Noch ein Buch รผber den Kaisersturz von 1918? Kรถnnte man denken. Aber der Theologe und Historiker Benjamin Hasselhorn hat einen anderen Grund dieses Buch zu schreiben, das eigentlich ein Essay ist, ein Versuch, die Frage zu klรคren, ob die Abschaffung der Monarchie 1918 vielleicht ein nicht ganz unwichtiger Grund fรผr alle Extreme der Folgezeit war. Man muss sozusagen zwei Schritte zur Seite gehen, um mit ihm รผber dieses Stรผck Geschichte nachzudenken.
Oder drei. Denn zu schlecht ist die Figur, die Kaiser Wilhelm II. in den Geschichtsbรผchern abgibt. Oft wird er zum Hauptschuldigen fรผr den desastrรถsen 1. Weltkrieg gemacht, oft wird sein Dรผnkel benannt, mit dem er Politik machte und letztlich den Einflรผsterern in seiner Umgebung erlag. Aber natรผrlich streiten sich die Historiker. In letzter Zeit vermehrt, weil vielen sehr wohl bewusst ist, dass man Geschichte nicht einfach von ihren Ergebnissen her interpretieren darf. Dann erscheinen die Sieger als die einzig Richtigen und Guten, scheint das Ergebnis geradezu zum Sinn der Geschichte zu gerinnen. In der hรคufigsten Lesart zum 1.Weltkrieg also: ein Sieg der Demokratie รผber die Monarchie.
Ein Sinn, der natรผrlich Risse bekommt, wenn man heute sieht, wie die stabilsten Demokratien weltweit scheinbar in die Krise geraten und selbst demokratisch gewรคhlte Politiker bereit sind, die Errungenschaften der Demokratie preiszugeben, nur um an der Macht zu bleiben.
Am Ende des Buches betont Hasselhorn, dass er damit ganz und gar nicht fรผr die Wiedereinfรผhrung der Monarchie plรคdiere. Aber natรผrlich lรคdt er vorher zu einer Denkfigur ein, der es schwerfรคllt zu folgen, so elegant sie auch auf den ersten Blick wirkt. Denn er setzt die heutigen parlamentarischen Monarchien als Gegenbild zu den kriselnden Demokratien, wo es keine Kรถnigshรคuser mehr gibt.
Fakt ist: 1917 und 1918 purzelten einige Kronen โ und zwar vor allem in den Lรคndern, die den Weltkrieg verloren hatten. Die deutsche Monarchie hatte sich komplett desavouiert, die Deutschen waren des Krieges mรผde. Und schon Wilhelm II. und einige seiner Berater dachten darรผber nach, ob mit einem Opfertod des Kaisers wenigstens die Monarchie zu retten wรคre. Was Wilhelm II. fรผr sich verneinte. Da ging er lieber ins Exil.
Und hรคtten wir nicht gerade Lothar Machtans โKaisersturzโ gelesen und โLob der Revolutionโ von Keil und Kellerhoff, wรคren wir vielleicht geneigt gewesen, auf diese Denkfigur einzugehen, die nun einmal eine monarchistische ist. Waren die Deutschen 1918 noch so รผberzeugte Monarchisten, dass sie den Opfertod ihres Kaisers als klassischen Opfertod eines Kรถnigs, als Symbol angenommen und eine Fortfรผhrung der Monarchie akzeptiert hรคtten?
Recht hat Hasselhorn, wenn er betont, dass der 1. Weltkrieg kein Krieg der (modernen) Demokratien gegen die (รผberlebte) Monarchie war. Deutschland war im August 1914 ein hochmodernes Land mit einer Wirtschaftskraft, die nur noch von den USA รผbertroffen wurde. Es hatte auch einige Sozialstandards, die sich durchaus mit denen der Weltkriegsgegner Frankreich und England messen konnten.
Und Hasselhorn kritisiert natรผrlich zu Recht die lange geltende Fixierung auf die Schuldfrage, die ja schon 1919 ganz Deutschland zulasten gelegt wurde. Wenn man sich jahrzehntelang nur รผber Schuldfragen streitet, รผbersieht man die tatsรคchlichen Krรคfte hinter den Kulissen. Mittlerweile sieht das auch die Geschichtswissenschaft anders und fragt โ zu Recht โ nach den verheerenden Folgen der Versailler Vertrรคge, die eben leider keinen wirklichen Frieden brachten, dafรผr viele nationale Geschichten der Frustration.
Die Autoren des Versailler Vertrages dachten in absolut moralischen Kategorien, fast biblischen kรถnnte man meinen. Es ging um Schuld und Sรผhne und Bestrafung. Nicht um die Herstellung einer neuen, verlรคsslichen Friedensordnung. Was bis heute fortwirkt.
Und was auch damit zu tun hat, dass die bรผrgerliche Geschichtsschreibung gern ausblendet, dass die Weltkriege des 21. Jahrhunderts nun einmal keine Kriege zur Herstellung einer europรคischen Friedensordnung waren, sondern imperiale Kriege. Es ging um militรคrische und wirtschaftliche Einflusssphรคren, Vorherrschaft und den militรคrisch ausgetragenen Konflikt kolonialer Konkurrenten. In der Regierungsform waren sie sich alle sehr รคhnlich, mit einigen Unterschieden zwischen konstitutioneller und parlamentarischer Monarchie.
Aber im Wesenskern waren sie sich gleich, dachten die Eliten in allen diesen Lรคndern, die Hasselhorn glaubt sortieren zu kรถnnen, imperial. โGewonnenโ hat am Ende nicht der moralisch รberlegene oder der mit der besseren Regierungsform, sondern der mit den grรถรten technischen Ressourcen. Der 1. Weltkrieg war nicht nur der erste moderne Massenkrieg, er war auch ein durch und durch technisierter Krieg. Und verloren hat Deutschland am Ende nicht, weil es irgendeine Schlacht verloren hรคtte, sondern weil es wirtschaftlich ausgebrannt war, die riesige Kriegsmaschinerie nicht mehr fรผttern konnte.
Hier prallten keine Monarchien aufeinander, sondern hochgerรผstete moderne Armeen. Die wirtschaftliche Sicht auf Geschichte fehlt bei Hasselhorn. Was nicht รผberrascht: Sie spielt in einem Groรteil der heutigen Geschichtsschreibung kaum eine Rolle. Deshalb wird ja meist nur darรผber debattiert, welche Regierungsform die modernere ist. Oder die stabilere, wie bei Hasselhorn.
Und ob es da qualitative Unterschiede gibt, die die eine als besser erscheinen lassen als die andere.
Dem muss man nicht folgen. Dazu ist die Unterscheidung ein bisschen zu willkรผrlich.
Aber ganz am Ende macht Hasselhorn deutlich, dass es ihm eigentlich um etwas anderes geht, etwas, was er in der Monarchie verkรถrpert sieht: Die Verbindung der Demokratie mit der Tradition, mit etwas, das dem Staatswesen eine in die Geschichte hineingreifende Legitimitรคt verschafft: โItโs tradition, stupidโ zitiert er indirekt den US-Prรคsidenten Bill Clinton, der mal gesagt haben soll: โItโs business, stupid!โ Oder so รคhnlich.
Wie gibt man einer Ordnung Legitimitรคt, fragt er. Und merkt zu Recht an, dass die einfache Behauptung demokratischer Spielregeln das noch nicht schaffe. Denn worauf grรผnden sie sich, wenn man nicht wieder die so grรผndlich missbrauchte โNationโ aus der Kiste holt und anfรคngt, von Religion und Leitkultur und รhnlichem zu reden? Was ja derzeit wieder gerade von Konservativen in allen mรถglichen Ansรคtzen gemacht wird. Und diese konservativen Denkwelten sind Hasselhorn vertraut.
โDer freiheitliche, sรคkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kannโ, zitiert er den Katholiken und Staatsrechtler Ernst-Wolfgang von Bรถckenfรถrde. Was รผbrigens auch auf den religiรถs fundierten Staat zutrifft. Hasselhorn bringt es ja selbst auf den Punkt, wenn er ein Kapitel mit โDie Wiederverzauberung der Weltโ รผberschreibt. Die Monarchie legitimiert sich รผber ihre sakrale Fundierung: Kรถnige werden gesalbt und in groรartigen Inszenierung ins Amt gebracht. Und gerade Hasselhorns Ausflug in die Welten der modernen Monarchie-Inszenierungen in den Medien zeigt, dass augenscheinlich viele Menschen eine Sehnsucht nach so einer โVerzauberungโ haben, nach Poesie, wie es Gneisenau nannte, nach etwas, das mehr bedeutet, als es ist. So eine Art Verklammerung der Gegenwart mit der Geschichte.
Also vor allem: Rituale.
Haben wir zu wenige Rituale, die uns mit unserem Gemeinwesen verbinden? Brauchen die meisten Menschen wieder Rituale und suchen sie dann anderswo, wenn ihnen die bรผrokratische Geschรคftigkeit des Parlaments und der Regierung keine Ansatzpunkte bietet?
Die Fragen bleiben stehen. Vor allem, weil sie eine Frage aufwerfen, die wieder รผber Hasselhorns Essay hinausgeht: Was ist die gesellschaftliche Klammer, wenn die aktuelle Gesellschaft รผberall den Individualisten und Egoisten propagiert? Welche Traditionen sollten Menschen da wieder binden und beruhigen?
Und wie sehr wirken heutige Monarchien noch als Klammer, wenn man nur an die Niederlande, Schweden oder Spanien denkt?
Verstรคndlich ist Hasselhorns Plรคdoyer dafรผr, โmit der Verteufelung der letzten deutschen Monarchie Schluss zu machenโ. Wer sie genauer betrachtet, sieht tatsรคchlich einen fรผr die Zeit hochmodernen Stadt, der auch schon gewisse Freiheiten kannte. Aber im September 1918 war die deutsche Monarchie verbrannt. Deswegen waren auch die Gedankenspiele um den โKรถnigstodโ eher theoretischer Art. In der Praxis war Deutschland reif fรผr die Demokratie โ wovon auch die Wahlergebnisse der MSPD erzรคhlen.
Und natรผrlich kann man fragen, was uns heute eine Klammer gibt, eine Verwurzelung in unserer eigenen Geschichte. Aber ich bezweifle, dass das etwas mit Monarchie oder Religion zu tun hat. Die Beispiele, die Hasselhorn aus der jรผngeren Politik aufzรคhlt, wirken eher hilflos.
An einer Stelle erwรคhnt er tatsรคchlich die Aufklรคrung als einen durchaus noch immer aktuellen Bezugsrahmen. Auch wenn er dann wieder den Schnellsprung zur (blutigen) Franzรถsischen Revolution vollzieht. Aber das erscheint mir dann selbst wieder wie so ein historischer Kurzschluss, vor dem Hasselhorn eigentlich in Bezug auf 1918 warnt.
Benjamin Hasselhorn Kรถnigstod, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2018, 22 Euro.
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