Heinrich Peuckmann ist ein Vielschreiber. Er kann nicht anders. Was die Zeit über uns ausschüttet, verwandelt sich bei ihm in Geschichten. Gern auch Krimis. Seit 2018 ist der Autor aus Kamen mit seinen Krimis im Lychatz Verlag zu finden. Und sein neuester Krimi, in dem er seinen nunmehr pensionierten Kommissar Bernhard Völkel agieren lässt, entführt den Leser nicht nur in den Ruhrpott, sondern auch in eine Gegenwart, in der man dem äußeren Schein nicht trauen darf. Auch nicht guten Herzens.

Aber das weiß Bernhard Völkel eigentlich. Er war lang genug in dem Job. Nun ist er eigentlich raus und ist gerade dabei, die schönen Städte in Ostdeutschland zu erkunden. In Magdeburg lässt er sich gar von Otto dem Großen erklären, dass die Sache mit der menschlichen Kriminalität im 10. Jahrhundert nicht wirklich anders war als im 21. Jahrhundert. Er hadert so ein bisschen mit sich: Was hat es eigentlich geholfen, sein Leben lang als Polizist gearbeitet zu haben? Hat es etwas genutzt?

Und mitten in den Gedanken über den Sinn eines Polizistenlebens lernt er einen neuen Freund kennen, Ulli, Gartenbesitzer seines Zeichens, der Bernhard noch von einem früheren Fall kennt und ihn jetzt aufmerksam macht auf einen Mann, der nahe bei seinem Garten immer wieder steht und das gegenüberliegende Flüchtlingsheim beobachtet.

Man sieht: Vor brandaktuellen Themen hat Peuckmann keine Angst. Auch nicht vor der tatsächlich diffizilen Frage: Kommen da tatsächlich nur Menschen zu uns, die in ihren Herkunftsländern von finsteren Regimen gejagt werden? Kommen in ihrem Schutz nicht auch Typen, die das Asylrecht nur missbrauchen, um Verbrechen zu begehen? Was ja die Angst ist, die unsere heutigen Menschenverächter schüren bei den eher einfach gestrickten Leuten, die es auch in Dortmund gibt und die auch in einer Szene kurz auftauchen – so bestellt wie irritiert. Das mit dem „Ausländer raus!“-Rufen haben sie irgendwie kapiert. Aber dass sie mit ihrem Gebrüll selbst den Kleingärtnern auf den Keks gehen, scheint sie zumindest zu verwundern.

Aber darum geht es in der Geschichte nicht. Denn Bernhard und sein neuer Freund Ulli kümmern sich um den einsamen Mann, nehmen auch Kontakt auf und lassen sich von ihm eine Geschichte von IS und Folter erzählen und von Schergen, die ihn verfolgt haben und die er nun beobachtet habe. Bernhard Völkel ist also schneller wieder drin in einem Fall, als er es selber wollte und als er es seiner neuen Freundin und den Kindern zu beichten bereit ist. Die waren alle so froh, dass er sich als Städtetourist betätigte und endlich mal von den gefährlichen Kriminalfällen die Hände ließ. Denn auch in den Vorgängerbänden Peuckmanns konnte er es nicht lassen. Zu seinem Freund Wolter im Polizeipräsidium hat er noch enge Kontakte. Und auch diesmal ist er so vernünftig, wenigstens Wolter einzubeziehen.

Denn was sich anfangs nur wie eine humanitäre Tragödie ausnahm, entfaltet sich schnell als ein Fall, in dem Bernhard Völkel doch wieder agiert wie in alten Zeiten, selbst vor Beschattungen keine Scheu hat und beinah zu spät merkt, dass er eigentlich auf eine Lügengeschichte hereingefallen ist. Oder auf sein gutes Herz, das Wolter ihm bescheinigt. Was einem ja so als landläufiger Mensch meistens erst dann bewusst wird, wenn einen wieder so ein smarter, sympathisch auftretender Ganove so richtig aufs Kreuz gelegt hat.

Nur dass es hier nicht um ein paar kleine Delikte geht, sondern um einen Aspekt, den man in der syrischen Flüchtlingskrise bei all dem Gequake unserer nationalistischen Hohepriester immer wieder vergisst: Die Mächte, vor denen die Menschen aus Syrien flohen, sind wirklich finstere Mächte, eine schlimmer als die andere, egal, ob IS oder einer der syrischen Geheimdienste.

Wer sich mutig für Demokratie engagierte und engagiert – auch im Exil – steht auf den Todeslisten der Verfolger. Was Peuckmann nicht anspricht, ist die Tatsache: Wer Menschen in so ein Land zurückschickt und behauptet, das Land sei sicher, der schickt gerade die Engagierten und Beherzten in den Tod. Der besorgt im Grunde das Geschäft der Verbrecher.

Peuckmanns Geschichte zeigt freilich auch, dass man, um das zu wissen, auch mit den Betroffenen sprechen muss. Aber wer macht das schon?

Auch Völkel braucht lange, bevor bei ihm der Groschen fällt und er einordnen kann, was sie da eigentlich beobachtet haben und wer nun eigentlich die Finsterlinge sind. Am Ende wird die Zeit knapp, nimmt der Krimi, der eigentlich wie eine hübsche Gartenidylle begonnen hat, ein Tempo auf, bei dem auch dem nicht mehr so jungen Ex-Kommissar beinah die Puste auszugehen droht. Aber einfach in Deckung bleiben und tun, was sein einstiger Kollege Wolter anweist, kann er auch nicht. Da funktionieren noch seine alten Instinkte und er reagiert fast unbewusst, was freilich am Ende nicht nur dem Kollegen den Hintern rettet.

Sondern auch dem jungen Mann, den die eingeschleusten Verbrecher im Keller eingesperrt haben. In diesem zweiten Kerker. Denn den ersten hat er schon in Syrien kennengelernt, wo er auch die Foltermethoden der Schergen am eigenen Leib erlebte. Und eigentlich gibt es ja drei Kerker, denn so ein Erlebnis schleppt einer mit, auch ins Exil. Genauso wie die Kerkermeister ihren Kerker im Kopf mitnehmen. Was die Geschichte nur ganz leicht streift, denn wie können Menschen so werden, dass sie so bereitwillig andere Menschen quälen und töten, nur um ihrer jeweiligen Macht treu zu dienen? Wie leer muss es in ihnen aussehen?

Auch wenn sie aussehen wie coole Verbrecher, die genau wissen, wie sie Menschen vernichten können. Etwas, was ja heute in allerlei Medien als Heldenstatus gefeiert wird. Als wäre die Perfektion des Bösen geradezu Kern für eine richtig schwarze Markenbildung, auf die nicht nur Terrororganisationen, sondern auch die Apparate gefühlloser Diktaturen stolz sind.

Und dazu kommen dann Medien, die wieder ihre eigenen Helden- und Schurkengeschichten erzählen, die fast gar nichts mit dem zu tun haben, was die Polizei tatsächlich ins Protokoll geschrieben hat.

Dieser Krimi geht gut aus. Man hofft es ja die ganze Zeit, da dieser Völkel ja nun endlich das Leben zu genießen begonnen hat, das ihm sein Polizistenalltag stets vorenthalten hat. Er darf wieder Mensch sein. Und er genießt es auch mit allen Sinnen. Aber er kann sein Herz nicht betrügen. Und es ist das Herz eines Kriminalpolizisten, der nicht wirklich aufhören kann, das Gute im Menschen sehen zu wollen und das Böse wenigstens mal kurz hinter Schloss und Riegel zu bringen, auch wenn die Politik dann wieder ihre eigenen Kuhhändel treibt.

Also ein richtiger Krimi für Menschenfreunde. Aber für wen sollte man sonst Krimis schreiben? Das tut man doch wohl in der Regel für Menschen, die Krimis deswegen lesen, weil sie von ihnen ermutigt werden, nicht aufzuhören, für das Gute zu kämpfen. Denn das Böse lauert, wie wir ja wissen, überall. Daran hat sich seit Kaiser Otto nichts geändert.

Heinrich Peuckmann Im Kerker, Lychatz Verlag, Leipzig 2019, 9,95 Euro.

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