Religion. Es kรคmpften auch nicht die Konfessionen gegeneinander, auch wenn die Heerfรผhrer und Bรผndnisse konfessionell gruppiert waren. Aber die Heere waren konfessionell genauso bunt gemischt wie die Bรผndnisse. Und dann weitet man den Blick noch ein wenig und sieht: Gerade Dรคnemark, Schweden und Frankreich verfolgten eindeutig Eroberungsinteressen, wollten auf Kosten des Flickenteppichs โ€žHeiliges Rรถmisches Reichโ€œ ihren eigenen Einfluss stรคrken und ihre Territorien vergrรถรŸern. Was allen drei โ€žSchutzmรคchtenโ€œ auch gelang.

Deswegen spielt auch der Westfรคlische Frieden so eine wichtige Rolle in der historischen Rรผckschau und wird als Vorlรคufer spรคterer Friedenskonferenzen und eines moderneren diplomatischen Umgangs der Staaten miteinander betrachtet. Aber es war eben auch ein moderner Frieden, weil er einen modernen Krieg beendete, den Wilson spรคtestens ab 1640 auch ganz offen als Ermรผdungskrieg bezeichnet. Es steckten auch schon viele Entwicklungen der modernen Massen- und VerschleiรŸkriege in dieser Abfolge vieler kleiner Einzelkriege.

Und es steckt ein Menetekel in dieser nรผchternen Betrachtungsweise des Militรคrhistorikers. Denn er zeigt, wie Kriege sich immer wieder selbst entzรผnden, wenn die kriegfรผhrenden Parteien nicht bereit sind, auf Augenhรถhe miteinander ein Ende der Schlachterei zu verhandeln. Ein Punkt, an dem einen die Politik der damaligen Kriegsparteien sehr vertraut vorkommt. So gegenwรคrtig, weil die Denkweise so modern wirkt: einen Konflikt schon deshalb nicht beenden zu kรถnnen, weil man damit zugeben wรผrde, dass der Gegner ein vollwertiges Recht auf Selbstbestimmung hat. Was die groรŸen Kriegsfรผhrer meist erst zugeben, wenn sie einfach kein Geld mehr auftreiben kรถnnen, einen standhaften Gegner vom Spielfeld schieรŸen zu kรถnnen.

Gerade aber dieser Wille, den Gegner einfach durch Masse in die Knie zwingen zu wollen, scheiterte in diesem DreiรŸigjรคhrigen Krieg immer wieder. Was Wilson gerade dadurch anschaulich macht, weil er sich intensiv mit Truppenstรคrken, Bewaffnung, Versorgung und Finanzierung der Armeen in diesem Krieg beschรคftigte. Auf einmal wird sichtbar, wie sehr Krieg auch eine Wirtschaftsmacht ist, ein riesiges Kriegswerk, das selbst dann noch weiterlรคuft, wenn die Beteiligen erschรถpft sind und die Sรถldner nicht mehr bezahlen kรถnnen.

Eigentlich schon das nรคchste Thema.

Wir kehren also zu diesem Buch zurรผck in den nรคchsten Tagen.

Peter Wilson Der DreiรŸigjรคhrige Krieg, Theiss Verlag, WBG, Darmstadt 2017, 49,95 Euro.

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